Ukrainisches Todesroulette
Seite 2: Ziviler Widerstand und Zerfallserscheinungen
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Die Brutalität und Rücksichtslosigkeit des Vorgehens der ukrainischen Streitkräfte im Osten des Landes gründet dabei hauptsächlich in der Fragilität dieser Offensive. Kiew ist schlicht nicht in der Lage, die Kriegshandlungen über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten, weswegen sie auf Biegen und Brechen möglichst schnell zum Erfolg geführt werden müssen. Der ukrainische Finanzminister Oleksandr Schlapak erklärte am 24. Juli, dass die Regierung aufgrund der angespannten Finanzlage den Sold der Streitkräfte nur bis zum 1. August auszahlen könne, sollten nicht weitere Finanzspritzen des Westens folgen.
Zerfallserscheinungen der ukrainischen Streitkräfte sind vor allem im "südlichen Kessel" zu beobachten (Noch immer ist ungeklärt, wer Flug MH17 abgeschossen hat), in einer ukrainischen Grenzregion zu Russland, in der Tausende ukrainische Soldaten, die bei einem gescheiterten Vorstoß Anfang Juli die gesamte aufständische Region von Russland abschneiden sollten, seit Wochen eingekesselt sind und größtenteils ohne Versorgung ausharren müssen. Inzwischen desertieren nach russischen Angaben viele dieser demoralisierten Soldaten und gehen über die Grenze nach Russland, um sich dorthin abzusetzen. Verwundete ukrainische Soldaten wurden überdies in russischen Krankenhäusern im Grenzgebiet versorgt, meldete Euronews unter Berufung auf russische Fernsehberichte. Mitunter werden die ukrainischen Soldaten in denselben Krankenhäusern behandelt wie die aufständischen Milizionäre, berichtete Russia Today.
Es ist bezeichnend, dass die jüngste ukrainische Militäroffensive gerade nicht den Entsatz dieser eingekesselten Truppen zum Ziel hatte. Das hat seine perverse militärische Logik: Die Kräfte der zahlenmäßig weit unterlegenen Milizen können so besser aufgesplittert werden.
Doch auch in den Hochburgen des ukrainischen Nationalismus und Rechtsextremismus, in den Städten und Dörfern der Westukraine, wächst der Widerstand gegen den Krieg und die jüngst verkündete Teilmobilmachung. Im westukrainischen Chernivtsi blockierten hunderte Demonstranten die Straße Richtung Kiew, um den Abtransport der zum Militärdienst einberufenen jungen Männer zu verhindern. Ähnliche Protestaktionen und Straßenblockaden werden aus der westukrainischen Region Ivano-Frankivsk und aus dem Umland von Kiew gemeldet. Mitunter werden die Einberufungsbescheide von den Demonstranten öffentlich verbrannt.
Realität gegen massenmediale Obsessionen
Es ist aber auch bezeichnend für den beklagenswerten, deprimierenden Zustand der bundesrepublikanischen Massenmedien, dass diese Entwicklungen in der hiesigen Kriegsberichterstattung kaum eine Rolle spielen. Es scheint, als ob sich Deutschlands Meinungsmacher von der Taz bis zur FAZ - mal wieder - kollektiv in die Schützengräben begeben hätten, um fortan die Funktion einer Propagandakompanie auszuüben.
Der SPIEGEL etwa will in einem Anflug von Größenwahn (wir sind ja wieder wer) wohl eigenhändig "Putin stoppen" (SPIEGEL schließt Russland-Forum nach drei Stunden), die FAZ sieht jede Verständigung mit Russland als eine "Illusion" an, während die Tageszeitung nur in den prorussischen Milizen eine plündernde "Meute" sehen will - und einen unfreiwillig komischen Durchhaltebericht aus dem "befreiten" Dnjepropetrowsk publiziert. Die Stadt wird von dem Oligarchen Igor Kolomojskij, der eine Privatarmee finanziert, und der lokalen Mafia regiert, die "Ruhe und Ordnung" schaffe. Ein "Milliardär, der der keine Einmischung duldet", schaffe in der Stadt "Frieden, Wohlstand und Vielfalt", so die Tageszeitung:
"Willkommen in der Hauptstadt der Mafia", begrüßt eine Kellnerin den Gast aus Deutschland. In Dnjepropetrowsk sei die Welt noch in Ordnung, hier könne man in Ruhe leben und arbeiten. Und das liege vor allem an der Mafia. Es gebe drei große Clans, die die Geschicke der Stadt bestimmen. "Doch die Mafia lässt mich in Ruhe, solange ich nur kellnere und mich nicht in deren Geschäfte einmische", meint sie. Überhaupt sei das Leben in Dnjepropetrowsk besser als in Kiew oder gar in Donezk. Die Bewohner seien in ihrer überwiegenden Mehrheit Einheimische.
Die Auflösungstendenzen ukrainischer Staatlichkeit (Der gescheiterte Staat von nebenan) werden somit von der Taz als ein Zukunftsmodell gepriesen - damit dürfte der Preis für das absurdeste Propagandamachwerk des Monats Juli mühelos an die Kreativabteilung der Tageszeitung gehen. Übrigens, war da nicht mal was? Sollte sich die gesamte Maidan-Bewegung nicht gerade gegen Korruption und Oligarchenherrschaft richten? Im Februar dieses Jahres zeigte sich die Tageszeitung - die nun ihr Herz für die harte Hand der Oligarchenherrschaft entdeckt - noch empört über den obszönen Reichtum des gestürzten ukrainischen Präsidenten Janukowitsch, der "eine Villa mit eigenem Zoo unterhalten" habe. Offensichtlich sind manche Oligarchen gleicher als andere.