Und nun kommt doch ein "EU-Konjunkturpaket"...

...in homöopathischer Dosis: Deutschland kostet es eine Milliarde Euro. Allerdings sollen auch die Notfonds der EU und des IWF mit vielen weiteren Milliarden aufgefüllt werden

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Es ist erstaunlich, wenn Medien, die der Bundeskanzlerin nahe stehen, es als "Erfolg" Merkels feiern, dass nun auch eine EU-Konjunkturspritze kommt, die von den Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel beschlossen wurde. Berlin muss von den fünf Milliarden Euro etwa eine Milliarde aufbringen, wogegen sich die Bundesregierung lange sträubte. Auch über den "Notfallfonds" für EU-Länder, die am Rande des Staatsbankrotts stehen, kommen weitere Milliardenkosten auf Berlin zu und dann ist da noch der IWF, der ebenfalls die Hand weit aufhält.

Unter dem Anspruch, einen Weg aus der Finanz- und Wirtschaftkrise aufzuzeigen, fand bis heute der EU-Gipfel in Brüssel statt. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsstaaten haben sich vor dem G20-Gipfel, der in zwei Wochen in London stattfinden wird, nun warm gelaufen. Dort sollen die vier großen EU-Länder und die tschechische Ratspräsidentschaft mit einer Stimme sprechen. Dafür muss Einigkeit gegenüber den Forderungen der USA gezeigt werden, denn die hatte wiederholt mehr Einsatz zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise und deutlich größere Konjunkturprogramme gefordert.

So hatte erst kürzlich Barack Obamas wirtschaftlicher Chefberater massive Staatsausgaben gefordert, um die weltweite Konjunktur anzukurbeln. Die Bekämpfung der Ungleichgewichte müsse angesichts der Krise in den Hintergrund treten. Kein Land dürfe seinen Beitrag zur globalen Nachfrage verringern, meinte Larry Summers. Mittelfristig dürfe aber niemand über seine Verhältnisse leben, fügte er angesichts der US-Staatsverschuldung, die auf immer neue Rekordwerte getrieben wird (siehe Der Stresstest für die US-Banken) hinzu. Doch nun sei eine deutliche Steigerung der Ausgaben nötig, denn die Ansicht, die Märkte stabilisierten sich von selbst, automatisch, habe einen "tödlichen Schlag" erlitten.

Dieses Prinzip gelte zwar meistens, doch einige, wenige Male in jedem Jahrhundert sei ein "außergewöhnliches öffentliches Handeln" nötig. Er wies darauf hin, dass erstmals Obama an einer internationalen Konferenz teilnehme und der "richtige makroökonomische Fokus für die G20" sich auf "die globale Nachfrage" zu richten habe: "Die Welt braucht mehr Nachfrage", gab Summers die US-Leitlinien für London vor. Auch US-Finanzminister Timothy Geithner hatte für Verstimmung mit der EU gesorgt und gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) mehr Geld für Konjunkturpakete gefordert.

Die Halbwertszeit von Merkels Aussagen

Doch schon vor dem EU-Gipfel in Brüssel hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern im Bundestag weiteren Konjunkturpaketen eine deutliche Absage erteilt und fand nun auch Rückendeckung in Brüssel:

Ich halte davon überhaupt nichts. Die jetzigen Maßnahmen müssen wirken; sie müssen ihre Wirkung entfalten können. Ein Überbietungswettbewerb von Versprechungen wird mit Sicherheit keine Ruhe in die Entwicklung bringen.

Sie hält es aber für "außerordentlich gefährlich", jetzt transatlantische Gegensätze aufzubauen, reagierte sie auf Summers und Geithner. Im Grunde glaubt sie aber noch immer - ein Jahr nach dem fatalen Scheitern ihrer Krisenpolitik - man könne der Krise mit Psychologie begegnen (vgl. dazu Psychologie der Krise):

Wir brauchen psychologisch gute Signale von London und keinen Wettbewerb um nichtrealisierbare Konjunkturpakete.

