Unsanfte Landung

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"Tony Hawk: Ride" will mit einem Skateboard-Controller das Genre revolutionieren und holt sich dabei mehr als nur ein paar Schrammen ab

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Gamer sind kreativ. Und so wird, kaum ist "Tony Hawk: Ride" auf dem Markt, auch schon nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten für das mitgelieferte Board gesucht. Die Vorschläge sind vielfältig: Es ließe sich als Schlitten verwenden, als Grabstein für Halloween, als Nagelfeile, als Serviertablett für Energydrinks oder auch als Hoverboard-Attrappe für das "Zurück in die Zukunft"-Kostüm. Sollte man das Spiel also schon gekauft oder aber von einer "fehlgeleiteten Tante mit einem falschen Sinn fürs Coole" (Gamervision) geschenkt bekommen haben: kein Problem! Andererseits stellt sich natürlich schon die Frage, ob "Tony Hawk: Ride" wirklich so grottig ist, dass man den teuren Controller (Bundle-Preis ca. 120 Euro) derart zweckentfremden muss. Immerhin ist THR der löbliche Versuch, das nach nunmehr zehn Jahren reichlich ausgelaugte "Tony Hawk"-Franchise zu neuer Blüte zu führen. Wohlan, aufs Board, und tapfer getestet!

Der erste Eindruck ist tatsächlich kein schlechter. Das Board, einen halben Meter lang und gut anderthalb Kilo schwer, macht einen robusten Eindruck. Auch das offizielle Belastungslimit von 136 Kilo gibt dem Tester Hoffnung, den extravaganten Controller nicht gleich beim Erstgebrauch zum Garantiefall zu degradieren. An beiden Enden ist das Board leicht nach oben gebogen, hier und an den Längsseiten sitzen insgesamt vier Infrarot-Sensoren. Es verfügt über die Controller-üblichen Bedienknöpfe und ist über Funk mit PS3, Xbox 360 oder Wii verbunden. Die Bodenhaftung des Boards lässt sich durch mitgelieferte Klett-Klebestreifen verbessern, allerdings sind rutschige Fliesen oder kratzempfindliches Holzparkett denkbar ungeeignet, ebenso wie ein dicker Teppich, der die Bewegungsfreiheit des Boards zu stark einschränkt. Wie ein Skater begibt man sich also auf die Suche nach dem idealen Spot - auch wenn's nur im Wohnzimmer ist. Na, der gute alte Tony Hawk wird schon wissen, was er uns da einbrockt ...

Mit etwas wackeligen Beinen, die fehlenden Skating-Vorkenntnisse verfluchend, steht man da nun auf dem Board. Und bemerkt zur eigenen Erbauung, dass der Einstieg gar nicht mal so hasardös ist: Ein paar Beinschlenker entlang der sensorbewehrten Boardkante, und schon setzt sich das Rollbrett in Bewegung. In kurzen Challenges macht uns THR mit den grundlegenden Tricks vertraut: Mach' fünf Ollies an bestimmten Punkten, springe durch den Looping, grinde über die Parkbank, fahre einen 20-Meter-Manual auf den Hinterrädern, ohne dabei umzukippen: easy! Eine blitzschnelle Gewichtsverlagerung aufs Board-Ende, und schon führt unser virtuelles Pendant einen vorschriftsmäßigen Ollie vor. Auch der Manual ist selbst für Zeitgenossen mit mittelprächtiger Motorik zu schaffen.

Schon nach wenigen Minuten Spielzeit träumen wir von einer Karriere als Pro-Skater im sonnigen Kalifornien und sind fast schon geneigt, die Board-Bedienung als "lebensecht" und "intuitiv" zu preisen. Allerdings befinden wir uns noch im Casual-Modus, in dem zwar exzessiv getrickst, aber noch nicht gelenkt werden muss: Wie auf Schienen gleitet das Board durch den urbanen Parcours, nur an Weggabelungen muss der Spieler mit einem leichten Kippeln entscheiden, ob er jetzt lieber über die Rampe schanzt oder zünftig ein Treppengeländer abgrindet. Uns stört die Hilfestellung nicht, denn wir sind vollauf damit beschäftigt, die zunehmend anspruchsvolleren Tricks auf den Asphalt zu zaubern.

Und da kommen dann langsam Zweifel auf, ob THR wirklich das halten kann, was wir uns von ihm versprochen haben. Immer häufiger zeigt sich, dass das Board einen ganz eigenen Willen hat. Soll heißen: Die Sensoren messen nicht das, was sie messen müssten. Aus dem Flip Trick wird plötzlich ein Shove-it, aus dem Ollie plötzlich ein Grab Trick. Wie das sein kann? Offenbar haben die Game-Designer von Robomodo nicht damit gerechnet, dass der Spieler aus Versehen auf die Sensoren tritt. Die sollen ja eigentlich nur registrieren, wenn der Spieler Schwung holt oder mit der Hand einen Grab Trick andeutet. So aber messen sie alles Mögliche, und der Spieler produziert atemberaubende Tricks, ohne dass er etwas dafür kann.

