Umstrittene Polizei-Razzia bei Stern-Korrespondenten

Richter bezweifeln Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gegen den Journalisten, der Betrügereien bei der EU nachging

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Reicht ein Gerücht über Schmiergeldzahlungen aus, dass eine EU-Behörde die Festnahme eines Journalisten, die Durchsuchung seiner Wohnung und seines Büros sowie die Beschlagnahme sämtlichen Recherche-Papiere, Handys und Computer veranlassen kann? Diese Frage wollte der Europäische Gerichtshof Erster Instanz in Luxemburg am heutigen Donnerstag bei einer Anhörung klären.

Zur Vorgeschichte: Als es am Freitagmorgen vor zwei Jahren um 7 Uhr morgens mehrfach klingelte und Hans-Martin Tillack die Haustür öffnete, glaubte er an einem Irrtum: Sechs Polizisten drangen in seine Wohnung und kämmten seine Schränke durch, nachdem sie ihm kurz einen Durchsuchungsbefehl gezeigt hatten. Anschließend wurde der Brüsseler Korrespondent des Stern von der Anti-Korruptions-Einheit der Polizei in sein Büro gebracht. Jeglicher Kontakt zu Dritten wurde ihm untersagt, zehn Stunden lang durfte er auch mit niemandem telefonieren.

Ein paar Tage später sickerte durch, was man ihm vorwarf: Der für seine investigativen Geschichten bekannte Journalist habe einem EU-Beamten geschmiert, um vertrauliche Papiere zu bekommen. Zwei Jahre später ist nicht mehr als dieses Gerücht bekannt. Die Anti-Betrugsbehörde der EU, kurz OLAF genannt (Office de la Lutte Anti-Fraude) rätselte sogar über die die Währung der angeblichen Schmiergeldzahlung: "8.000 D-Mark oder Euro".

Doch weil damals in Belgien Quellenschutz und Informationsfreiheit weniger galten, als der Kampf gegen Korruption, griff die belgische Justiz die Strafanzeige OLAFs ohne weitere Überprüfung auf und schickte die Polizei zum Sternkorrespondenten, der bis heute nur einen Teil seiner Arbeitsmaterialien zurückerhalten hat.

Die Polizei-Razzia habe nicht dazu gedient, angeblichen Betrug zum Schaden der EU zu verhindern, sondern die Informationsquellen des Stern-Korrespondenten offen zu legen, so Tillacks Anwalt Ian Forrester. Damit habe die EU-Institution dem Journalisten geschadet. Informanten seien seither verunsichert und die EU-Institutionen hätten lediglich versucht, neue, ihr unangenehme Presseartikel von Tillack über EU-Betrügereien und Missmanagement in der EU zu verhindern. Die EU-Kommission müsse für den Schaden aufkommen und OLAF durch das Gericht künftig an ähnlichem Machtmissbrauch gehindert werden.

Keinen Zusammenhang von Pressefreiheit, Quellen- und Informantenschutz im Zusammenhang mit der Polizei-Razzia beim Stern sah Clemens Ladenburger vom juristischen Dienst der EU-Kommission. Die Anti-Betrugsermittler von OLAF seien verpflichtet gewesen, ihre Informationen an die belgische Justiz weiter zu geben. Auf mehrfache Nachfrage des Gerichts räumte er ein, dass dabei OLAF die Informationen über angebliche Gesetzesverstöße zu bewerten und nötigenfalls durch eigene Recherchen zu untermauern habe. Verantwortlich für Tillacks Festnahme und für die Durchsuchungen sowie Beschlagnahmungen sei allein die belgische Justiz. Kein gültiges Argument für den Franzosen Hubert Legal, Vorsitzender Richter der 4. Kammer. Ob es denn bei OLAF Bestimmungen gäbe, wann etwas als pures Gerücht oder als handfester Hinweis weiter zu verfolgen wäre, wollte der Jurist wissen. Doch da musste die EU-Kommission passen, es gäbe neuerdings ein Handbuch, doch sei dies gerade nicht griffbereit.

Tillacks Fall ist für den Internationalen Journalistenverband (IFJ) von exemplarischer Bedeutung. „Es muss verhindert werden, dass mit dem Fall Tillack ein Exempel statuiert wird und künftig auch andere Journalisten, die während ihrer gesetzestreuen Arbeit von Strafverfolgungsbehörden eingeschüchtert und bei ihren Recherchen behindert werden“, so Andreas Bartosch, der den IFJ vertrat. Vom Gericht wurde Bartosch mehrfach auf verschiedene Artikel zu Meinungs- und Pressefreiheit angesprochen, wie sie in der Menschenrechtskonvention des Europarates festgelegt sind. Bartosch, von Hause aus Wettbewerbsrechtler, vermied es jedoch, darauf einzugehen. Beim Menschengerichtshof in Straßburg ist der Fall ebenfalls anhängig.

Tillack, dem bis heute nichts Unrechtes nachgewiesen werden konnte, freute sich nach der Anhörung über die Aussage der Kommission, die „undichte Stelle noch immer nicht gefunden zu haben“. Er hofft nun, dass das Gericht OLAF für die „Diffamierungskampagne“ gegen ihn zu einer Entschädigungszahlung verurteilen wird. Mit einem Beschluss ist erst in einigen Monaten zu rechnen.