50 Milliarden für Wahlkampfgeschenke
Das größte Konjunkturprogramm der Geschichte der Bundesrepublik soll pünktlich zum Bundestagswahlkampf ab dem 1. Juli wirken
Die große Koalition hat das bisher größte Konjunkturprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen, mit dem im Superwahljahr 2009 die Bürger entlastet werden sollen. Obwohl es nie Konjunkturprogramme geben sollte, wurde zwei Monate nach dem ersten nun schon das zweite Paket verabschiedet. Es ist ein Mischmasch an Maßnahmen, die sich mehr aus der Koalitionsarithmetik als aus realen Notwendigkeiten erklären. Nur so ist gewährleistet, dass jede Koalitionspartei vor den Wahlen Erfolge verbuchen kann: Von einer Verschrottungsprämie für Altautos und Infrastrukturmaßnahmen sind über Bürgschaften für Firmen in einer Höhe bis zu 100 Milliarden Euro, eine Einmalzahlung zum Kindergeld von 100 Euro oder eine Senkung der Krankenversicherungsbeiträge, die gerade erst massiv angehoben wurden, fast alles dabei. Ein schwach gesenkter Eingangssteuersatz, statt 15 bald nur noch 14 %, und die leichte Anhebung des Grundfreibetrags sollen auch die unteren Lohngruppen entlasten. Wer keinen Job hat, profitiert erneut praktisch nicht von dem Paket. Allerdings kostet dieses Paket die höchste Neuverschuldung in der Geschichte, für die alle später einmal aufkommen müssen. Dass es Kritik von allen Seiten hagelt, darf nicht verwundern.
Eigentlich sollte es ja gar nie Konjunkturprogramme geben. Noch vor einem Jahr erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lautstark, Deutschland drohe, anders als anderen Ländern, keine Rezession (Börsen in Panik). Doch wie alle wissen, hat die nun auch Deutschland Link auf /tp/blogs/8/118829. Mit Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) im Schlepptau versuchte sich Merkel monatelang in Psychologie. Beide wollten die tiefe Krise schlicht wegzudiskutieren. Sie verteilten hämisch Ratschläge in alle Welt, um dann kleinlaut in die Stapfen derer zu treten, die zuvor heftig kritisiert wurden. Steinbrück machte aus der Finanzkrise ein Link auf /tp/blogs/8/116482, legte aber kurz darauf zaghaft ein Konjunkturprogramm auf (Am staatlichen Geldtropf) und stimmte die Bevölkerung allmählich auf ein Horrorjahr 2009 ein (US-Regierung will Citigroup retten).
Merkel kritisierte Irland zunächst scharf dafür, dass die Regierung eine unbegrenzte Garantie für die Einlagen der Sparer bei Banken aussprach, Großbritannien wurde für die Verstaatlichungen der Banken angegriffen. Doch kurz darauf stieß Merkel mit ihrem Alleingang den EU-Kollegen vor den Kopf, als sie eine Komplettgarantie für alle Spareinlagen in Deutschland verkündete. Auch mit den Bankenverstaatlichungen wurde nun begonnen, damit die Commerzbank die Dresdner Bank übernehmen kann, auch wenn man das Kind nicht beim Namen nennen will. Jetzt folgte die Deutsche Bank, an der sich die Post und damit auch der Staat beteiligt.
In einem zentralen Punkt folgte die Koalition bisher nicht dem Weg, den der Brite Gordon Brown vorgezeichnet hat: Die umstrittene Erhöhung der Mehrwertssteuer von 16 auf 19 % nimmt die Regierung nicht zurück, obwohl dies auch die EU-Kommission befürwortet. Großbritannien hat sie von 17,5 auf 15 % reduziert, um die Konjunktur anzukurbeln.