In der EU hat man sich derweil auf die Sprachregelung gegenüber den USA geeinigt. Angeblich habe man schon 3,3 % des Bruttoinlandsprodukts zur Stimulierung der Konjunktur ausgegeben. Dafür rechnet europäische Politiker alles Mögliche zusammen, um irgendwie auf 400 Milliarden Euro Gesamtsumme zu kommen. Das wären 200 Milliarden für nationale Konjunkturpakete und andere Ausgaben des Sozialstaats, sowie Rentenerhöhungen und Arbeitslosengeld. Doch gegenüber Obamas Paket in einer Höhe von 800 Milliarden Dollar als Konjunkturspritze (siehe Neue Rettungs- und Konjunkturpakete: Für die Schwächsten fällt nur wenig ab) und geplanten weiteren 275 Milliarden zur Stabilisierung des Immobilienmarkts (siehe Und noch ein Hilfspaket für die USA) nehmen sich die Zahlen der EU doch eher bescheiden aus.

Entgegen ihrer negativen Haltung zu weiteren Konjunkturpaketen stimmte Merkel noch am Donnerstag in Brüssel dann einer weiteren Konjunkturspritze zu. Damit hat sich die Halbwertszeit von Merkels Aussagen auf wenige Stunden reduziert. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass sich nicht wirklich um ein Konjunkturpaket handelt, das den Namen verdienen würde. Die Gesamthöhe von knapp fünf Milliarden Euro, von denen aber Deutschland eine Milliarde aufbringen muss, scheint eher eine homöopathische Dosis zu sein.

Weil Deutschland den größten Einzelbrocken bezahlen muss, hatte sich Merkel lange gegen die EU-Konjunkturspritze gewehrt und für nationale Programme plädiert. Denn obwohl die EU-Spritze Deutschland viel Geld kostet, kommt es vor allem kleineren Staaten zugute. Aber um vor dem G20-Gipfel die EU-Einheit nicht zu gefährden, bereitete die Bundesregierung schon im Februar ihren Schwenk vor und gab die bisherige Fundamentalopposition gegen gemeinsame EU-Maßnahmen auf (siehe Auch Europa versucht, seine Banken zu retten).

Allerdings meldete sie "Diskussionsbedarf“ bei der Projektliste an, um deutsche Firmen stärker bedienen zu können. Durchsetzen wollte sie auch das eher absurde Kriterium, die geplanten Infrastrukturmaßnahmen müssten noch 2009 umgesetzt werden. Der Versuch darüber die Kosten durch die Hintertür zu senken, gelang Merkel nicht. Beschlossen wurde, dass der Bau neuer Gas- und Stromleitungen, Windenergieparks, moderne Kohlekraftwerke, der Ausbau schneller Internet-Breitbandverbindungen und die Maßnahmen zum Klima- und Wasserschutz auch 2010 umgesetzt werden können.

Da ohnehin niemand mehr daran glaubt, dass die Talsohle – wie lange behauptet – vorher durchschritten ist, hat die Kanzlerin aber dafür gesorgt, dass die Maßnahmen tatsächlich zur Krisenbekämpfung zum Einsatz kommen (siehe Schlechte Aussichten für 2010). Das ist gut, doch musste Merkel sich dafür von vielen bisherigen Vorstellungen verabschieden. Ein Erfolg sieht anders aus.

Gescheitert ist sie auch damit, EU-Länder auf eine "schwarze Liste" von Steueroasen zu setzen. Österreich setzte sich mit seinem Widerstand gegenüber Merkel durch, die noch gestern im Bundestag gesagt hatte, "Ross und Reiter zu benennen ist richtig". Doch auch künftig wird auf dieser Liste kein EU-Staat stehen. Eine entsprechende Einigung hatte der tschechische EU-Ratspräsident Mirek Topolanek verkündet. Österreich, Luxemburg und Belgien waren zuvor der EU mit Lockerungen ihres Bankgeheimnisses entgegen gekommen.

Drohende Staatspleiten in Osteuropa: der Notfallfonds

Als einen Erfolg kann Österreich auch verbuchen, dass die EU erneut den "Notfallfonds" verdoppeln wird, um Mitgliedstaaten in akuten Finanznöten mit insgesamt 50 Milliarden Euro unter die Arme zu greifen. Zunächst war nur unverbindlich für die Abschlusserklärung vorgesehen, dass "die Möglichkeit" geprüft werde, die Obergrenze des Notfallfonds zu erhöhen. Doch angesichts der Probleme, die wegen drohender Staatspleiten in Osteuropa auf Österreich (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29789/1.html) zukommen (siehe Krisenherd Osteuropa), war die erneute Erhöhung leicht vorhersehbar (vgl. Schlechte Aussichten für 2010).

