"Urlaub in Kurdistan"?

Seite 6: "Keine Demokratie ohne alternative Medien und starke Opposition"

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Es ist bei mir zu einer Tradition geworden, dass ich, immer, wenn ich zu den Kurden im Irak oder Syrien fahre, dort vor allem mit Vertretern der "unabhängigen" und alternativen Medien sowie mit den Repräsentanten der oppositionellen Gruppen unterwegs bin.

Ich versuche dem "Motto" "Keine Demokratie ohne alternative Medien und starke Opposition" treu zu bleiben. Denn viele Befreiungsbewegungen weltweit haben sich in schlimme Diktaturen verwandelt.

Fast bei jedem Besuch in Nordsyrien versuche ich die Erlaubnis zu bekommen, Gefängnisse zu besuchen und mit Gefangenen zu reden. Bei diesem Besuch habe ich zwar keine Gefängnisse besucht, veröffentliche jedoch auf meiner privaten Facebook-Seite einen kurzen Aufruf in arabischer und kurdischer Sprache, und bat um Informationen über Namen von Gefangenen, die ich besuchen könnte.

Kinder wollen Fußball spielen und keinen Krieg - Erdogan droht mit einem neuen Krieg auch gegen Amuda, 14. April 2019. Foto: Kamal Sido

Die Leiterin für die Gefängnisse in der "Autonomen Selbstverwaltung" Nordsyrien, die ich von früheren Gefängnisbesuchen kennengelernt habe, bat ich um eine Audienz. Am 15. April kam es tatsächlich zu einer Unterredung in Qamischli.

In Qamischli habe ich auch führende Politiker der Opposition wie Hamid Haj Darwish, Präsident der "Kurdisch-Demokratische Fortschrittspartei" - (Pêşverû), Mostafa Mashaekh, den stellvertretenden Parteisekretär der "Kurdischen Demokratischen Einheitspartei Partei in Syrien" (YEKITI), und viele andere getroffen. Bereits im Norden von Aleppo traf ich den Parteisekretär der "Kurdischen Demokratischen Einheitspartei Partei in Syrien" (YEKITI), Muheddin Sheikh Ali, der sich wie auch Hunderttausende Kurden aus Afrin auf der Flucht befindet.

In meinen Gesprächen und vielen Interviews, die ich in den lokalen Radios, TV-Sendern und Zeitungen führte, habe ich kurdische Politiker aufgefordert, ihre Konflikte untereinander und mit den Nachbarn friedlich auszutragen. Auf viele Fehlentwicklungen in der Politik, Wirtschaft und im Umgang unter den kurdischen Gruppen habe ich hingewiesen. Sehr scharf kritisiere ich seit Jahren den Personenkult um Führer der kurdischen Parteien und Organisationen.

Auch wenn Nordsyrien insgesamt noch über keine klaren staatlichen Strukturen verfügt und sich in einem blutigen Krieg gegen den IS befindet sowie von der Türkei oder dem Assad-Regime bedroht wird, gibt es dort doch eine lokale "De-facto-Regierung" mit Polizei, Gerichten, Gefängnissen und anderen Intuitionen.

Daher ist ein streng kritischer Umgang mit der kurdischen Bewegung wie auch mit anderen Befreiungsbewegungen notwendig. Durch demonstrative Besuche von Büros der oppositionellen Gruppen und durch Gespräche mit Oppositionellen sowie mit alternativen Medien möchte ich jedes Mal unterstreichen, dass die Sache der Demokratie und Menschenrechte nicht auf Morgen, in die Zukunft verschoben werden darf. Demokratie muss jeden Tag auch in den schwierigsten Zeiten und Krisen gelebt werden.

In einem Krieg gilt das humanitäre Völkerrecht für alle, auch für Kurden. Die Macht in einer Gesellschaft darf niemals zentral gebündelt sein, sondern auf verschiedene, voneinander relativ unabhängige Gruppen der Gesellschaft verteilt sein. Anderenfalls entsteht die Herrschaft einer Gruppe, einer Elite oder einer Person. Das betonte ich in allen meinen Gesprächen sowohl in Nordsyrien als auch bei den Kurden im Irak.

Dort muss nicht nur die ethnische und religiöse Vielfalt aufbewahrt werden, sondern auch der politische Pluralismus. Nahezu jedes Gespräch von mir mit Politikern und Medien endete mit folgenden Sätzen: "Menschen- und Minderheitenrechte sind universelle Werte, die für uns alle gelten.

Die kurdischen Verwaltungen, die in Nordsyrien oder im Nordirak entstehen oder entstanden sind, werden von Deutschland von Europa aus nur dann erfolgreich unterstützt werden können, wenn dort Mindeststandards an Menschen- und Minderheitenrechten eingehalten werden."

