Union gerät durch Wirtschaftskrise und Wahlen in die Klemme
Während die Unionsführung Steuererhöhungen offiziell ablehnt, wird in der CDU eine dritte Mehrwertsteuer oder eine Reichensteuer gefordert
Der Steuerdebatte in der Union das Attribut Schlingerkurs anzuheften, ist falsch. Vielmehr wird der CDU/CSU-Dampfer steuerungs- und führungslos auf hoher See von schweren Konjunkturwellen hin und her geworfen. Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte nun ein Machtwort zu sprechen, weil zunehmend von Parteiführern Wahrheiten ausgesprochen werden, dass angesichts von Milliardenprogrammen zur Rettung von Banken die Staatseinnahmen erhöht und/oder Ausgaben drastisch gesenkt werden sollen, denn zusätzlich brechen die Einnahmen wegen der Konjunkturschwäche weg.
Die Mehrwertsteuer eignet sich besonders, weil eine Anhebung erneut schnell viel Geld in die Kasse spülen würde. Populistisch werben einige in der Union aber auch für eine Art Reichensteuer über die Anhebung des Spitzensteuersatzes. Die dürfte zwar nicht kommen, aber trotz des Dementis von Merkel ist mit einer Anhebung des abgesenkten Mehrwertsteuersatz genauso zu rechnen wie mit drastischen Einschnitten ins soziale Netz.
Da reibt man sich seit Tagen erstaunt die Augen über die Debatte, die in der CDU und CSU tobt. Angesichts der Vorschläge, die aus den Reihen der Union auf die Öffentlichkeit herabprasseln, fragt man sich, ob einige von Merkels Unionsfreunden nicht die Partei verwechselt haben.
Vorwerfen kann man das Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger allerdings nicht, der in den vergangenen Tagen die Debatte um Mehrwertsteueranhebung losgetreten hat. Oettinger eignete sich die Position des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) an. Dessen Präsident hatte in dieser Woche unmissverständlich erklärt: "Mittelfristig wird sich die Regierung einer Anhebung der Mehrwertsteuer nicht entziehen können". Klaus Zimmermann forderte zudem mehr Ehrlichkeit von den Politikern.
Als CDUler hatte Oettinger standesgemäß vorgeschlagen, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, der etwa auf Lebensmittel, Bücher und Schnittblumen erhoben wird, von 7 auf 9,5 % anzuheben. Das träfe die Klientel der Besserverdienenden im Ländle nur gering. Es würde aber das Leben von Menschen mit geringem Einkommen verteuern, die einen großen Teil des Geldes für Güter ausgeben, auf die der abgesenkte Steuersatz angewendet wird. Praktisch wäre das auch eine Kürzung der Lohnersatzleistungen wie Renten, Arbeitslosengeld und Hartz IV. Gegenfinanzieren wollte Oettinger damit die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Restaurants.
Die Debatte in der Union geht aber offenbar noch darüber hinaus, so hatte die "Bild"-Zeitung berichtet, es werde darüber nachgedacht, den ermäßigten Satz ganz zu streichen und im Gegenzug einen allgemeinen Steuersatz von 18 % einzuführen. Das wäre für die Union eigentlich nur konsequent, denn damit würden die Besserverdienenden gegenüber den geringen Einkommen sogar weiter entlastet (Union will Bankenrettung angeblich mit Massenobdachlosigkeit finanzieren). Es wäre die praktische Fortsetzung der Politik, die seit Jahren betrieben wird, weshalb die Schere zwischen Arm und Reich sogar in den Jahren des Aufschwungs weiter auseinander ging. So hatte die Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) ermittelt, dass die Einkommensungleichheit in Deutschland wie in keinem anderen Land der 29 OECD-Mitgliedsstaaten schneller gewachsen ist. Allerdings ist klar, dass sich angesichts der Krise und den Milliarden, die vor allem in Banken, aber auch in ein Konjunkturprogramm oder zur Förderung der Autoindustrie gepumpt wurden, keine Bundestagswahlen im Herbst gewinnen lassen.
Deshalb versuchten zum Wochenende sowohl die Bundeskanzlerin, der CDU-Generalsekretär und der CSU-Chef die Truppen zur Ordnung zu rufen und dementierten die Überlegungen, die aus den Hinterzimmern der Union in die Öffentlichkeit getragen wurden (Unionswunder: Steuererhöhungen, die niemanden belasten). Angela Merkel erklärte: "Mit mir wird es in der nächsten Legislaturperiode keine Erhöhung geben, weder des vollen noch des reduzierten Mehrwertsteuersatzes", behauptete Merkel. Sie versuchte ein Machtwort zu sprechen: "Jede Diskussion über die Mehrwertsteuer ist schädlich für die Konjunktur", sagte sie und ließ weg, dass sie nur die derzeitige Konjunktur meint. Schließlich hatte sie vor drei Jahren diese Steuer so stark wie niemals zuvor erhöht. In der Krise müsse es um Entlastungen, nicht um Belastungen gehen, sagte Merkel.
