Usbekistan bleibt ein Unrechtssystem

Die Menschenrechtsaktivistin und usbekische Journalistin Mutabar Tojibaeva erhält den Martin Ennals Menschenrechtspreis für die Unterstützung der Opfer des Andischan-Massakers

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Die Nominierung für den diesjährigen Martin Ennals Award in Genf, der am 20. November verliehen wird, kam für die sechsundvierzigjährige Gefangene im Frauengefängnis von Taschkent völlig überraschend. Seit ihrer Verhaftung im Oktober 2005 hatte Mutabar Tojibaeva Folter, psychologische Erpressung ohne juristischen Beistand und Isolationshaft über sich ergehen lassen müssen. Trotz ihrer körperlichen Schmerzen durfte sie nicht einmal einen Arzt um Hilfe im Gefängnis bitten.

Über ein Jahr schien ihre Situation als politische Gefangene und Regimegegnerin aussichtslos. Dann 2007 plötzlich Erleichterung. Obgleich sie kaum mit der Außenwelt in Berührung stand, erfuhr sie vom Druck der internationalen Gemeinschaft gegen die Menschenrechtssituation in Usbekistan seit dem Massaker von Andischan 2005 (Zurückhaltung nach Massaker in Usbekistan; Die üblichen Verdächtigen). Als die Gefängnisdirektion ihr im Mai 2008 mitteilte, dass sie für den Menschenrechtspreis in Genf vorgeschlagen sei, hatte Tojibaeva plötzlich eine privilegierte Stellung im Frauengefängnis. Statt Erniedrigung zeigte man Respekt. Im Juni wurde sie aus dem Gefängnis freigelassen.

Doch was war während der 2 Jahre Frauengefängnis mit ihr geschehen, fragte sich Mutabar Tojibaeva? „Sie luden einen UN-Arzt ins Krankenhaus ein, der mich operieren sollte, wobei ich nicht wusste warum? Dann wurde ein gynäkologischer Eingriff durchgeführt. Nach der Operation wurde ich weder über das Ergebnis informiert, noch bekam ich die Krankenakte zu Gesicht. Wenn die Behörden einen Grund finden, entscheiden sie einfach über die Operation“, empörte sich Mutabar Tojibaeva bei ihrem Kurzaufenthalt in Berlin, wenige Tage vor der Preisverleihung in Genf.

Die Bundesregierung hat die Menschenrechtsaktivistin und Journalistin Tojibaeva nach Deutschland eingeladen, damit sie in Berlin von unabhängigen Ärzten untersucht werden kann. Seit ihrer Freilassung am 2. Juni hat sich ihr Gesundheitszustand jedoch weiterhin verschlechtert. Mutabar Tojibaeva wurde für ihren Mut eingesperrt, zu Unrecht verhaftete Bürger bei ihrer Klage gegen die usbekische Regierung zu unterstützen. Sie saß selbst bereits im Gefängnis, als sie 2005 20 Telegramme von 23 Geschäftsleuten aus Andischan erhielt.

Ausgangspunkt für das Andischan-Massaker war eine friedliche Demonstration vor einem Gerichtsgebäude, in dem Geschäftsleute als islamische Extremisten angeklagt wurden. Der Konflikt eskalierte in der Nacht zum 13. Mai 2005, als Panzerwagen das Feuer auf eine tausendköpfige Menschenmenge auf dem Babur Platz eröffneten. „Bis heute wagt es niemand in Usbekistan, über die Täter des Massakers zu sprechen, am allerwenigsten die Regierungsvertreter. Doch wir wissen, wer für das Blutbad verantwortlich ist“, erklärt Mutabar Tojibaeva. In den Telegrammen beteuerten die Geschäftsleute, dass sie unschuldig und die Anklagepunkte gegen sie haltlos seien. Tojibaeva schrieb an Präsident Islam Karimov und drohte, dass sie mit ihrer Klage nach Moskau ginge, sollte er die Geschäftsleute nicht unverzüglich freilassen. Nun wusste die usbekische Regierung, dass sie über Beweismaterial verfügte. Kurz vor ihrer Reise nach Irland, wo sie über die Menschenrechtslage in Usbekistan berichten wollte, wurde sie von der Polizei verhaftet, die das Beweismaterial an sich nahm. „Der Präsident hatte wohl die Befürchtung, dass ich die Dokumente im Ausland zeigen könnte“, sagt sie.

Die Leute in Usbekistan haben bis heute keinen juristischen Beistand, um sich gegen ungerechtfertigte Anklagen zu verteidigen. Es gibt keine Anwälte, kein Rechtssystem. Einzig internationale Organisationen wie Human Rigths Watch, Botschaften oder die von ihr gegründete Nichtregierungsorganisation Burning Hearts Club sind Anlaufstellen für die zivile Bevölkerung in den usbekischen Gefängnissen. Das Geld aus der Preisverleihung will sie bei ihrer Rückkehr nach Usbekistan für die unschuldigen Häftlinge einsetzen, damit sie aus den Gefängnissen freikommen.

Die Journalistin weiß wovon sie spricht, denn, als sie ihre regimekritischen Artikel in der Zeit zwischen 1998 und 2000 in den usbekischen Medien veröffentlichte, wurde sie von der Polizei verfolgt und niemand half ihr, dagegen zu klagen. Mit der Nichtregierungsorganisation Burning Hearts Club, die sie 2000 gegründet hatte, schuf sie schließlich eine juristische Plattform, um für verfolgte Bürger Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. „ Die Menschen sollen lernen, wie sie ihre Rechte verteidigen können“, so Mutabar Tojibaeva.