Am "Roten Mittwoch" bei den Yeziden von Amuda

Nach meinem Besuch im Flüchtlingslager "al-Hol" wollte ich Nordsyrien verlassen. Da ich aber einer Einladung der Yeziden unbedingt nachgehen wollte, verlängerte ich meinen Aufenthalt um einige Tage. Am 17. April feierten die Yeziden in Nordsyrien, wie auch in der ganzen Welt den "Roten Mittwoch". Auf Kurdisch bezeichnet dieses Fest als "Çarşema Serê Nîsanê". Das bedeute "erster Mittwoch des Aprils". Hierbei gilt der alte orientalische julianische Kalender.

Das Fest ist im Volk auch unter "Çarşema Sor" (Roter Mittwoch) bekannt. Es ist wie ein "Neujahrsfest" der Yeziden. Übrigens ist der Wochentag "Mittwoch" bei den Yeziden ein heiliger Tag der Woche, wie der "Samstag" bei den Juden oder der "Sonntag" bei den Christen. Die Yeziden richten an diesem Tag die Türe ihrer Häuser und Wohnungen mit Blumenschmuck her und färben oder bemalen Hühnereier bunt. Das Fest wird in Andenken an die Schöpfung der Erde von yezidischen Würdenträgern gefeiert.

Hunderte Fahrzeuge waren vor der Mehrzweckhalle "Belisan" einige Kilometer von Amuda entfernt zu sehen. Dort traf ich auf viele bekannte Politiker und Journalisten aus der Region. Nicht weit von der "Belisan" befindet sich auch das "Yezidenhaus" im Dorf "Qizlacho". Diese yezidische Einrichtung kümmert sich auch um yezidsiche Frauen und Kindern, die durch die SDF aus der IS-Knechtschaft befreit wurden.

Die befreiten Frauen und Kinder halten sich einige Tage bei ihren Glaubensgeschwistern in Qizlacho auf, bevor der Transfer in den Nordirak, nach Sinjar (Shingal), wo der IS 2014 den Massenmord an Yeziden begangen und tausende yezidische Frauen und Kinder verschleppt hatte, organisiert wird.

In vielen Reden, die bei diesem Fest gehalten worden sind, wurde Hilfe für die Yeziden in Sinjar aber auch überall, wo die Yeziden leben, gefordert. Einige Redner gingen auch auf die Schwierigkeiten des Wiederaufbaues in Sinjar ein. Es wurde auf den Streit über die administrative Zugehörigkeit der Region Sinjar zwischen Kurdistan und Bagdad hingewiesen. "Solange dieser Streit nicht beigelegt wird, werden die Menschen auch nicht zurückkehren", wurde betont.

In der Tat wollen die Yeziden endlich Klarheit haben: "Wer ist der Herr in Sinjar? Wer regiert dort?". Wenn ich gefragt wurde, was ich bei dieser Frage denke, so erklärte ich, dass die Yeziden selbst über ihr Schicksal entscheiden müssen. Das gilt auch für die Zukunft von Sinjar, ob diese Region administrativ ein Teil von Kurdistan oder Irak sein soll.

Wenn man mich fragen würde, würde ich sagen, dass die Yeziden in Kurdistan besser aufgehoben sind, als unter der Kontrolle von Bagdad. Wenn die Yeziden sich jedoch anders entscheiden, dann ist das ihr gutes Recht und dieses muss respektiert werden.

Die Zukunft Nordsyriens

Im Nordosten Syriens, insbesondere in den mehrheitlich arabisch-sunnitischen Gebieten, in denen bis vor kurzem der IS herrschte, kommt es immer wieder zu Anschlägen, Autobomben und gezielten Attentaten auf Politiker sowie Vertreter der autonomen Selbstverwaltung in Rojava/Nordsyrien. Auch wenn der IS über kein Territorium im Nordosten Syriens verfügt, attackiert dieser immer die SDF.

Als ich am 11. April in Manbij war, explodierten zwei Autobomben. Ich hielt mich dort nur etwa eine Stunde auf. Ob die Anschläge weniger werden und die Kämpfe aufhören, ist von den Verhandlungen und Deals zwischen Assad, Putin und Erdogan abhängig. Wenn Putin und Erdogan sich wieder gegen die Kurden einigen, dann könnte es sehr schnell losgehen.

Es gibt Gerüchte, dass Assad und Putin den Rest von Afrin, die Dörfer in der sogenannten Schahba-Region, im Norden von Aleppo, Erdogan überlassen will. Dafür sollte Assad dann Idlib bekommen. Das sind aber noch Gerüchte.

Vieles lässt aber darauf schließen, dass die islamistischen oppositionellen Gruppen in Nordsyrien, die von der Türkei unterstützt oder geduldet werden, nur noch eine Aufgabe haben: den Interessen der Türkei, insbesondere denen von Erdogan, zu dienen und die Kurden, Christen und Yeziden im Norden von Syrien zu bekämpfen.

Diese islamistischen Milizen sind faktisch Söldner des türkischen Staates. Wie bereits erwähnt wurde, erhalten diese Gruppen, mindestens auf Umwegen, finanzielle Unterstützung auch von der deutschen Bundesregierung.