Urlaub in der Türkei

Wollt ihr wirklich jetzt dahin fliegen?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Jetzt Urlaub? Fliegen? Türkei?
Ja, aber diesmal bekommt der deutsche Urlauber keine schönen Urlaubswünsche mit auf den Weg. Seit den Terroranschlägen in den USA und den Vorbereitungen der Vergeltungsmaßnahmen darf sich kein Tourist mehr auf seinen wohl verdienten Urlaub freuen. "Da sind doch alle Moslems und wenn es losgeht...", doch dieser Satz wird von kaum einem Gesprächspartner zu Ende gesprochen. Neben den besorgten Erkundigungen bekommt der Ferienreisende auch sarkastisch geprägte Bemerkungen mit auf den Weg: "Wir wünschen euch eine Bombenstimmung".

Die Schwiegermutter ruft an, "Wollt ihr wirklich fliegen?" Voller Ernst schlägt sie eine Umbuchung nach Südtirol vor. Zeitgleich erreicht mich eine SMS: "Hallo, kann ich vielleicht einige Tage bei dir wohnen? Alle sind total verärgert und suchen mich! Brauche jetzt einen guten Freund! Würde mich freuen. OSAMA BIN LADEN." Dann ein Telefonat und der Scherz: "Achja, der will doch jetzt in die Türkei."

Aufgrund der Nachrichten fahren wir etwas früher zum hannoverschen Flughafen, doch von verschärften Kontrollen ist wenig zu spüren. In der Abflughalle laufen weder mehr BGS-Beamte noch anderes Sicherheitspersonal Streife. Wahrscheinlich beschränkt sich die Überwachung auf den Einsatz der vielen installierten Kameras. Die türkische Fluggesellschaft lässt sich mit der Kofferannahme und dem Einchecken Zeit. Knapp eine Stunde vor dem geplanten Abflug werden die Schalter geöffnet. So lange heißt es Schlangestehen.

Doch die Ohren spitzen sich, als ein Flughafenmitarbeiter von den täglichen Bombendrohungen erzählt und so für "reichlich Action gesorgt ist". Im Radio kann man kurze Zeit später hören, dass der Flughafen Bremen gerade deswegen gesperrt ist und durchsucht wird. Doch wie alle Fluggäste beruhigt man sich und denkt, so sicher wie jetzt ist das Fliegen noch nie gewesen und wenn, auf der Autobahn ist die Lebensgefahr deutlich höher, wie wir erst am Vortag bei einem Unfall auf der Gegenfahrbahn dachten. Sicherheitskontrollen, naja, wie immer alles aus den Jacken- und Hosentaschen in eine Schale. Die Obstmesser sind sowieso schon im Koffer. Ich werde von oben bis unten durchgepiepst und abgetastet, doch meine Frau kann einfach so durch gehen. Andere Feriengäste berichten von ähnlichen Erfahrungen bis hin zu keinerlei Kontrollen. Sind Terroristen nur männlich?

Endlich im Flugzeug sitzen, doch schon beschleicht einen ein beklemmendes Gefühl. Unweigerlich denke ich an die Menschen in den entführten Flugzeugen in den Vereinigten Staaten, die für einen Terrorakt missbraucht und getötet worden sind. Man denkt an die Fluggäste, die sich angeblich gewehrt haben sollen. Doch ist man erst einmal in diesem Flugzeugriesen auf seinem Platz eingekeilt - irgendwo auf einem der drei Sitze auf der linken oder rechten Seite oder gar mittendrin, alle nur von einem sehr schmalen Gang getrennt -, kann man sich schon vorstellen, wie einfach diese Menschenmasse von einigen wenigen bewaffneten Entführern kontrolliert werden kann. Jede Bewegung kann gesehen werden und wenn wirklich Menschen mit Zivilcourage versuchen sich zu wehren, müssen sie den schmalen Gang nutzen.

Zur Startzeit kommt die Durchsage, wegen der Erkrankung eines Passagiers verzögere sich der Start und der Koffer müsse nun wieder ausgeladen werden. Wahr oder gelogen oder nur 400 Fluggäste beruhigt - wie auch immer - der Start verzögert sich um eine gute Stunde. Erst als es endlich losgeht, verschwindet so langsam das flaue Gefühl in der Magengegend.

In der Türkei lassen sich die Beamten bei der Einreisekontrolle in orientalischer Weise viel Zeit. Alle Ausweise werden gescannt, nach einem tiefen prüfenden Blick gefolgt von einem Kopfnicken wieder ausgehändigt. Auf der Fahrt zum Feriendorf sieht man vereinzelt die Moscheen, doch das ist wirklich schon alles, was der Tourist vom Islam zu sehen bekommt. In der Ferienanlage ist alles auf die kaufkräftigen deutschen Touristen abgestimmt. Ausflüge sind wie immer buchbar, damit man "Land und Leute" kennen lernt. "Wer als Fremder kommt, geht als Freund", heißt es in einem Ausflugsprospekt, und bei einigen dieser Ausflüge ist der Besuch einer Moschee obligatorisch.

Im Ausland bleibt der Gast natürlich nicht ohne Informationen. Fast ausschließlich prägt die Bildzeitung die Meinung und die Stimmungsbilder der Deutschen. Begierig werden die Infos aufgesaugt, denn im TV-Raum gibt es nur türkischsprachiges Fernsehen. Ein Restaurant außerhalb des Clubs bietet aktuelle Fußballübertragungen als deutschsprachiges Programm an. Zur typischen Nachrichtenzeit bleibt der Fernseher aus. Voller Interesse sehe ich daher ein Schild mit dem Hinweis Internetcafé, doch das hat wohl längst Pleite gemacht. Aber mit dem Minibus ist man in einer viertel Stunde in Side und ein Internetcafé in greifbarer Nähe. Für den "normalen" Preis von 5 DM/Stunde ist man dann wieder mit dem Nabel der Welt verbunden.

Bei den Urlaubern zeigt sich in Gesprächen eine Trotzhaltung, denn "wäre man nicht geflogen, dann hätten die Terroristen ein weiteres Ziel erreicht". Welches Ziel, das ist wird nicht ausgesprochen, doch wenn die Welt in ihren Grundfesten erschüttert ist, die kleine heile Welt muss bewahrt bleiben. Alle Urlauber hoffen, dass die Amerikaner besonnen bleiben. Jedoch haben die NATO-Länder Griechenland und die Türkei den US-Jets eine Überfluggenehmigung erteilt, und nur wenige hundert Kilometer von den Urlaubsstränden versammeln sich die Seestreitkräfte.