Unabhängigkeitserklärung für Katalonien unterzeichnet, Wirkung ausgesetzt
Mit leichter Verspätung und nach massivem Druck wich Puigdemont etwas vom vereinbarten Fahrplan ab, um den Raum für Vermittlung und Dialog offen zu halten
Hat er oder hat er nicht? Die etwa 1500 Journalisten aus mehr als 150 Ländern, die sich im katalanischen Parlament am späten Dienstag zusammengedrängelt hatten, um zu hören, ob der katalanische Ministerpräsident die Unabhängigkeit ausruft, waren perplex. Und ähnlich ging es auch zehntausenden Menschen, die sich vor dem Parlament versammelt hatten, um die Parlamentarier zu schützen und dem historischen Akt beizuwohnen.
Mit einer deutlichen Verspätung von mehr als einer Stunde, als die Spannung einen Höhepunkt erreicht hatte, war es dann soweit gewesen. Carles Puigdemont hat die Unabhängigkeit tatsächlich verkündet, die Wirkungen nach dem Übergangsgesetz aber sofort wieder ausgesetzt und damit, wie von Telepolis erwartet, den Weg nach dem Vorbild Sloweniens eingeschlagen. Mit absoluter Ruhe, Gelassenheit und bisweilen mit einem Lachen auf dem Gesicht hat Puigdemont die Unabhängigkeit eindeutig erklärt, so wie es nach dem Referendumsgesetz vorgesehen ist.
Demnach musste eine Unabhängigkeitserklärung innerhalb 48 Stunden nach Verkündung des Endergebnisses kommen, wenn sich eine Mehrheit dafür entscheidet. Da das mit mehr als 90% der Fall war, musste Puigdemont auch handeln.
"An diesem historischen Moment angelangt", erklärte er, "übernehme ich das Mandat der katalanischen Bevölkerung, wonach sich Katalonien in einen unabhängigen Staat in Form einer Republik verwandelt (starker Applaus). Und das tun wir heute feierlich aus Verantwortung und Respekt." Doch dann fügt er an: "Mit der gleichen Feierlichkeit schlagen die Regierung und ich vor, dass das Parlament die Wirkung der Unabhängigkeitserklärung aussetzt, damit wir in den kommenden Wochen einen Dialog beginnen können, ohne den eine abgestimmte Lösung nicht möglich ist". Das gefiel nicht allen vor dem Parlament, wo es auch einige Pfiffe gab.
Nun fragte man sich im Parlament, von welcher Unabhängigkeitserklärung Puigdemont denn gesprochen hat. Wo ist sie? Nach der Debatte, in der die rechte spanische Opposition meinte, es werde nie eine Unabhängigkeit geben, weil Spanien das verhindern werde, wurde die Erklärung einen Stock tiefer im Auditorium unterzeichnet. Nun war die Frage, wie sich die CUP verhalten würde, da sich die CUP-Sprecherin Ana Gabriel schon in der Debatte sehr kritisch gezeigt hatte. "Vielleicht haben wir eine Chance verpasst", sagte die Sprecherin der Antikapitalisten. Man habe von der Aussetzung "eine Stunde vor dem Plenum" erfahren und "wir können die Aussetzung nicht akzeptieren" fügte sie an.
Doch eigentlich sprachen die Gesichter der CUP-Parlamentarier Bände, als die Gruppe das Auditorium betrat und die Plätze zugewiesen bekam. Man sah vor allem freudige und lachende Gesichter. Und als Gabriel aufgerufen wurde, um als erste CUP-Parlamentarierin die Erklärung zu unterschreiben, war alles geklärt. Mit den anderen Vertretern der Parteien, die die Einheitsliste "Junts pel Si" (Gemeinsam für das Ja) bilden, unterzeichnete sie die Erklärung als erste, die sie dann auch verlas. Auf die Unterzeichnung und diese Verpflichtung hatte die CUP gedrängt, sie trägt auch eine deutliche Handschrift der CUP und der linken ERC.
Gesprochen wird gleich zu Beginn davon, dass die soziale Frage einbezogen ist. "Wir bilden die katalanische Republik als unabhängigen und souveränen demokratischen Rechts- und Sozialstaat." Gedrängt wird darauf, dass Katalonien als Teil der EU die "sozialen und demokratischen Rechte" aller Menschen in Europa stärkt". Mit der Vorgehensweise wurde der Ball zurück nach Madrid gespielt. In der Erklärung wurde auch auf eine europäische Vermittlung gedrängt und eine "Intervention" mit Blick auf die Brutalität der spanischen Sicherheitskräfte gefordert, um die Verletzung von Grundrechten zu stoppen.
Bis zur letzten Minute war über die Entscheidung gerungen worden. Gegenüber Telepolis bestätigte der CUP-Sprecher Quim Arrufat genervt, dass sich Puigdemont so entschieden habe, weil sich eine Vermittlung abzeichnet. "Die Beziehungen sind nicht zerstört, aber angekratzt." In den nächsten Tagen könne die "Vertrauenskette" wieder aufgebaut werden, fügte er an. Die CUP fordert, den Dialog einen Monat zu versuchen und dann die effektiven Schritte einzuleiten, wenn er keine Ergebnisse bringt.
Die katalanische Regierung präsentiert sich vor der Weltöffentlichkeit also erneut als dialog- und vermittlungsbereit und spielt den Ball nach Madrid, wo man seit Jahren immer wieder nur auf Dialogverweigerung stößt, wie auch Puigdemont in seiner Rede bekräftigt hatte.
Das Vorgehen hat in Madrid jedenfalls alle repressiven Vorhaben zunächst ausgehebelt. Denn unverhohlen hatte die postfaschistische Volkspartei (PP) mit der Verhaftung von Puigdemont und anderen gedroht und sogar vor Morddrohungen nicht zurückgeschreckt. Es war abzusehen, dass die katalanische Autonomie ausgesetzt werden würde. Dass man in Madrid wieder einmal nicht weiß, wie man mit der Lage umgehen soll, zeigt sich darin, dass Ministerpräsident Rajoy eine geplante Rede absagte und heute eine Krisensitzung angesetzt hat, um sich danach zu erklären.