Erst im vergangenen Dezember war das Budget auf 25 Milliarden verdoppelt worden und über Nacht wuchsen die Staatspleiten in Brüssel dann offenbar doch noch zu einem dringlichen Problem an. Denn der EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hatte noch in der Nacht zum Freitag erklärt: "Dies ist keine Dringlichkeitsfrage", weil mit 15 Milliarden Euro noch genug Geld für die Nothilfe zur Verfügung stehe. Der Beschluss macht deutlich, dass neben Ungarn, Lettland und Rumänien weiteren Mitgliedsländern die Pleite droht, die den Euro noch nicht eingeführt haben, eventuell auch Großbritannien (siehe Großbritannien: "It's finished!"). Denn nur solchen Ländern kann die Kommission über diesen Fonds unter die Arme greifen.

Getarnt wird das Eingeständnis, dass die Lage in vielen Ländern mehr als ernst ist, als "Signal der Einigkeit und Solidarität“. So ist klar, dass sich auch hier Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann durchgesetzt hat. Denn er hatte ein Signal erwartet, "dass jeder Partner, egal wo, sich auf die EU und die Stabilität in der EU verlassen kann". Auch mit Blick auf die Deutschland hatte er gesagt: "Die Exportweltmeister haben auch eine gewisse Verantwortung, wenn das Wachstum in einem Jahr nicht vorhanden ist." Auch hier kann kaum von einem "Erfolg" Merkels gesprochen werden, denn die Bundesregierung hatte es im Vorfeld als "falsches Signal" bezeichnet, den Fonds aufzustocken.

Weitere Milliardenbelastungen für die deutschen Steuerzahler

Und damit sind weitere Milliardenbelastungen für die deutschen Steuerzahler noch längst nicht beendet. Seit langem weist der Internationale Währungsfonds (IWF) auf einen steigenden Ressourcenbedarf hin, weil immer mehr Länder Hilfe benötigten. Die EU-Staaten wollen im Kampf gegen Staatsbankrotte nun auch den IWF mit weiteren Finanzmitteln ausstatten. Inzwischen ist klar, dass es sich um 75 bis 100 Milliarden Dollar handeln soll, geht aus dem Entwurf für die Abschlusserklärung des EU-Gipfels hervor.

Die EU unterstützt damit eine faktische Verdoppelung der IWF-Finanzhilfen an Not leidende Staaten auf 500 Milliarden Dollar. Die USA hatten sogar eine Verdreifachung erwogen. Bislang hat der IWF Island, aber auch osteuropäischen Ländern wie Ungarn, Ukraine und Lettland sowie das vom Staatsbankrott bedrohte Pakistan mit Notkrediten geholfen.

Dass der IWF gestärkt werden soll, hängt mit der Rolle zusammen, die der umstrittenen Organisation künftig bei der Kontrolle der Finanzmärkte zukommen soll. Für die EU soll der IWF eine zentrale Rolle im Kampf gegen Exzesse auf den internationalen Finanzmärkten übernehmen. Ob er dazu geeignet ist, darf aber schon angesichts der Tatsache bezweifelt werden, dass er die Krise nicht einmal ansatzweise vorhersagen konnte. Mit den dauernden Anpassungen seiner Prognosen während der Krise gibt der IWF ebenfalls keine gute Figur ab (siehe IWF: Abschreibungen der Banken werden 1,4 Billionen Dollar weit überschreiten).

Die EU will in London auch durchsetzen, dass sich Rating-Agenturen künftig bei den nationalen Finanzaufsichtsbehörden registrieren lassen müssen. Diese Agenturen hatten mit wohlwollenden Bewertungen von wertlosen Papieren entscheidend zu den Verwerfungen an den Finanzmärkten beigetragen. Auch die derzeitigen Herabstufungen einzelner Staaten, was zu deutlichen Mehrkosten bei der Kreditaufnahme führt, gibt weiter Anlass zur Sorge. Gefordert werden soll auf dem G20-Gipfel auch strengere Regeln für hochspekulative Hedge Fonds.