"Urlaub in Kurdistan"?

Seite 2: Klimawandel hat auch Kurdistan erreicht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Viele Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe, sagen, dass sie sich nicht daran erinnern können, wann es so viel geregnet hat wie in diesem Jahr. Tatsächlich musste ich immer wieder lange warten, bevor ich das Hotel oder die Wohnung verlassen konnte.

Der Regenmantel, den ich in Deutschland immer in meinem Rucksack mitführe, kam immer wieder zum Einsatz. Dementsprechend blühte auch der Handel mit Regenschirmen in Kurdistan.

Man könnte sagen, dass der Klimawandel auch Kurdistan und den gesamten Nahen Osten erreicht hat. Überall sah ich Bäche, die über Ufer getreten waren. Nicht selten wurden Hauptverbindungstraßen für den Autoverkehr gesperrt, weil Brücken oder bestimmte Straßenabschnitte beschädigt waren.

Das war der Grund warum ich drei Tage lang die Gastfreundschaft eines Freundes, mit dem ich in den 1980er Jahren in Moskau studierte, und heute mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in Dohuk lebt und als Arzt arbeitet, stark in Anspruch nahm. Drei Tage lang musste ich warten, bis sich der Tigris endlich beruhigt hat. Erst dann wurde der Grenzübergang am Tigris bei Faysh Khabur oder Fish Khabour (Sêmalka) für den Grenzverkehr wieder frei.

Der Autor bei den Hawraman-Kurden im Nordirak - Im Hintergrund die Türme der iranischen Grenzgarden, 23. April 2019. Foto: Kamal Sido

Diese "frei Zeit" in Dohuk, vom 2. bis 4. April, nutzte ich, um andere Freunde zu besuchen. So habe ich einige yezidische Freunde im Lalesh-Zentrum in Dohuk besucht. Vor dem Besuch dieses von Yeziden betrieben Kulturzentrums traf ich einen alten armenischen Freund, Wartkes Moses Sarkisjan. Er war einige Jahre Generaldirektor des Erziehungswesens in der ganzen Provinz Dohuk.

Bereits in den 1960er Jahren absolvierte er sein Studium für kurdische Philologie an der Universität Bagdad. Er hat mich zu der feierlichen Eröffnung der ersten armenisch-orthodoxen Kirche in Erbil am 6. April eingeladen, doch dieser Einladung konnte ich leider nicht nachkommen. Denn über soziale Medien habe ich erfahren, dass der Grenzübergang Sêmalka am 4. April wieder geöffnet wird, welcher wegen Hochwasser im Tigris immer wieder geschlossen worden war.

Um den Grenzübergang "Sêmalka" nach Nordsyrien passieren zu dürfen, sollte man sich vorher genaustens informieren. Sêmalka ist kein regulärer Grenzübergang, denn die Machthaber auf beiden Seiten des Tigris, die "Autonome Selbstverwaltung in Nordsyrien", die von der kurdischen Partei (PYD) (Syrien) beherrscht wird, und die "Regionalregierung von Irakisch-Kurdistan" (KRG), die von der PDK (Irak) dominiert wird, entscheiden gelegentlich willkürlich, wer die Grenze bei Sêmalka passieren darf und wer nicht. Das Verhältnis zwischen den beiden kurdischen Parteien ist noch immer ziemlich angespannt.

Daher haben die schlechten Beziehungen zwischen PDK und PYD auch direkte Auswirkungen auf die Praktiken am Grenzübergang "Sêmalka". Da ich weder ein Visum für den Irak noch für Syrien hatte, war ich auf diesen Grenzübergang angewiesen. Dennoch durfte das Überqueren dieser "kurdisch-kurdischen Grenze" im Allgemeinen für andere deutsche Staatsbürger nicht schwierig sein.

Man sollte jedoch viel Zeit und Geduld mit sich bringen. Denn die Kurdische Bürokratie hat einen sehr langen Atem. Vor der Überfahrt nach Nordsyrien sollten sich deutsche Staatsbürger, die keinen Bezug zu Syrien haben, in jedem Fall gut informieren und sicherstellen, ob und wann sie den Grenzübergang nach Nordsyrien passieren dürfen.

Von der Regierung in Syrien wird dieser Grenzübergang nicht anerkannt. Demnach könnten Nicht-Syrer wegen einer "illegalen Reise" nach Syrien von Assads Behörden auch angeklagt werden. In Rojava/Nordsyrien angekommen, dürfen sich Nicht-Syrer, die kein Visum für Syrien haben, von syrischen Assad Behörden nicht erwischen lassen.

