Unterirdisches Sicherheitsrisiko

Großstädte sind leicht verwundbar - nach Meinung von UN-Experten auch und ganz besonders unter der Erde

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Zur Zeit leben rund 50% der Weltbevölkerung in den sogenannten Megacities. In 25 Jahren könnten es bereits 65% sein, womit sich die Probleme, die das Zusammenleben in den Ballungsräumen schon heute beeinträchtigen, noch einmal beträchtlich verschärfen dürften.

Großstädte sind aufgrund ihrer hohen Einwohnerzahl und der Symbolkraft bestimmter Einrichtungen nicht nur interessante Anschlagsziele. Sie zeichnen sich auch durch soziale, kulturelle und ökonomische Spannungsfelder aus, die von den jeweiligen politischen Ordnungskräften immer schwerer zu kanalisieren sind. Infolgedessen steigt vielerorts die Kriminalität, Umwelt- und Luftverschmutzung nehmen spürbar zu, zeitgleich entstehen Parallelgesellschaften, die sich nur noch geografisch dem gleichen Lebensraum zuordnen lassen.

Erdbeben in Kobe 1995

Trotzdem scheint das Leben in den Megacities für viele Menschen ständig attraktiver zu werden, und damit steigt der Wert des Grund und Bodens. Immer häufiger gehen Planer dazu über, Verkehrslinien, Einkaufspassagen, öffentliche Gebäude oder Tiefgaragen unter der Erde zu bauen, und keinen Quadratmeter Stadtraum zu verschenken.

Doch auch hier lauern Gefahren, die zumeist fahrlässig unterschätzt werden, glauben Experten des Ende 2003 gegründeten Institute for Environment and Human Security (UNU-EHS) in Bonn, das zur United Nations University (UNU). Weil viele Großstädte in Küstennähe, fruchtbaren Überschwemmungs- oder erdbebengefährdeten Gebieten liegen, werden sie nicht nur von zivilisatorischen Problemen, sondern überdies von schweren Naturkatastrophen bedroht, auf die zahlreiche Metropolen schon unter normalen Bedingungen - sprich: auf der Erdoberfläche - nicht optimal vorbereitet sind.

Unter derselben sieht es offenbar noch schlimmer aus. Die leitenden UNU-Mitarbeiter Janos Bogardi and Srikantha Herath bemängelten in einem Statement vor Beginn der World Conference on Disaster Reduction im japanischen Kobe, dass zum Schutz unterirdischer Einrichtungen weder Katastrophenszenarien entworfen und durchgespielt, noch halbwegs effektive Gegenmaßnahmen getroffen wurden. In vielen Fällen gäbe es nicht einmal entsprechendes Kartenmaterial, auf dem Gefahrenquellen und deren potenzielle Ziele erkennbar wären.

Im Vergleich zu geologischen Zeitskalen hat sich die urbane Entwicklung im vergangenen Jahrhundert extrem schnell vollzogen. Gefahren werden unterschätzt, weil bestimmte Erfahrungen in der kurzen Zeitspanne noch gar nicht gemacht werden konnten.

Srikantha Herath

Das ist umso bedenklicher als Wasser und Feuer auch unter der Erde schnell große Strecken zurücklegen und verheerende Schäden anrichten können - einerseits in den unterirdischen Anlagen, dann aber auch an den darüber gebauten Häusern und Einrichtungen. Janos Bogardi schlägt deshalb vor:

Es ist ganz wichtig, unterirdische Einrichtungen so zu planen und zu bauen, dass die einzelnen Verbindungslinien berücksichtigt werden (...). Gleichzeitig sollten diese Räume so konstruiert werden, dass sie verschiedenen Gefahren standhalten können. Zum Beispiel müssen die Planer wegen des Feuerrisikos eine Möglichkeit schaffen, den unterirdischen Raum schnell aufzuteilen und zu versiegeln.

Die UNU-Experten gehen davon aus, dass möglicherweise sogar verstärkt mit originär planetaren - infolge der globalen Klimaveränderung und der fortschreitenden Zerstörung naturbelassener Flächen -, aber auch mit selbstverschuldeten Katastrophen gerechnet werden muss. Allein in Tokyo habe es zwischen 1999 und 2001 siebzehn (unterirdische) Überflutungen gegeben.

Nach den jüngsten Erfahrungen mit Naturkatastrophen verlangen die Wissenschaftler einen Paradigmenwechsel in der Gefahrenabwehr. Da ihre Entstehung offenbar nicht zu verhindern sei, müsse es in erster Linie um die Begrenzung der Schadensfälle gehen. UNU-Rektor Hans van Ginkel glaubt, dass es nicht realistisch und gelegentlich nicht einmal ratsam ist, den Versuch zu unternehmen, alle Gefahren komplett zu eliminieren. Es werde immer ein Ereignis geben,

dass die Grenzen von Infrastrukturlösungen sprengt und unvorhersehbare Komplikationen verursacht. Ein falsches Sicherheitsgefühl kann am Ende noch mehr Schaden verursachen. Die menschliche Existenz war immer von natürlichen und künstlichen Gefahren bedroht, und sie wird es auch immer sein. Sicherheit für den Menschen kann so besser mit dem Begriff "Die Risiken kennen" als mit "Die Risiken ausschalten" definiert werden.

Eine Eindämmung der oft dramatischen Auswirkungen könnte zum Beispiel durch eine frühzeitige Analyse der jeweiligen Gefahrenpotenziale erreicht werden, wie sie von den Wissenschaftlern selbst anhand eines Tsunamis per Computersimulation entwickelt wurde. Daneben plädieren die Forscher für effektive Frühwarnsysteme, die Entwicklung großflächiger Evakuierungspläne, Brandschutzmaßnahmen oder den Bau von Abflusskanälen für Flutwasser.