Umverteilung als mögliche Lösung des Anlagenotstands
- Umverteilung als mögliche Lösung des Anlagenotstands
- Anlageobjekte durch Privatisierung
- Umwandlung des Liquiditätsüberschusses in Anleihen
- Abstieg der gesellschaftlichen Mittelschichten
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Folgenschwerer Liquiditätsabfluss in den Anlagesektor - Zweiter Teil
Im ersten Teil wurde erklärt, wie überschüssige Liquidität entsteht. Wertpapierkurse werden nahezu unbegrenzt in die Höhe getrieben, während die Wirtschaft zu kontrahieren droht. Als nächstes soll untersucht werden, wie sich steigende Zinssätze auf die Kursentwicklung auswirken.
Da sich die im Modell errechneten Werte nicht mit der Realität decken, gibt es offenbar Wege, den im vorherigen Teil illustrierten Trend abzuschwächen. Diese sollen an späterer Stelle thematisiert und auf ihre Beständigkeit geprüft werden.
Kein zwingender Kursrückgang bei steigenden Zinssätzen
Dass steigende Zinssätze zu fallenden Kursen von Anlageobjekten führen, gilt im ökonomischen Mainstream als unbestrittener Tatbestand. Ein häufig angeführtes Erklärungsbeispiel betrifft Anleihefonds. Erhöht sich das Zinsniveau, dann werden auf dem Kapitalmarkt Obligationen mit einem besseren Ertrag angeboten. In manchen Anleihefonds befinden sich jedoch die alten, weniger ertragreichen Titel. Anleger werden solche Fondanteile abstoßen und sich Wertpapiere mit höheren Renditen besorgen. Bereits eine Zunahme der Verkaufsoptionen würde die Kurse der schlechter bestückten Fonds senken.
Wachsende Zinsen drücken auch deshalb den Preis von Anlagetiteln, weil auf dem Kapitalmarkt viel mit geliehenem Geld agiert wird. Vermindert sich die Differenz zwischen Kapitalerträgen inklusive Kursgewinnen einerseits und Zinskosten andererseits, dann nimmt das Verlustrisiko zu. Wer bei zu erwartenden Zinssteigerungen und relativ stagnierenden Kursen als erster seine Wertpapiere verkauft und sich entschuldet, kann unbeschadet davonkommen. Je mehr in Anlegerkreisen geunkt wird, dass sich das Zinsniveau anhebt, desto eher könnte ein Herdentrieb ausgelöst werden.
Der Glaube an ein inverses Verhältnis von Zinsen und Kursen beruht auf der impliziten Annahme, dass genügend Objekte bereit stehen, aus denen Anleger die jeweils ertragreichsten auswählen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn das Angebot erheblich hinter der Nachfrage zurückbleibt. Bietet ein Supermarkt gute und schlechte Äpfel an, würden die Kunden bei gleichem Preisniveau zur guten Ware greifen. Was geschieht aber, wenn diese zur Neige geht? Bei allgemeiner Knappheit könnten die schlechteren Äpfel sogar zu einem höheren Preis abgesetzt werden. Derselbe Effekt dürfte auf dem Kapitalmarkt eintreten, wobei es schwieriger wäre eine Preisschranke anzugeben, oberhalb derer sich kein Käufer mehr findet.
Nachdem der Markt von Anleihen mit höheren Zinserträgen geräumt ist, dürfte das Interesse für jene Titel steigen, die geringere Renditen abwerfen. Würde dann aber nicht das Zinsniveau allgemein sinken? In gewissem Umfang geschieht dies auch, wobei sich nicht einmal Negativzinsen als Hindernis erweisen. Allerdings orientieren sich Zinssätze primär an der Zahlungsfähigkeit der Kreditkunden, die von Banken und Rating-Agenturen beurteilt wird. Bei Unterschreitung eines gerechtfertigten Limits lassen sich Obligationen nur schwerlich auf dem Anlagemarkt absetzen.
Zinssteigerungen werden bei der Existenz eines Nachfrageüberhangs nicht nur gebremst, sondern sie beeinträchtigen auch kaum den Absatz und die Preise der Anlageobjekte. Stattdessen verursachen höhere Zinssätze gegenteilige Effekte. Manche Konsumenten und Investoren verzichten auf Kredite, da sie befürchten, den Schuldendienst nicht stemmen zu können. Banken konstatieren wachsende Risiken und weisen Kreditkunden mit mäßiger Bonität ab. Indem das Verschuldungsniveau sinkt, vermindert sich aber die verfügbare Menge an Anlagetiteln. Da die Nachfrage unverändert bleibt, vergrößert sich auf dem Kapitalmarkt die Kluft zum Angebot, was weitere Preisschübe auslösen kann.
