"Undemokratisch und faschistoid"

Minarett in Dortmund. Bild: smial/FAL

Der Publizist Jürgen Todenhöfer über den Anti-Islam-Kurs der AfD, das Gefahrenpotenzial von Religion und die Lehren der Statistik

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Im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger verteidigt der Publizist Jürgen Todenhöfer die Demokratie-Fähigkeit des Islam und der Muslime. Kein gutes Haar lässt er am Programm der AfD. Deren Ansichten zum Islam nennt der ehemalige CDU-Abgeordnete "verfassungsfeindlich". Dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen und dessen Aussage, dem Islam wohne als Religion eine Gefahr inne, die andere Religionen nicht hätten, attestiert Todenhöfer eine "totale Verdrehung der Realitäten".

Die überwältigende Mehrheit der Muslime ist wahrscheinlich demokratiefreundlicher als viele AfD-Mitglieder.

Jürgen Todenhöfer

Viele Zuwanderer seien glücklich, in einer Demokratie leben zu können. Mit Blick auf die Minarette und den Ruf des Muezzins - bei der AfD wichtiger Bestandteil des gerade abgehaltenen Parteitags - spricht der Interviewte vom Versuch der Volksverdummung, da es in Deutschland nur drei Städte gebe, in denen der Muezzin zum Gebet rufe: Rendsburg, Neumünster und Gladbeck.

In der Vergangenheit hatte sich Todenhöfer immer wieder zum Thema Islam geäußert, im vergangenen Jahr gar den so genannten "Islamischen Staat" bereist. Vorigen Mai (2015) hatte er einen Offenen Brief an IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi verfasst, darin nennt Todenhöfer das Verhalten des Chefs der Terrormiliz "antiislamisch", "unbarmherzig" und bezeichnet es als "Gegenprogramm zum Propheten Mohammed".

Todenhöfer als Briefeschreiber, oder: Koransuren gegen das Töten

Der angesprochene IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi (geb. 1971) bezeichnet sich seit Juni 2014 als "Kalif Ibrahim" sowie "Amīr al-Mu'minīn" (Führer der Gläubigen) und sieht sich selbst in der Nachfolge des Propheten Mohammed.

Todenhöfer, der für seinen Hang zu offenen Briefen bekannt ist, zitierte in seinem Schreiben an den "Kalifen" etliche Suren und hält sie dem selbsternannten Führer vor, die Argumentation stützt sich auf den Koran als Quelle und gipfelt in dem Vorwurf:

Die Sure, gegen die Sie am meisten verstoßen, lautet: Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als habe er die ganze Menschheit getötet. Wenn er aber einem Menschen das Leben rettet, so ist es, als habe er die ganze Menschheit gerettet (5:32). Sie haben nie Menschenleben gerettet. Immer nur gnadenlos getötet. Sie schaden damit der gesamten muslimischen Welt. Sie sind zur Zeit der größte Feind des Islam.

Jürgen Todenhöfer

Jetzt legt der Briefeschreiber nach und zitiert Studien wie die des angesehenen "European Social Survey", die alle zwei Jahre durchgeführt werden. Ein Ergebnis laute so: "In Deutschland ist die Zufriedenheit mit der Demokratie bei Muslimen höher als bei Christen". Das, so Todenhöfer, sei "eine Ohrfeige gegenüber einer Partei, die demagogisch den Eindruck zu erwecken sucht, der Islam passe nicht zu unserem Land".

Welche Religion, bitte, ist gefährlicher?

Schließlich, die von George Bush ausdrücklich "christlich" legitimierten Kreuzzüge hätten den Tod von 1,3 Millionen Menschen im Irak, in Afghanistan und Pakistan zu verantworten; auf das Konto der Terroristen von al-Quaida und des "IS", die "islamistisch" argumentierten, gingen im Westen - einschließlich der Terroranschläge vom 11. September 2001 - 3.750 Opfer. Die Statistik zeige, dass das Vorurteil nicht zutreffe, dass von Menschen, die gemäß dem Islam leben, eine besondere Gefahr ausgehe.

Todenhöfer fügt allerdings hinzu: "Ich sehe die Muslime in der Verantwortung, die Quellen ihrer Religion richtig zu lesen und im Gesamtkontext zu interpretieren." Beim Thema "Frauen" sieht Todenhöfer noch ein "große(s) ungehobene(s) Potenzial der muslimischen Welt".