Überfahrt über den biblischen Fluss Tigris

Am 4. April gegen 10 Uhr überquerte ich überraschend schnell den biblischen Fluss Tigris bei Sêmalka nach Nordsyrien. Meinem Studienfreund aus Moskauer Zeit ist es gelungen, alle Formalitäten am Grenzübergang, auf der irakisch-kurdischen Seite, für mich schnell zu erledigen. Als wir mit einem kleinen Bus die provisorische Brücke über den Tigris erreichten, konnte ich mich noch einmal davon überzeugen lassen, wie hoch das Wasser im Tigris war.

Man sagte mir, dass die Strömung an diesem Flussabschnitt zu dieser Jahreszeit gerade sehr schnell ist. Die Überfahrt war nicht ungefährlich. Die Wellen von Tigris schlugen sehr kräftig gegen unseren kleinen Bus. Die Brücke, wie ich später erfahren habe, musste einen Tag später geschlossen werden. Der schnelle Tigris soll eine parallel errichtete Brücke sogar fortgerissen haben.

Bei den syrischen Kurden angekommen, musste ich auch einige Formalitäten erledigen. Auch hier bekommt man ein Visum. Dieses wird aber von der syrischen Regierung nicht anerkannt. Man darf sich also nur im von Kurden und ihren Verbündeten kontrollierten Gebieten bewegen und aufhalten. Im Gegensatz zu Erbil, wo man am Flughafen auch einen Vermerk, Datum der Ein- oder Ausreise in den Reisepass bekommt, wird hier kein Eintrag in den Reisepass gemacht. Die Einreiseerlaubnis wird als gesondertes Blatt erteilt.

Der Kurde Kim gibt der Verbindungsperson den Aufenthaltsort telefonisch durch - in Manbij, vor der Reise nach Nord-Aleppo, 9. April 2019. Foto: Kamal Sido

Sowohl im Nordirak als auch in Nordsyrien sollte man bereits an der Grenze ein wenig Landeswährung, syrische Lira und irakische Dinare, mitführen. Für eine Taxifahrt von Punkt A zum Punkt B, mit einer Entfernung von 30 Kilometer, bezahlt man in Nordsyrien etwa 10.000 Syrische Lira. Das sind etwa 41 Euro (Stand April 2019). Allerdings ist die syrische Lira von ständigen Wechselkursschwankungen betroffen.

Im Syrischen Bürgerkrieg, der seit 2011 geführt wird, wurde die Lira gegenüber dem US-Dollar stark abgewertet und erreichte im April 2019, als ich mich in Nordsyrien aufhielt, einen Tiefststand von rund 572 Lira. Im Vergleich dazu, bekam man im Jahre 2011 für einen US-Dollar 59 syrische Lira.

Nach der Erledigung aller Formalitäten, auf der syrisch-kurdischen Seite, habe ich einen Freund (Sadun), den ich bei einer früheren Reise im Jahre 2016 kennengelernt hatte, angerufen. Er lebt in einem Dorf, nicht weit weg vom Grenzübergang. Mit seinem privaten PKW fuhr er mich von Sêmalka nach Qamischli. Die Fahrt dauerte sehr lang, da die Autostraßen sich in einem sehr schlechten Zustand befinden und seit 2011 kaum saniert wurden. Hinzu kam das Hochwasser dieses Jahr.

Die über die Ufer getretenen Bäche und Flüsse haben viele Brücken und Straßenabschnitte auch zerstört. Für eine Strecke von etwa 115 Kilometer brauchten wir etwa vier Stunden. Auf dem Weg nach Qamischli sahen wir viele Erdölfeder. Dies ist auch die reichste Region Syriens an Erdöl und Gas. Wir fuhren durch die kleinen Städte Al Maabada (Girgê Legê), Aljawadea (Çil Axa) und Qahtaniyah (Tirbe Sipiyê).

Unterwegs suchten wir immer wieder nach Benzin. Am Straßenrand trifft man oft Menschen mit Kanister aus Plastik, die Benzin verkaufen. Das sind kurdische oder nordsyrische "Tankstellen". Wie ich von Sadun erfuhr, war das Benzin auch von sehr schlechter Qualität. Es wird in der Regel in der Region selbst auf eine primitive Art hergestellt.

In Qamischli angekommen, besuchten wir Ahmad Sulaiman (den ehemaligen Sprecher des Kurdischen Hohen Rats und Politbüromitglied der Pêshverû-Partei). Auch Sadun ist Mitglied dieser linksliberalen kurdischen Partei. Hier haben wir unseren großen Hunger stillen können. Ahmad Sulaiman, seine Gattin Newroz und andere Freunde, erwarteten uns schon. Unsere Ankunft wurde von Sadun telefonisch durchgegeben.