Man muss kein Freund von Brown sein, um angesichts des Schlingerkurses in Berlin anzuerkennen, dass er einigermaßen schnell und beherzt gehandelt hat. Mit der Senkung der Mehrwertsteuer sorgte er für erhöhte Kaufkraft in allen Schichten der Bevölkerung. Vor allem Geringverdienern, Arbeitslosen, Rentnern, Sozialhilfeempfängern kommt das besonders zu gute. Das lindert nicht nur deren prekäre Lage, sondern kurbelt auch die Wirtschaft direkt an, weil die sozial Schwachen die erhöhte Kaufkraft nicht auf die hohe Kante legen können.
Krise als Chance?
Das soweit als Vorbemerkung und als Stütze zur Erinnerung, weil sich die Lage in Deutschland gänzlich anders gestaltet. Es stellt sich hier die Frage, ob eine Regierung entsprechende Maßnahmen Krisenbekämpfung beschließen kann, die bei der Analyse und bei den bisherigen Bekämpfung versagte. Nach einem Bankenrettungspaket in einer Höhe von eine halben Billion Euro kleckerte sie mit dem ersten Konjunkturpaket anstatt zu klotzen. Mit der Verabschiedung des zweiten Pakets gibt sie zu, dass sie die eigene Propaganda nicht glaubte, wonach das erste Paket den kommenden zwei Jahren Investitionen in einer Höhe von 50 Milliarden Euro anstoßen und eine Million Jobs retten könne. Statt schnell zu handeln, hat sie das Kind ein Stück tiefer in den Brunnen fallen lassen. Dass im Dezember die Arbeitslosenzahlen erstmals wieder Link auf /tp/blogs/8/121516 sind, machte das deutlich. Führungsstärke sieht anders aus.
Doch wer nun endlich auf ein beherztes Eingreifen der Regierung gehofft hatte, wird erneut enttäuscht. Darüber täuschen auch die großen Worte von Merkel im Bundestag heute nicht hinweg. Sie hat das zweite Paket in einer Sondersitzung als umfassende Antwort auf die Wirtschafts- und Finanzkrise bezeichnet. Sie sprach sogar von einem Modernisierungsschub für das kommende Jahrzehnt. "Wir wollen diese Krise nicht nur einfach überstehen, Deutschland soll aus dieser Krise stärker und zukunftsfester herauskommen als es hineingeht." Merkel will die Krise als "Chance" nutzen und bezeichnete das Paket als Beispiel für "Handlungsfähigkeit" der Regierung.
Zwar sollen mit dem zweiten Konjunkturpaket nun direkt 50 Milliarden Euro in die Hand genommen werden, doch das wird dauern. Und anders als in Großbritannien werden sozial Schwache davon kaum profitieren. Da das Superwahljahr erst mit den Europaparlamentswahlen und Kommunalwahlen im Juni so richtig beginnt, soll das Programm am 1. Juli in Kraft treten und vor den Landtagswahlen im August der Bundestagswahl im September als Munition im Wahlkampf dienen.
Von einer schnellen und wirksamen Krisenbewältigung kann nicht gesprochen werden
Doch selbst wenn die Maßnahmen im Sommer endlich auf den Weg kommen, wird es noch einmal Monate dauern, bis sie tatsächlich eine Wirkung entfalten können. Da wäre zum Beispiel das Kernstück: Über zwei Jahre verteilt sollen 17,3 Milliarden Euro in die Sanierung von maroden Schulen und Universitäten, Straßen und Schienenwege, sowie den Ausbau der Internet-Breitbandanschlüsse gesteckt werden. Das sind sicher vernünftige Maßnahmen, doch da derlei Aufträge ausgeschrieben und geplant werden müssen, wird davon in diesem Jahr kaum noch etwas zu spüren sein und bis dahin werden Hunderttausende den Job verlieren.
