Ungarn blockiert Ausbau der Zusammenarbeit zwischen NATO und Ukraine
Der Magyarenstaat will durch Druck erwirken, dass die ungarische Minderheit in Ruthenien weiter in ihrer Muttersprache unterrichtet werden darf
Übereinstimmenden Medienberichten nach blockiert das NATO-Land Ungarn eine vom Militärbündnis angestrebte engere Zusammenarbeit mit der ehemaligen Sowjetrepublik Ukraine. Angeblich ist deshalb unklar, ob ein für kommende Woche angesetztes Treffen der NATO-Ukraine-Kommission wie geplant auf Botschafterebene stattfinden kann.
Deutschland und zehn andere der insgesamt 29 NATO-Mitgliedsländer sollen die ungarische Regierung deshalb in einem gemeinsamen nicht öffentlichen Brief dazu aufgefordert haben, "bilaterale Konflikte" nicht in innerhalb des Militärbündnisses auszutragen. Von der NATO-Zentrale in Brüssel wird das bislang weder bestätigt noch dementiert - stattdessen verweist man auf "laufenden Projekte" mit der Ukraine, die fortgesetzt würden.
Den "bilateralen Konflikt", um den es geht, lösten das ukrainische Parlament und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko im September mit einem Unterrichtssprachgesetz aus, dem die Venedig-Kommission des Europarates am Freitag bescheinigte, Minderheiten zu diskriminieren. Das Gesetz sieht vor, dass ab 2020 auch in Grundschulen nur noch auf Ukrainisch unterrichtet werden darf (vgl. Ukraine im Kampf für die nationale Einheit). Damit richtet es sich vor allem gegen die Russischsprecher im Süden und Osten des Landes, trifft aber auch Rumänisch- und Ungarischsprecher.
Für die Ungarn würden die potenziellen Nachteile noch spürbarer sein, weil ihre nicht-indoeuropäische Sprache (anders als das Russische), mit dem Ukrainischen nicht nur nicht eng, sondern gar nicht verwandt ist. Setzt man Kinder im Grundschulalter einem Unterricht in einer derart fremden Sprache aus, besteht die Gefahr, dass sie sich daran gewöhnen, ihm nicht zu folgen, sondern sich anderweitig zu beschäftigen.
Die ungarische Minderheit in der Ukraine lebt in Ruthenien - einem Gebiet, das der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik erst 1946 zugeschlagen wurde. Von 1920 bis 1939 gehörte es zur Tschechoslowakei, vorher vom 10. Jahrhundert an zu Ungarn. Heute leben dort neben etwa einer Million Ukrainer (von denen sich viele aus der Habsburgerzeit eine eigene ethnische Identität als Ruthenen beziehungsweise "Russinen" bewahrt haben) etwa 150.000 Ungarn, 30.000 Russen und 30.000 Rumänen, letztere vor allem im Südosten des Gebiets.
Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó hatte bereits im Oktober angekündigt, zusammen mit der rumänischen Regierung über das Verhindern einer weiteren Anbindung der Ukraine an die EU Druck auszuüben, damit die ehemalige Sowjetrepublik das neue Unterrichtssprachgesetz annulliert. "Petro Poroschenko", so Szijjártó damals, "hat bislang von einer europäischen Ukraine gesprochen - ab sofort kann er das vergessen."
Abwanderung nach Ungarn
Außerdem warnte der ungarische Außenminister die Ukraine vor Sanktionen, die man beantragen werde, wenn eine juristische Prüfung ergibt, dass das Unterrichtssprachengesetzt gegen das 2014 unterzeichnete Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU verstößt. Der ungarischen Tageszeitung Magyar Nemzet zufolge hat Szijjártó Vertretern der ungarischen Minderheit in der Ukraine gegenüber auch eine Revision dieses Assoziierungsabkommens in Aussicht gestellt, falls die ukrainische Staatsführung im Sprachenstreit nicht einlenkt.
Nach anti-ungarischen Demonstrationen und Denkmalschändungen nationalistischer Ukrainer in Ruthenien forderte der Fidesz-Politiker letzte Woche die OSZE auf, Beobachter zu entsenden, um die Minderheit zu schützen. Sein ukrainischer Amtskollege Pawel Klimkin räumte inzwischen via Twitter ein, dass Ungarn in großer Zahl die Ukraine verlassen, äußerte sich aber nicht zu den Ursachen. Hier könnten auch Pull-Faktoren im nicht nur wirtschaftlich weit besser funktionierenden Ungarn eine Rolle spielen, das seit 2010 Doppelpässe an ethnische Magyaren in der Slowakei, Rumänien, Serbien und anderen Ländern ausgibt.