Urbanes Wohnen der Zukunft

Gewinner des Wettbewerbs Cityvis für Habitat III

Die Transformation der Städte zu Nachhaltigkeit, Inklusion und Resilienz erfordert neue Methoden der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft

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Im Oktober 2016 fand in Quito, der Hauptstadt von Ecuador, eine internationale Konferenz mit Blick auf das (urbane) Wohnen, Leben, Arbeiten und Wirtschaften der Zukunft statt. Die Idee war, Wissenschaftler mit Regierungsverantwortlichen zusammenzubringen, um über die zukünftige Urbanisierung des Planeten zu debattieren. Vor Ort befand sich Prof. Marian Dörk vom Urban Complexity Lab von der FH Potsdam. Er beantwortete einige Fragen, die noch offen geblieben sind.

Es gab vor der Konferenz bereits Kritik. Der Schwerpunkt liege zu sehr auf der Wissenschaft und zu wenig auf Bürgerbeteiligung. Wie sehen Sie das?

Marian Dörk: Das verabschiedete Dokument - die Neue Urbane Agenda - enthält eine ganze Reihe sozialer, wirtschaftlicher und umweltbezogener Ziele und entsprechende Umsetzungsversprechen auf politischer, planerischer und praktischer Ebene. Mit dem Anspruch, eine handlungsorientierte Blaupause für die Urbanisierung der kommenden zwei Jahrzehnte zu sein, hat die Agenda als primäres Ergebnis der Habitat III ein ganz besonderes Gewicht für alle, die sich mit der Transformation von Städten und Gemeinden beschäftigen.

Die verabschiedete Version der Neuen Urbanen Agenda wird zwar dafür kritisiert, sehr viele Aspekte und Ebenen zusammenzubringen und für die Staatengemeinschaft rechtlich nicht verbindlich zu sein. Allerdings zeichnet sich ab, dass es den akademischen und praktischen Stadtentwicklungsdiskurs maßgeblich beeinflussen wird.

Wird dann aber die Umsetzung dieser Ziele an die Experten delegiert?

Marian Dörk: Das würde ich nicht so absolut sehen. Die Slum Dwellers International hatten zum Beispiel Veranstaltungen und einen Stand zu ihrem Projekt "Know Your City", in dem es darum geht, Daten zu irregulären Siedlungen zu sammeln, um mit einem besseren Wissensstand die Lage dort und international zu verbessern. Ansonsten haben wir auch viele Einreichungen aus dem zivilgesellschaftlichen Sektor zur internationalen Ausschreibung "Visualizing Cities" bekommen, die wir gemeinsam mit Future Earth über den letzten Sommer durchgeführt haben.

Habitat X Change 7. Bild: Edu Léon

Neue Methoden der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sind erforderlich

Angesichts der vielen Teilnehmerstaaten scheint eine zufrieden stellende Lösung weit entfernt zu sein. Können dennoch Initiativen gestartet werden?

Marian Dörk: Wir haben mit ICSU, dem Internationalen Wissenschaftsrat, und Future Earth, dem globalen Netzwerk der Nachhaltigkeitsforschung, einen gemeinsamen Begegnungs- und Veranstaltungsraum Habitat X Change entwickelt. ICSU repräsentiert die internationale wissenschaftliche Gemeinde und ist besonders daran interessiert im Kontext nachhaltiger Stadtentwicklung, die konstruktive Rolle der Wissenschaft zu vertreten. Future Earth hat eine ähnliche Zielrichtung, ist aber mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit und Resilienz noch stärker darauf aus, das entstehende Wissen der Nachhaltigkeitsforschung in die Praxis zu tragen.

Uns hat in der Kooperation die Überzeugung geeint, dass die Transformation der Städte zu Nachhaltigkeit, Inklusion und Resilienz neue Methoden der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft erfordert. Hier sehen wir gemeinsam das besondere Potenzial der Datenvisualisierung. Mit der Sichtbarmachung komplexer Daten können wir abstrakte Zusammenhänge und Dynamiken greifbar machen und gesellschaftliche Diskurse anstoßen.

Ein Ansatz auf der Habitat-Konferenz ist es, die bewohnten Gebiete zu untersuchen. Dort konzentrieren sich die Wirtschaft, die Menschen, die Kultur und Innovationen. Die Überzeugung schwingt mit, durch klare Analyse und kreative Synthese Lösungsansätze zu erarbeiten. Aber welches Resümee würden Sie, Herr Dörk, ziehen?

Marian Dörk: Ich denke, es gab viele unterschiedliche Resümees. Für mich persönlich ist es nicht einfach, eine so stimulierende und auch umfassende Großveranstaltung kurz zusammenzufassen. In Bezug auf unsere Einrichtung, der Fachhochschule Potsdam, habe ich das Gefühl, dass wir mit dem gewählten Schwerpunktthema Urbane Zukunft wirklich relevante, aktuelle und spannende Themen angehen, welche die Welt bewegen, und dabei aber auch neue Antworten auf schwierige Fragen geben können.

Insbesondere, wenn es um Implementierung und Monitoring der formulierten Ziele geht, bedarf es einer wissenschaftlich fundierten Methodik und entsprechender Vermittlungswerkzeuge, die zum großen Teil noch entwickelt werden müssen. Es werden zum Beispiel zunehmend urbane Observatorien eingerichtet, um die Entwicklung von Städten zu beobachten und entsprechende Orientierung anzubieten. Mein Eindruck ist, dass wir als Wissenschaft vielleicht in Verbund mit zivilgesellschaftlichen Akteuren solche Observatorien in gewisser Unabhängigkeit von Wirtschaft und Verwaltung aufbauen sollten, um für die verschiedenen Stakeholder eine eigenständige Sicht auf Stadtentwicklung anzubieten.

In den Diskussionen wurde auch mehrfach betont, dass Wissensnetzwerke gebildet werden sollen, um Erfahrungen und Erkenntnisse zwischen und unter Stakeholdern und Städten auszutauschen. Ansonsten ist auch interessant, dass vielfach eine systemische Sicht auf Stadtentwicklung propagiert wird. Die Sektoren lassen sich nicht mehr getrennt betrachten und daher sollte Politik und Planung viel stärker ganzheitlich vorgehen. Bei all diesen Entwicklungen scheint mir eine methodische, transformative und interdisziplinäre Herangehensweise unabdinglich.

Das vorliegende Gespräch behandelt die Arbeit am Urbanismus noch aus der Vogelperspektive. Als Ergänzung sollen zukünftig in loser Folge verschiedene Projekte vorgestellt werden, die sich mit dem bewohnbaren Raum unseres Planeten beschäftigen. Der Fokus wird auf den Chancen und Risiken einer Megalopolis Terra liegen. Wie viel Stadt ist sinnvoll? Welche Visionen sind bald schon Ruinen ihrer selbst geworden? Was hat sich bewährt? Die Zukunft des Wohnens in der Stadt - gibt es sie?