Qamischli ist eine multiethnische und multireligiöse Stadt und wird militärisch hauptsächlich von Kurden bzw. von ihren verbündeten Milizen kontrolliert. Dort lebten 2011 etwa 200.000 Menschen. 40.000 von ihnen sollen Christen gewesen sein, die jedoch bereits zur Hälfte die Stadt verlassen haben sollen. Die "Asayîş", die Polizei der "Autonomen Selbstverwaltung" Nordsyrien und andere bewaffnete Verbände, die mit der PYD verbündet sind, herrschen in Qamischli. Zudem existieren hier auch christliche und arabische Milizen.

In Qamischli sowie in Al-Hasaka, der Provinzhauptstadt, ist aber auch noch die syrische Regierung präsent, die u.a. den Flughafen in Qamischli kontrolliert. Nach meinen Kenntnissen befürwortet auch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Anwesenheit des Regimes in der jetzigen Form. Der Flughafen wird von der Regierung betrieben und war lange Zeit "das einzige Tor in die Außenwelt". Es gibt regelmäßige Flüge nach Damaskus. Wenn das Regime aus Qamischli ganz abziehen würde, wird auch der Flughafen nicht mehr in Betrieb genommen.

Die Anwesenheit der Assad-Truppen in der Stadt bietet auch einen gewissen Schutz vor Angriffen der türkischen Armee, die nur einige wenige Hundert Meter, im Norden hinter der Grenze, entfernt stationiert sind. Das Regime mischt sich auch kaum in die täglichen Angelegenheiten der Menschen in Qamischli ein. Es herrscht eine Art Waffenstillstand zwischen Assad und den Kurden.

Die Entstehungsgeschichte von Qamischli hängt mit Grenzziehung zwischen der Republik Türkei und Syrien Anfang der 1920er Jahre zusammen. Da die Eisenbahnlinie (Bagdad-Bahn) zur staatlichen Grenze wurde, lag die heute mehrheitlich kurdische Stadt Nusaybin im Norden von Qamischli auf einmal auf der anderen, nämlich der türkischen Seite. Damals begann die Stadt Qamischli auf der syrischen Seite zu entstehen.

Die Kurden bezeichnen das Kurdengebiet im Norden, hinter der Eisenbahnlinie, auf der türkischen Seite, bis heute als Serxetê (deutsch: oberhalb der Linie). Wegen der unüberschaubaren Situation in Qamischli bevorzuge ich Amuda als Ort für meinen Aufenthalt.

Nach dem Mittagessen in Qamischli fuhr ich mit einem anderen Freund, Kim, nach Amuda. Den Kurden Kim, der als Bauunternehmer arbeitet, lernte ich 2016 kennen. In Amuda bekam ich von Freunden den Schlüssel einer leerstehenden für die Region schönen Wohnung, in der ich mich aufgehalten habe. Von dort aus habe ich meine Reisen in andere Gegenden unternommen. Die Stadt Amuda liegt nur wenige hundert Meter von der türkischen Grenze entfernt und hatte vor dem Beginn der syrischen Revolte (2011) etwa 50.000 Einwohner, überwiegend Kurden.

Vertrieben durch den NATO-Partner Türkei und die syrischen Islamisten - Geflüchtete aus Afrin warten aus einen Rückkehr in ihre Heimat. Foto: Kamal Sido

Die Zahl der Menschen, die dort heute leben, ist unbekannt, da viele Kurden ausgewandert und eine Vielzahl von arabischen Flüchtlingen aus den im Süden liegenden Kampfgebieten in Amuda Zuflucht gefunden haben. In der ganzen Stadt befinden sich noch zehn Christen und deren zwei aus Lehm errichtete Kirchen, von denen eine syrisch-orthodox und die andere armenische ist, zwar noch stehen, jedoch werden Gottesdienste dort aber nur sehr selten abgehalten.

Amuda ist auch der Sitz eines in der ganzen Region bekannten Radiosenders arta.fm. Arta.fm sendet in vier Sprachen: Kurdisch, Arabisch, Aramäisch und Armenisch. Es handelt sich um einen sehr gut funktionierenden alternativen Radiosender. Er wurde im Juli 2013 von Sirwan Haji Berko, eines von dort stammenden deutschen Staatsbürgers, gegründet.

Hier sind auch andere Medien wie der TV-Sender "Ronahi", der arabischsprachige TV-Sender "Alyom" oder der kurdischsprachige Sender "Rojava". Amuda ist auch der Sitz vieler Behörden der "Autonomen Selbstverwaltung" in Nordsyrien.