Wachsende Kurse trotz sinkender Renditen
Steigende Zinsen beeinflussen nicht nur die Kapitalmärkte, sondern haben ebenso Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Die Konsumnachfrage der Haushalte wird sowohl durch einen höheren Schuldendienst als auch durch eine geringere Neuverschuldung belastet. Die daraus resultierenden Absatzeinbußen senken die Renditen der Unternehmen und veranlassen sie, laufende Ausgaben zu vermindern und weniger zu investieren. Dies schlägt sich neben gewachsenen Zinskosten für Anleihen auf die aktuellen und künftigen Erträge nieder. Höhere Gewinne der Anleger aus dem Geldverleih gehen mit Einbußen bei anderen Kapitalanlagen einher, die oft beträchtlich größer sind.
Es sei im Folgenden angenommen, dass steigende Zinssätze die Kapitaleinkünfte um durchschnittlich 10 Prozent senken und das Wachstum der (verfügbaren) Arbeitseinkommen von einem Prozent tilgen. Die Kapitalrendite würde von 3 auf 2,7 Prozent fallen. Das Anlagevermögen, in dem sich die Ertragsfähigkeit des Kapitaleinsatzes widerspiegelt, wäre um 600 geringer.
Tabelle 3 | ||||
Bevölkerungsgruppe | 1 Prozent | 99 Prozent | Summe | |
Arbeitseinkommen | 300 | 2700 | 3000 | |
Kapitaleinkommen | 146 | 16 | 162 | |
Gesamteinkommen | 446 | 2716 | 3162 | |
Konsum | 112 | 2689 | 2801 | |
Transaktionskasse | 22 | 538 | 560 | |
Anlagevermögen | 4860 | 540 | 5400 | |
Spekulationskasse | 486 | 54 | 540 | |
Kassenveränderung | -55 | -6 | -61 | |
Verbleibende Geldmittel | 389 | 33 | 422 |
Wie die Tabelle 3 ausweist, verbleiben nach Abzug von Konsum und Kassenveränderung Geldmittel in Höhe von 422. Wurde bislang eine Emission von Anleihen der Unternehmen angenommen, die einem Zehntel der Veränderung des Anlagevermögens entspricht, so bedeutet dies jetzt bei gleicher Kalkulation einen Schuldenabbau von 60. Wird dazu ein Rückgang der Spekulationskassen von 6 berücksichtigt, steigt der Überschuss auf insgesamt 488. Der um 141 höhere Wert im Vergleich zu den früheren Berechnungen beruht wesentlich auf der niedrigeren Bewertung des Anlagevermögens, wodurch die Spekulationskasse sinkt. Bleibt dieser Effekt unberücksichtigt, beträgt die Differenz immer noch 62.
Trotz des gefallenen Realwerts der Anlageobjekte würden die Kurse steigen, weil sich die überschüssige Liquidität vergrößert hat. Deren Wachstum erklärt sich dadurch, dass die Einkommen im Vergleich zu Tabelle 2 weniger abgenommen haben als die Aufwendungen für Konsum, Kassenhaltung und Investitionen. Die verbreitete Sichtweise, dass ein Rückgang wirtschaftlicher Aktivitäten allgemein zu fallenden Wertpapierkursen führt, ist damit widerlegt. Da die Erhöhung der Zinssätze ausschlaggebend war, findet sich eine weitere Bestätigung für die Annahme, dass wachsende Zinsbelastungen auf dem Anlagemarkt eher preistreibend wirken.
Umverteilung als mögliche Lösung
Steigende Aktienkurse werden häufig als Zeichen für eine prosperierende Wirtschaft interpretiert. Politiker sind geneigt, dies eigenen Verdiensten zuzuschreiben. Daher sind schwerlich Initiativen zu erwarten, die den Trend nach oben brechen könnten. Mit der Höhe des Kursniveaus nimmt dennoch die Angst vor einer Überhitzung auf den Wertpapiermärkten zu. Dabei wird eine Inflation der Anlageobjekte gewöhnlich als Blasenbildung interpretiert, obwohl es sich meist um das Resultat eines fortdauernden Nachfrageüberhangs handelt. Solange die globale Finanzarchitektur standhält, wird es jedoch kaum zu den mancherorts befürchteten massiven Einbrüchen der Vermögenspreise kommen.