Der CSU-Chef Seehofer erklärte: "Ich werde keinen Koalitionsvertrag unterzeichnen, wenn darin eine höhere Mehrwertsteuer enthalten ist. Wenn Steuersenkungen sinnvoll sind, um Wachstum und Arbeitsplätze zu befördern, dann bewirken Steuererhöhungen genau das Gegenteil. Sie sind Gift für die Wirtschaft und kommen nicht in Frage."
Ronald Pofalla bezeichnet es als "absoluten Unsinn", dass in der Union Steuererhöhungen geplant würden. Als Einzelmeinung Oettingers stellte der CDU-Generalsekretär den Vorschlag dar, dabei hat sich inzwischen auch der finanzpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Otto Bernhardt, öffentlich für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgesprochen. Und dumm ist es für die Unionsspitzen natürlich auch, was der niedersächsische CDU-Landesgruppenchef im Bundestag, Enak Ferlemann, gerade in der "Welt am Sonntag" verkündet hat: "Wir diskutieren, ob es eine Lösung sein kann, einen dritten Mehrwertsteuersatz einzuführen, um die Ungerechtigkeiten im Steuersystem zu beseitigen." Dieser dritte Satz könne zwischen dem ermäßigten von sieben Prozent und dem normalen von 19 Prozent liegen und für Gastwirte gelten.
Von einer Einzelmeinung kann also keine Rede sein und die Überlegungen gehen, je nach wahlpolitischem Kontext, sogar noch deutlich darüber hinaus. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) fordert angesichts einer starken Linken in Ostdeutschland im "Tagesspiegel am Sonntag" höhere Steuern für Besserverdienende: "Bei immer weniger Menschen sammelt sich ein immer größeres Vermögen. Das kann eine Gesellschaft auf Dauer nicht aushalten", sprach Böhmer eine schlichte Weisheit aus. Er habe deshalb nichts gegen höhere Steuersätze für Spitzenverdiener wie Manager oder Fußballstars.
Unions-Führung will die Debatte in der Öffentlichkeit abwürgen
CDU und CSU wollen heute ihr gemeinsames Programm für die Bundestagswahl beschließen und dazu kommen ihre Parteivorstände in Berlin zusammen. Die Unionsführung "westerwellt" und geht offizielle auf die Position der FDP zu. Sie will nun sogar Steuererleichterungen in einer Gesamthöhe von 15 Milliarden Euro versprechen. Dass sich zusätzliche Steuererleichterungen angesichts einer Rekordverschuldung über neues Wachstum finanzieren ließen, hält aber auch der Wirtschaftsweise Wolfgang Wiegard schlicht für "naiv". Bei dem Versprechen geht es nur darum, die zukünftige geplante Regierungskoalition festzuklopfen und der aufsteigenden FDP Wähler abzugraben.
Was die Regierung nach der Wahl durchführt, steht auf einem ganz anderen Blatt, schließlich wurde auch die heftigste Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik gegen ein ausdrückliches Wahlversprechen durchgezogen, als die Große Koalition 2006 die Anhebung der Mehrwertsteuer um gleich 3 % durchzog. Schon jetzt fällt auf, dass im Entwurf für das Wahlprogramm der Union kein Datum für die angeblich geplanten Steuersenkungen genannt wird. Dass die Kanzlerin in der Krise sich zum Teil in wenigen Stunden praktisch von den Positionen verabschiedete, die sie noch kurz zuvor im Bundestag vertreten hat (Und nun kommt doch ein "EU-Konjunkturpaket"...) spricht kaum für ihre Glaubwürdigkeit in der jetzigen Debatte.
Steuerpolitisch müsste sich die Union angesichts der konträr zur Schau gestellten Ansichten eigentlich auflösen. Böhmer könnte sich mit seiner Reichensteuer der Linken anschließen. Merkel, Seehofer und Pofalla müssten sofort das Parteibuch der FDP übernehmen, wenn sie das ernst nähmen, was sie zur Steuerdebatte sagen. Ferlemann könnte sich mit seinem dritten Steuersatzmodell und der Forderung nach angeblich mehr Steuergerechtigkeit der SPD anschließen, der ja auch nicht viel mehr als Bankenrettung und Steuererhöhung einfällt. Die versüßt das zwar mit etwas Reichensteuerdebatte, wobei auch bei der SPD ernsthaft bezweifelt werden darf, ob sie eine stärkere Besteuerung der Reichen will. Oettinger, der zu den Grundwerten der CDU steht, würde dann also bald ziemlich einsam dastehen.
Doch er muss sich keine Sorgen machen, denn tatsächlich will die Union die Steuern anheben, auch die Mehrwertsteuer. Merkel, Seehofer und Pofalla wollen es nur vor den Wahlen nicht deutlich sagen. Eine andere Möglichkeit wäre noch die Ausgabenbegrenzung, um die immer größer werdenden Haushaltslöcher zu stopfen. Da bieten sich vor allem die Sozialleistungen an, wo hohe Summen eingespart werden könnten. Deshalb müssen die Meldungen ernst genommen werden, dass die Union auch darüber nachdenkt, Hartz-IV-Empfängern nicht mehr die tatsächlichen Unterkunftskosten, sondern nur mehr eine Pauschale zu zahlen. Letztlich sind das zwei Seiten der gleichen Medaille, die wohl gepaart nach der Wahl zur Anwendung kommen dürften.