Urheberrecht gegen Kritiker
Diebold, Hersteller von Wahlcomputern, sucht über das Copyright die Kritik an den Sicherheitsmängeln seiner Systeme mundtot zu machen; es geht um Geld - um die Meinungsfreiheit und um das Vertrauen in die Wahlergebnisse
Im Januar 2002 wurde entdeckt, dass eine FTP-Website des Unternehmens Diebold, u.a. einer der größten Anbieter von Wahlcomputern in den USA, mit Software, z.B. auch den Quellcode, für ein System frei zugänglich war. Nach näherer Untersuchung von verschiedenen Expertengruppen stellte sich heraus, dass die Programme offenbar zahlreiche Sicherheitslücken aufwiesen, die es möglich machen, die Wahlergebnisse zu fälschen (Das Problem mit den elektronischen Wahlsystemen und der amerikanischen Demokratie). Die Website wurde natürlich von Diebold geschlossen, die Software war aber schon längst kopiert und in Mirrors verbreitet worden. Dagegen will nun Diebold mit dem bereits viel strapazierten Digital Millennium Copyright Act (DMCA) vorgehen.
Kritiker warnen allgemein vor Wahlcomputern, wenn nicht vorgesehen ist, dass die Wahlentscheidung zusätzlich auch noch ausgedruckt wird, um eine spätere Überprüfung zu ermöglichen. Nach dem Debakel mit den Wahlmaschinen, bei dem US-Präsident Bush im Jahr 2000 nur dank einer Gerichtsentscheidung als Wahlsieger hervorging, hat der Kongress ein Gesetz verabschiedet, mit dem Milliarden von Dollar zur Umrüstung der veralteten Wahlmaschinen auf Touchscreen-Systeme zur Verfügung gestellt wurden. Es geht also um einen großen Markt.
Diebold ist unter Beschuss geraten, weil die Analyse der Software auf der zunächst frei zugänglichen Seite den Verdacht erhärtet hat, dass Diebolds Touchscreen-Wahlcomputer AccuVote-TS der Manipulation offen stehen. Im Prinzip ließen sich Wahlergebnisse so manipulieren, dass die Manipulation nachträglich nicht mehr entdeckt werden könnte. Neben unzureichender Absicherung der Software wurden aber noch viele andere Sicherheitsprobleme bekannt (US-Wahlcomputer mit vielen Manipulationsmöglichkeiten). Beispielsweise spielte Diebold auf die Systeme Patches auf, ohne dass diese vorher geprüft worden waren. Um die Sicherheit scheint man sich kaum gekümmert zu haben, was auch Emails von Diebold-Mitarbeitern zu belegen scheinen. Erst kürzlich wurde wieder von einem ehemaligen Diebold-Mitarbeiter bestätigt, dass vor der Gouverneurswahl in Georgia im letzten Jahr Patches auf allen Wahlsystemen installiert worden waren, die zuvor nicht von unabhängigen Experten überprüft oder mit den für die Wahlen Zuständigen abgeklärt wurden. Und noch kurz vor den Wahlen in Kalifornien wurde von Maryland ein Bericht über die Wahlcomputer von Diebold veröffentlicht, der eine ganze Reihe von Sicherheitslücken auf vielen Ebenen aufführte und vor einem hohen Risiko der Manipulierbarkeit warnte (Misstrauen in die Wahlcomputer: Zweifel am Ausgang der Wahl?).
Diebold hatte nach Bekanntwerden der Vorwürfe jede Kritik an der Sicherheit der Software von sich gewiesen und behauptet, die Website geschlossen zu haben, weil diese "alte" Software enthielt (Kritiker meinen allerdings, dass auch die aktuell von Diebold verwendete Software noch Sicherheitslücken enthält und weiterhin auf der bekannten Quellcode-Version aufbaut:
Our review of this matter indicates that there is no merit to the insinuations of security breaches in the Diebold Election Systems solutions. The old Global Elections Systems site has been taken down because it contained old, out-of-date material. For 144 years, Diebold has been synonymous with security, and we take security very seriously in all of our products and services.
Obgleich also die Software veraltet und überholt sei, bemüht Diebold nun den DCMA, um gegen Websites in den USA vorzugehen, die einen Link auf Spiegel der Software legen, die sich zuvor auf einer frei zugänglichen FTP-Site befunden hatte. Diebold hat offenbar Dutzende von Abmahnbriefen an Internetprovider geschickt, die von ihnen gehosteten Websites zu sperren, weil diese "information location tools" enthalten, die wiederum auf Webseiten hinweisen oder diese verlinken, auf denen sich Eigentum von Diebold befinde. Das sei ohne Genehmigung kopiert und online zugänglich gemacht worden. Die Internetprovider werden aufgefordert, nicht nur alle einzeln genannten Hyperlinks zu entfernen, sondern auch alle anderen Hinweise, die auf die Spur der Webseiten mit den kopierten Programmen führen können. Die Provider sollen auch darauf achten, dass keine Links auf neue Spiegel gelegt werden, wenn Webseiten geschlossen wurden.
Im Visier steht in erster Linie das IndyMedia Center San Francisco. Hier haben Postings neue URLs mit Mirror-Seiten genannt, sobald ein Provider auf Betreiben der Diebold-Anwälte eine Webseite vom Netz genommen hat. Auch einige Websites von Bev Harris, die die Sicherheitsprobleme der Diebold-Maschinen bekannt gemacht hatte und inzwischen über das "Black Box Voting" ein Buch veröffentlicht hatte, stehen unter Beschuss, wie sie hier berichtet. www.blackboxvoting.com ist eingefroren, weil angeblich von dieser Seite gespamt wurde, www.blackboxvoting.org wurde vom Provider aufgrund einer Abmahnforderung von Diebold vom Netz genommen, weil es hier einen Link zu einer Webseite mit Memos von Diebold-Mitarbeitern gegeben hat. Grund: wiederum der DMCA.
Der Provider Online Policy Group (OPG), der IndyMedia hostet, weigert sich, der Forderung Diebolds nachzukommen. Angeblich sei es der einzige Provider bislang. Man verteidige "das Recht, auf umstrittene Informationen über Sicherheitsmängel in elektronischen Wahlsystemen verlinken zu können". Unterstützung hat OPG bereits von der Electronic Freedom Foundation (EFF) signalisiert bekommen, die den Provider rechtlich helfen will. "Welches Thema könnte für unsere Demokratie wichtiger sein, als Diskussionen über die Verfahren und die Legitimität von elektronischen Wahlsystemen, die jetzt landesweit eingeführt werden?", erklärt EFF-Rechtsanwältin Wendy Seltzer die Position. Die Provider sind deswegen so willfährig, schnell Inhalte zu entfernen, weil sie keine Probleme bekommen, wenn sie dies innerhalb von 10 Tagen nach erhalt eines Abmahnungsbriefs machen. OPG weist die Instrumentalisierung des Urheberrechtsgesetzes zur Einschränkung der Meinungsfreiheit zurück. Eine Urheberrechtsverletzung, die durch das Legen eines Links auf eine andere Seite begangen wurde, sei "lächerlich", noch schlimmer aber sei es, einen Provider für die von Kunden gelegte Weblinks verantwortlich machen zu wollen.