Die eigentlichen Gefahren entstehen durch den Entzug von Liquidität aus dem Wirtschaftskreislauf, der die Realwirtschaft trifft. Da es augenscheinlich nicht genügend Anlageobjekte gibt, in die überschüssiges Geld fließen kann, bestehen nur zwei Lösungswege: Entweder müssen Geldmittel umverteilt oder neue Anlagebereiche erschlossen werden. Im ersten Fall wäre die Politik gefordert. Durch eine höhere Besteuerung von Gewinnen und Erbschaften oder eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer könnte Liquidität im notwendigen Umfang abgeschöpft und den 99 Prozent zugeteilt werden.
Wie groß der Umverteilungsbetrag im vorliegenden Modell sein muss, zeigt Tabelle 4. Die Besteuerung orientiert sich dabei am Wert des Anlagevermögens. Um den gesamten Überschuss absorbieren zu können, ist eine Belastung von 5,5 Prozent erforderlich. Die vom reichsten Prozent zu entrichtete zusätzliche Steuer beträgt in diesem Fall 303. Sie ist in der Tabelle von dessen Einkommen subtrahiert und den 99 Prozent zugeschlagen worden. Da auch die Bessergestellten innerhalb der Gruppe der 99 Prozent über Kapitalanlagen verfügen, wird ein Betrag von 34 intern umverteilt. Der Konsum des vermögenden Prozents soll unverändert bleiben, während er bei den 99 Prozent mit dem Einkommenszuwachs steigt.
Tabelle 4 | ||||
Bevölkerungsgruppe | 1 Prozent | 99 Prozent | Summe | |
Besteuerung | 303 | 34 | 337 | |
Gesamteinkommen | 165 | 3048 | 3213 | |
Konsum | 117 | 3018 | 3135 | |
Transaktionskasse | 23 | 604 | 627 | |
Anlagevermögen | 5508 | 612 | 6120 | |
Spekulationskasse | 551 | 61 | 612 | |
Kassenveränderung | 11 | 67 | 78 | |
Verbleibende Geldmittel | 37 | -37 | 0 |
Ein höherer Konsum erfordert zusätzliche Investitionen, sodass sich das Anlagevermögen vergrößert. Es können Unternehmensanleihen emittiert werden, zugleich wird die Spekulationskasse aufgefüllt. Wachsen Konsum und Anlagevermögen mit demselben Prozentsatz, dann vermindert sich der umzuverteilende Betrag nach der in Tabelle 3 verwendeten Berechnungsgrundlage auf 250. Gemessen an dem gestiegenen Wert der Kapitalanlagen entspricht dies einer steuerlichen Belastung von 3,8 Prozent.
Anstatt die überschüssigen Geldmittel durch eine höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften und Anlagevermögen im erforderlichen Umfang abzuschöpfen, handeln Politiker gerade gegenteilig. Der verbissene Kampf um Investoren und Großsteuerzahler zwingt Regierungen zu immer neuen Zugeständnissen. Um im Standortwettbewerb bestehen zu können, werden Steuerermäßigungen, Bürgschaften, Subventionen und Zuschüsse gewährt. Steuerflüchtlingen werden Straffreiheit und Steuernachlässe angeboten, damit sie ihre Vermögen repatriieren.
Dass die Regierungen der wirtschaftlich dominierenden Staaten nicht in der Lage sind, an einem Strang zu ziehen, erklärt sich aus Interessendivergenzen. So profitieren die USA und Großbritannien mittels ihrer Finanzplätze von wachsenden Einkommensunterschieden, wodurch sich Rückschläge für die Realwirtschaft kompensieren lassen. Ebenfalls können sich wettbewerbsfähige Volkswirtschaften wie die deutsche und die einiger ostasiatischer Staaten weitgehend schadlos halten, wenn sich auch ein wachsender Widerstand seitens der Defizitländer bildet.
Da sich eine konzertierte Aktion im globalen Maßstab als unmöglich erweist, ist es für einzelne Akteure opportun, auf eine Beggar-thy-neighbour-Politik zu setzen. Um die Wirtschafts- und Finanzelite nicht zu verprellen, halten sich politische Entscheidungsträger zudem mit Kritik und Initiativen gegen Steueroasen und Finanzspekulationen zurück. Ein zu lautstarkes Rütteln am Status quo käme einem wirtschaftlichen Suizid gleich.