Ähnlich sieht es auch mit den schwachen Steuererleichterungen aus, wo Geringverdiener etwas entlastet werden sollen. Der Eingangssteuersatz werde zwar rückwirkend zum 1. Januar von 15 auf 14 Prozent gesenkt und der steuerfreie Grundfreibetrag 2009 von 7664 auf 7834 Euro angehoben, doch auch hier wird die geringe Erleichterung zum Großteil erst über den Lohnsteuerjahresausgleich im nächsten Jahr fühlbar werden. 2010 steht noch einmal eine geringe Erleichterung an, wenn der Grundfreibetrag auf 8004 Euro angehoben wird. Doch auch dann ist er noch weit davon, dass das Minimum zum Leben ohnehin steuerfrei sein sollte. Die Reichen, die vor allem in den letzten Jahren vom Wachstum profitiert haben, werden nun doch nicht zur Kasse gebeten, um ihren Beitrag zur Erholung zu leisten. Den Plan der SPD, die Einkommensteuer für Großverdiener von 45 auf 47,5 Prozent zu erhöhen, soll an der Union gescheitert sein, reden sich die Sozialdemokraten aus der Verantwortung.
Statt von der umstrittenen pauschalen Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für Versicherte bei gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des Gesundheitsfonds auf 15,5 % Abstand zu nehmen, soll an dem umstrittenen Projekt festgehalten werden. Mit dem Konjunkturpaket soll der Beitragssatz im Juli aber wieder auf 14,9 Prozent gesenkt werden. Er liegt damit für viele noch immer deutlich über dem Beitragssatz von 2008. Genau 1 % kostet den Autor dieses Artikels auch ab Juli dann die Krankenversicherung noch mehr als 2008. Ob man von einer Absenkung sprechen kann ist fraglich und davon haben ebenfalls die nichts, die keinen Job haben.
An Geringverdienern und sozial Schwachen geht auch die von der SPD durchgesetzte Abwrackprämie für Autos weitgehend vorbei. 2500 Euro erhält, wer im laufenden Jahr sein mindestens neun Jahre altes Auto verschrottet und dafür einen Neuwagen kauft. Wer gerade so über die Runden kommt, wird sich auch mit dem Zuschuss kein neues Auto kaufen können. Es wird also zu Mitnahmeeffekten derer kommen, die sich ohnehin ein neues Auto kaufen wollten.
Ein wenig ökologisches Umsteuern, um die Umweltorganisationen nicht gänzlich zu verprellen, ist auch im Paket, obwohl diese die 50 Milliarden als Geschenkpaket für die Industrie bezeichnen (Geschenke für die Industrie). Die Kfz-Steuer soll zum 1. Juli vom Hubraum auf den CO2-Ausstoß umgestellt werden. Für Fahrzeuge, die weniger als 120 Gramm des schädlichen Klimagases ausstoßen, wird keine Steuer mehr fällig. Für ältere Autos wird die Besteuerung nach einer Übergangszeit ab 2013 auf den CO2-Ausstoß umgestellt, womit ebenfalls ärmere zur Kasse gebeten werden, die sich die teure Neuanschaffung nicht leisten können.
Die Kinderarmut wird durch das Paket auch weiter verschärft. Wer für seine Zöglinge Kindergeld bekommt, erhält vom Staat einen einmaligen Bonus von lächerlichen 100 Euro je Kind. Der Bonus wird zudem bei der Einkommensteuererklärung mit den Kinderfreibeträgen verrechnet, weshalb auch diese Maßnahme erst im nächsten Jahr spürbar wird. Die Ärmsten sind davon erneut weitgehend ausgeschlossen, auch wenn die Hartz-IV-Regelsätze wenigstens für Schulkinder von 6 bis 13 Jahren erhöht werden sollen.
Geholfen werden soll aber den Unternehmen, die von der Krise gebeutelt werden. Auch sie sollen weich ins staatliche Rettungsnetz fallen können. Die Regierung einigte sich schwammig auf ein 100 Milliarden Euro umfassendes Bürgschaftsprogramm für Firmen, die von den Banken nicht ausreichend mit Krediten versorgt würden. Die Bürgschaften sollen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vergeben werden, wobei die Staatsbank bis zu 80 % des Risikos der Bank übernehmen kann, die den Kredit vergibt.
