Unstimmigkeiten zwischen Merkel und Renzi

Die 1407 gegründete Banco di San Giorgio in Genua war eine der ältesten Banken Europas. Foto: Twice25. Lizenz: CC BY-SA 2.5

Zwischen der Kanzlerin und dem Premier herrscht ein gespanntes Verhältnis. Bei diversen Themen kommen unterschiedliche Positionen zum Ausdruck - nicht nur in der Bankenfrage.

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Nach Großbritanniens Brexit-Beschluss, versuchte Renzi umgehend, eine Aussetzung des Bail-ins für Italien zu fordern, um damit Italiens Kreditsystem zu unterstützen. Trotzdem es auf den Finanzmärkten momentan keine ersichtliche Krise gibt, pochte der Ministerpräsident auf Staatshilfe für die Banken in einer angeblichen Ausnahmesituation.

Sowohl bei der EU als auch beim italienischen Bankenverband ABI fiel diese Forderung allerdings bislang durch. Bundeskanzlerin Angela Merkel besteht in dieser Situation auf die Einhaltung der Regeln der Bankunion und des Stabilitätpakts, denn man könne ja schließlich nicht alle zwei Jahre die Regeln ändern.

Renzi kontert er strebe keine Änderung der geltenden Vorschriften an und besteht weiterhin auf einer Rekapitalisierung der Kreditinstitute.

Brüssel fragt sich, inwieweit der Brexit sich auf Italiens Bankensystem negativ ausgewirkt hat und ob es nicht eher durch die Wirtschaftsrezession und das gesunkene Bruttoinlandprodukt geschwächt worden ist.

Das marode Management einiger italienischer Volksbanken ist ein internes Problem, das Italien allein lösen muss. Der Gouverneur der Zentralbank, Ignazio Visco, nimmt die Situation sehr ernst und versicherte in diesem Sinn, dass die Banca d’Italia alle Instrumente zur Stabilisierung des italienischen Bankensystems nützen werde.

Brexit

Am Rande des EU-Gipfeltreffens zum Brexit kommentiert Renzi: "Im Jahr 2003 hatte Deutschland die Regeln nicht eingehalten und Italien unter Berlusconi hatte es damals gestattet."

Während des Berliner Krisentreffens der neuen starken Drei in der EU - Deutschland, Italien und Frankreich - gab sich Matteo Renzi als bedeutende Figur in der kleiner werdenden Staatengemeinschaft, was die Kanzlerin nicht unbedingt begeistert hat. Der Brexit könne "durchaus eine positive Chance für unsere Volkswirtschaften werden", erklärte Renzi.

Offenbar kann er den definitiven Brexit kaum abwarten. Obwohl alle drei Staaten einen raschen Beginn der Austritts-Verhandlungen befürworten, kamen auf der Pressekonferenz dann doch unterschiedliche Vorstellungen ans Licht: "Jetzt warten wir die Dinge 'mal in aller Ruhe ab", sagte Merkel, worauf Hollande wie folgt antwortete: "Wir sind uns da voll und ganz einig. Wir müssen schnell vorangehen." Prompt pflichtete Renzi ihm bei. Keiner der drei wird allerdings die britische Forderung nach informellen Vor-Verhandlungen vor dem offiziellen Austrittsgesuch billigen.

"Wir müssen ein Zeichen setzen, dass wir zusammenhalten", sagt die Kanzlerin. "Gemeinsam voranzugehen, ist jetzt ganz, ganz wichtig." Einen "neuen Impuls" solle die EU erhalten. Konkret geht es um mehr Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung und der Grenzsicherung. Über die Flüchtlingsverteilung fiel allerdings kein Wort.

Gerade in der Flüchtlingskrise benötigen Italien und Deutschland einander als Partner. Obwohl die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern diesbezüglich mittlerweile gut funktioniert, gibt es immer noch Konfliktpunkte. Die Zeiten der Frontalangriffe auf Deutschland zu Themen wie den Sparkurs und die deutsche Vorherrschaft in der EU sind zwar vorbei, allerdings gibt es unterschiedliche Ansichten zur Finanzierungsfrage.

Migrationsbonds, China und Gas

In seinem "Migration Compact" hatte Renzi Vorschläge für den Umgang mit der Flüchtlingskrise unterbreitet und unter anderem gemeinsame Migrationsbonds der EU-Staaten zur Finanzierung erwähnt - eine Idee, die Deutschland abgelehnt hat. Zu den 3 Milliarden an die Türkei hatte Renzi ja bekanntlich den Widerstand aufgegeben.

Interessant ist auch der deutsch-italienische Dissens zu Chinas vollem Status als Marktwirtschaft. Italien ist bekanntlich dagegen und somit ganz im Einklang mit dem EU-Entschluss China vorerst nicht als Marktwirtschaft anzuerkennen. Deutschland hingegen ist Peking gegenüber aufgeschlossener und spricht immer wieder von der Pflicht Europas, China entgegenzukommen.

Heftigen Streit zwischen Merkel und Renzi gab es zu Anfang des Jahres auch in energiepolitischen Fragen. Es ging dabei um den Ausbau der Gaspipeline Nord Stream durch die Ostsee von Russland nach Deutschland. Renzi machte sich zum Wortführer der Merkel-Gegner, da vor allem Süd- und Südosteuropa von einer South-Stream-Gasleitung durch das Schwarze Meer profitieren wollten. Deren Bau wurde allerdings von Brüssel gestoppt. Renzi bezichtigte Deutschland der Doppelmoral wegen der fortzuführenden wirtschaftlichen Sanktionen gegenüber Russland und brachte wieder das Argument Europa sei unter deutscher Führung. Deutschland und Russland befürworten die Umsetzung des Projektes. Die EU-Kommission sprach sich aber Mitte Februar gegen Nord Stream 2 aus. Die Rechtslage wird derzeit noch untersucht.

Nächstes Jahr wird die Europäische Union ihren 60. Geburtstag feiern. Die Römischen Verträge, die als Gründerdatum der EU gelten, wurden am 25. März 1957 von Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden in Rom unterzeichnet.

Das war alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Der Zweite Weltkrieg lag erst 10 Jahre zurück und das ehrgeizige Projekt einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft war kurz zuvor gescheitert.

Die Zeiten waren nie einfach, doch der erstaunlichen Prozess der Kooperation dauert nun schon 60 Jahre an. Sowohl Deutschland als auch Italien sind immer für die gemeinsamen europäischen Werte gestanden und haben meist Seite an Seite politisch dafür gekämpft.

Die Spätfolgen der Finanz- und Wirtschaftskrise sind noch längst nicht überwunden, doch in beiden Länder ist das Bewusstsein verankert, dass man es nur gemeinsam schaffen kann. Trotz aller Reibereien, haben sich bislang auch Angela Merkel und Matteo Renzi dieser Makroperspektive gefügt.