Umweltschützer "blockieren" Waldzerstörung

Der Protest im Stile der internationalen Occupy-Bewegung richtete sich gegen das von der Regierung ins Parlament eingebrachte Waldgesetz

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Als Gott die Welt schuf, vergaß er Bulgarien. Auf sein Versäumnis aufmerksam gemacht nahm der Schöpfer von jedem Land der Erde etwas und gab es den Bulgaren. Mit diesem Schöpfermythos erklären sich die Bulgaren die landschaftliche Schönheit und Vielfalt ihres Landes. Es verfügt mit der Donau über einen mächtigen Strom, mit dem 2.925 Meter hohen Mussala über den höchsten Berg auf der Balkanhalbinsel sowie über eine mehr als dreihundert Kilometer lange Schwarzmeerküste. Und die bulgarische Hauptstadt Sofia rühmt sich gar, Europas einzige Kapitale zu sein, die mit dem 2.290 Meter hohen Vitoschagebirge über ein veritables Skigebiet direkt vor ihren Stadttoren verfügt.

Ein gutes Drittel des bulgarischen Territoriums ist Teil des von der Europäischen Union definierten Naturschutzgebiets Natura 2000. Damit liegt Bulgarien weit über dem EU-Durchschnitt von 18%. Sogar Bären und Wölfe sind bulgarischen Wäldern im Balkangebirge und in den mittelgebirgigen Rhodopen noch heimisch. Doch die Idylle trügt; vor allem die Badeorte am Meer wurden in den vergangenen Jahren zu in Beton gegossenen Mahnmalen der Naturzerstörung. In der Folge des Immobilienbooms seit 2004 wurden viele reizvolle Küstenstriche von Albena im Norden bis Zarevo im Süden mit gigantischen Feriensiedlungen und Hotelburgen von zuweilen grotesker Hässlichkeit zugebaut.

Als sich am Meer das Überangebot an Ferienimmobilien abzeichnete, verlagerte sich die Bauwut der Investoren ins Gebirge. Heute ist das Pirin-Städtchen Bansko, umgeben von einem Kranz neu errichteter Ferienwohnungen und Hotels, ein städtebauliches Exempel für die spekulative Endphase vor dem Platzen der Immobilienblase während der globalen Finanzkrise 2008. Derzeit steht jedes zweite Hotel in Bansko zum Verkauf, sagen Immobilienmakler und halten die Vermarktungsperspektiven für schlecht; vielen Verkäufern stehen wenige Kaufinteressenten gegenüber.

Vor allem jüngere Bulgaren haben in den letzten Jahren immer wieder gegen Naturzerstörung aus Profitinteressen protestiert. Zusammengeschlossen in der Koalition von Bürgerinitiativen Da ostane prirodata v Bulgaria (Für den Erhalt der Umwelt in Bulgarien) waren sie mehr als einmal erfolgreich in ihrem Kampf gegen umweltgefährdende Immobilienprojekte, so in Iraklia, einer der letzten verbliebenen intakten Meeresbuchten, und im Mittelgebirge Strandscha an der türkischen Grenze. Doch jetzt, so scheint es, haben ihren bisher wichtigsten Erfolg erzielt: Der im Januar 2012 ins Amt getretene Staatspräsident Rossen Plevneliev hat "auf Druck der Straße" sein Veto gegen die von der Regierung angestrebte Novellierung des Waldgesetzes eingelegt.

Über mehrere Tage hinweg blockierte ein vielhundertköpfiger, über Facebook mobilisierter Flashmob die Adlerbrücke in Sofia, einen der zentralen Verkehrsknotenpunkte der bulgarischen Hauptstadt. Der Protest im Stile der internationalen Occupy-Bewegung richtete sich gegen das von der Regierung ins Parlament eingebrachte Waldgesetz. Dieses sah vor, Waldgrundstücke müssten nicht länger förmlich und gegen hohe Gebühren in ihrer Nutzung umgewidmet werden, bevor sie beispielsweise mit Skiliften bebaut und als Skipisten genutzt werden könnten. Künftig sollten Investoren unbürokratisch und kostenlos Nutzungsrechte für Wald- und Wiesengrundstücke zur Errichtung von Skigebieten erteilt bekommen können.

Der Streit um das Waldgesetz hatte seinen Anfang bereits im vergangenen Herbst genommen. Damals gab der Skiliftbetreiber Vitoscha-Ski der Regierung unmissverständlich zu verstehen, sie werde ihre Liftanlagen im bevorstehenden Winter nicht in Betrieb nehmen, sollte die Regierung das Gesetz zu den Wäldern nicht in ihrem Sinne novellieren. Vitoscha-Ski sah sich durch die in Bulgariens ältestem Naturpark Vitoscha geltenden restriktiven Bebauungsregeln in ihren Plänen behindert, das Skigebiet zu modernisieren und zu erweitern. Wegen der kompromisslosen Haltung von Vitoscha-Ski mussten die Sofioter im vergangenen Winter trotz ungewohnt guter Schneeverhältnisse darauf verzichten, auf ihrem Hausberg Ski zu laufen.

Da die von der Regierung ins Parlament eingebrachte Gesetzesnovelle exakt den Forderungen von Vitoscha-Ski entsprach, kritisierten Umweltschützer sie als "lobbyistisch". Ministerpräsident Boiko Borissov wählte als Reaktion auf die massiven Straßenproteste zunächst die Vorwärtsverteidigung: "Natürlich ist das Gesetz lobbyistisch, es lobbyiert im Sinne der Skiläufer und Snowboarder", erklärte er. Nach dem Veto des Präsidenten änderte er seine Position. "Ich werde niemandem erlauben, meinen Namen zu beschmutzen und mir Lobbyismus vorzuwerfen", sagte er. Auch warnte er die Umweltschützer vor einer Instrumentalisierung ihres Protestes durch Regierungsgegner, doch sein Innenminister Tsvetan Tsvetanov ging darüber noch hinaus: "Den guten Absichten der Ökologen haben sich Subjekte angeschlossen, die mit der vertretenen Philosophie nichts gemein haben", sagte er, "zwischen schwangeren Müttern und jungen Mädchen" seien auch "Personen zu finden, die Bulgariens kriminellem Kontingent angehören".

Mit dem Veto des Präsidenten gegen die investorenfreundliche Novellierung des Waldgesetzes haben die Umweltschützer einen Etappensieg errungen, der prinzipielle Streit um die angemessene Nutzung von Bulgariens Naturschätzen dürfte indes weiter gehen. Bürger mehrerer Kurorte haben zuletzt für deren touristische Entwicklung demonstriert; sie versprechen sich davon Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Wohlstand.