Von einer schnellen, beherzten und zielgerichteten Krisenbewältigung kann also nicht gesprochen werden. Man braucht kein Experte zu sein, um vorherzusagen, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland noch weiter auseinander gehen wird. Schon in den vergangenen Wachstumsjahren ist die Einkommensungleichheit in Deutschland wie in keinem anderen Land der 29 OECD-Mitgliedsstaaten schneller gewachsen
Mit einem Sammelsurium in eine massive Neuverschuldung
Doch das ganze Programm wird auch noch mit einer massiven Neuverschuldung finanziert, wie es sie niemals in der Geschichte der Bundesrepublik gab. Statt wie geplant eine niedrige Neuverschuldung aufzuweisen und 2011 sogar ohne neue Schulden auszukommen, droht im nächsten Jahr die höchste Neuverschuldung in der Geschichte Deutschlands. Steinbrück rechnet mit einem Haushaltsdefizit von mehr als vier Prozent. Damit würde Deutschland die im EU-Stabilitätspakt festgelegte Grenze von 3 % verfehlen. 2009 erwartet er sehr optimistisch noch, dass die Neuverschuldungsgrenze einigermaßen einhalten werden könne. "2010 werden wir dagegen wohl über vier Prozent liegen", sagte er in einem Interview. Demnächst will die Koalition aber eine Schuldenbremse im Grundgesetz verankern, um die Kritiker zu besänftigen. Die soll spätestens 2015 in Kraft treten. Bund, Länder, Kommunen und Sozialkassen sollen dann nur noch 0,5 % pro Jahr neue Schulden aufnehmen dürfen. So definiert die EU den ausgeglichenen Haushalt. Beim deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) wären das 12,5 Milliarden Euro, wobei der Staat in Notsituationen die Kreditaufnahme allerdings doch darüber hinausgehen dürfe.
Angesichts der klaren sozialen Schieflage des Pakets, äußern sich Gewerkschaften und Sozialverbände sehr kritisch. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, erklärte, die Bundesregierung habe die historische Chance vertan, Konjunkturmaßnahmen mit einer wirksamen Bekämpfung der Armut zu verbinden. Die Caritas begrüßte zwar die Anhebung von Hartz-IV-Leistungen für Schulkinder, forderte aber eine Erhöhung über die Grenze von 13 Jahren hinaus. Die Steuersenkungen hält der DGB-Chef Michael Sommer für unzureichend.
Auch die Opposition lehnt die Maßnahmen ab. Einig waren sich in der Bewertung die Grünen und die Liberalen, beide prangerten an, dass es sich um ein "Sammelsurium" handele, dass ungeeignet ist, um die konjunkturelle Krise in Deutschland abzuwenden, meinte FDP-Chef Guido Westerwelle. Es handele sich um einen "Wettbewerb der Hilflosigkeit" und diene nur dem Koalitionsfrieden. Er will über den Bundesrat Nachbesserungen erreichen.
Erneut bezeichnete der Grünen-Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn den Gesetzesentwurf als "Murks", so hatte er schon den Gesetzesentwurf für das Bankenrettungspaket gegeißelt. Man könne keine klare Richtung erkennen die Wirkungen seien fragwürdig, sagte Kuhn. Die sozial Schwachen würden durch das Paket nicht entlastet und Investitionen in Klimaschutz seien ungenügend, kritisierte er. Auch die LINKE prangerte die "schwere soziale Schieflage" an. Ihr Vorsitzender Gregor Gysi sagte: "Das Konjunkturprogramm der Koalition verdient den Namen nicht." Die Finanzkrise verstärke die "gigantische Umverteilung von unten nach oben", weil Normalverdienende nur lächerlich entlastet würden und Geringverdiener, Rentner und Sozialleistungsbezieher gingen weitgehend leer aus