Letztlich muss er das Board im Freestyle-Modus nur wild durch die Gegend schubsen und scheffelt doch massenhaft Punkte. Das erinnert ein bisschen an die guten alten "Winter Games" mit ihrem Freestyle Jump, bei dem man selbst dann beste Siegchancen hatte, wenn man den Joystick völlig willkürlich traktierte. Bei THR ist diese Punkteschwemme allerdings ein echter Motivationskiller: Warum soll ich mühsam Tricks erlernen, wenn ich mit sinnfreiem Gewackel jeden Highscore knacke?

Ein weiteres gravierendes Problem des Spiels ist die Lenkung. Denn ab Schwierigkeitsstufe 2 ist Schluss mit dem Autopilot: Man muss die Kurven nun selbst fahren, indem man das Board leicht zur Seite neigt. Was in der Theorie einfach klingt, ist in der Praxis höllisch schwer. Die breite Auflagefläche macht das Board zu schwerfällig für fein dosierte Lenkmanöver. Mit einem Wendekreis wie ein Kleinlaster wird jede Kurve im Spiel zur Qual. Gleichzeitig reagiert das Board aber auch übersensibel auf kleinste Gewichtsverlagerungen, so dass man ständig an den Checkpunkten vorbeifährt und in der nächsten Betonmauer landet. An gezielte Tricks ist in diesem Lenk-Chaos erst recht nicht mehr zu denken.

Es ist denn auch nur schwer nachvollziehbar, wie Activision das Game mit einer solchen Steuerung unters Volk bringen konnte: Die störrische Steuerung verleidet den Spielspaß aufs Gründlichste. Vielleicht hat sich Robomodo in der Entwicklung einfach zu sehr auf den Casual-Aspekt konzentriert und dabei die höheren Schwierigkeitsgrade vernachlässigt. Man habe sich unter anderem durch das Arcade-Game "Top Skater" inspirieren lassen, sagt Lead-Designer Patrick Dwyer. In der nur anderthalbjährigen Entwicklungszeit wurde viel mit Buttons, Trackballs und dem Gyroskop des PS3-Controllers experimentiert. Nun, dieses Experiment ist gründlich misslungen. Immerhin ist THR nicht das erste Skateboard-Spiel, das an der Hürde "Intuition plus Präzision" scheitert: "Skate it" für das Wii Balance Board (2008) sorgte ebenfalls für reichlich Frust.

Bei wohlwollender Betrachtung könnte man versucht sein, "Tony Hawk: Ride" als halbwegs akzeptables, wenn auch teures Casual-Game durchgehen zu lassen. Oder auch als einen ehrenwerten Versuch, frischen Wind in das leicht angestaubte Genre der Skateboard-Spiele zu bringen. Eine solche Sichtweise fällt aber auch deshalb schwer, weil THR schon in punkto Präsentation jede Menge Anfängerfehler begeht. Das geht los bei der seltsamen Menüführung: Einige Untermenüs lassen sich ausschließlich mit dem Board bedienen, andere nur mit dem Standard-Controller. Warum hat Robomodo dafür keine einheitliche Lösung gefunden? Das ständige Hin und Her zwischen beiden Steuergeräten ist einfach nur lästig.

Ebenso wenig nachvollziehbar ist, warum das Spiel bei jeder Gelegenheit eine Neujustierung des Boards verlangt: Die Wahl zwischen "Regular" (linker Fuß vorne) und "Goofy" (rechter Fuß vorne) sollte doch eigentlich über eine Standard-Einstellung festlegbar sein. Auch in Sachen Level-Design hat sich Robomodo nicht viel Mühe gegeben. Die Schauplätze Los Angeles, Chicago, New York, Tokio, Madrid und Frankfurt/Main klingen vielversprechend, entpuppen sich aber als Einheitsbrei aus den üblichen Level-Versatzstücken. Speed-Parcours, Trick-Strecken und Ausflüge in die Halfpipe bringen zwar Abwechslung, nerven aber mit langen Ladezeiten. Besonders störend ist diese ständige Warterei im Offline-Party-Modus, in dem bis zu acht Spieler einander nach dem Hotseat-Prinzip abwechseln. Als Party-Game mag THR übrigens durchaus seinen Reiz haben: Die unbeholfenen Stunts auf dem widerborstigen Board werden für allgemeine Heiterkeit sorgen.

Alles in allem ist "Tony Hawk: Ride" ein Spiel der verpassten Chancen - als wohnzimmergerechte Alternative zum harten Straßenpflaster wird es dennoch seine Käufer finden. Robomodo hat bereits angekündigt, man werde die Vielseitigkeit des Boards für weitere Spiele "jenseits des Extremsport-Genres" nutzen. Hoffentlich bekommt der Entwickler bis dahin die Steuerung in den Griff. Andernfalls ist die nächste Bauchlandung unvermeidlich - und die enttäuschten Gamer müssen ihre Wundercontroller doch noch zu Schlitten und Hoverboards verarbeiten.