Zurückhaltung nach Massaker in Usbekistan
Die Regierung sieht Islamisten hinter den Unruhen und hat Angst vor einem Export der Revolution aus Kirgisien
Zentralasien kommt nicht zur Ruhe (In allen drei Ländern wurden die Veränderungen "von oben" eingeleitet). Nur zwei Monate nachdem in Kirgisien die Regierung durch Massenproteste gestürzt wurde, kam es in den vergangenen Tagen auch im benachbarten Usbekistan zu Unruhen. Anders als im politisch liberalen Kirgisien (Revolution, die dritte ...) aber verliefen die Konfrontationen im autoritär beherrschten Usbekistan härter.
Als sich am Freitag mehrere Tausend Menschen in der östlichen Stadt Andischan zu Protesten gegen die Regierung versammelten, eröffneten Soldaten das Feuer. Nach Augenzeugenberichten fanden bei dem Massaker bis zu 200 Menschen den Tod. Die Regierung in der Hauptstadt Taschkent begründete den Waffeneinsatz mit dem Vorgehen der Demonstranten. Diese hatten ein Gefängnis gestürmt und schätzungsweise 2.000 Häftlinge befreit. Unter den entkommen Gefängnisinsassen befanden sich auch 23 muslimische Geschäftsleute. Ihnen wird die Mitgliedschaft in der Akramija vorgeworfen, einer Splittergruppe der verbotenen Islamistenpartei Hisb-ut-Tahir (Befreiungspartei).
Illegalisierung der islamistischen Opposition
Nach Meinung der Regierung unter Präsident Islam Karimow sind eben diese islamistischen Gruppen für die Gewalteskalation verantwortlich. "Sie wollten einen Staatsstreich ausführen", sagte der Politiker auf einer Pressekonferenz am Samstag in Taschkent, "um einen Gottesstaat zu errichten." Zudem befänden sich unter den Organisatoren der Proteste auch Aktivisten aus dem benachbarten Kirgisien. Die Angst vor einem Export der Revolution ist in Taschkent groß.
Dabei hat die Regierung Karimow durchaus ihren Anteil an der Zuspitzung der Lage. Denn obgleich die Hisb-ut-Tahir während ihrer offenen politischen Arbeit trotz totalitärer Ansichten immer noch friedliche Mittel nutzte, wurde sie unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung verboten. So in die Illegalität getrieben, fanden sich ihre Aktivisten nun tatsächlich an der Seite terroristischer Gruppen wie der "Islamistischen Bewegung Usbekistans" wieder, einer militant-islamistischen Gruppe, deren Kämpfer in den vergangenen Jahren zum bewaffneten Kampf nach Tadschikistan, Afghanistan und Kirgisien entsandt wurden. Hisb-ut-Rahir stritt jede Beteiligung ab und betonte, man wolle die Regierung, "die Tausende von Unschuldigen gefoltert und eingesperrt hat", mit friedlichen Mitteln stürzen.
Soziale Ursachen der Proteste
Im Rahmen der kompromisslosen Antiterrorpolitik Karimows wird inzwischen jegliche Opposition und Kritik mit der "islamistischen Gefahr" gleichgesetzt. Denn während der Staatschef auch das Geschehen in Andischan auf diese Weise interpretiert, sprechen die wenigen Berichte ausländischer Korrespondenten eine andere Sprache. Eine Reporterin der Nachrichtenagentur AP etwa sah die Motivation der Demonstranten vor allem in der sozialen Misere des zentralasiatischen Landes:
Einer nach dem anderen steigt auf das Podium und beklagt Misswirtschaft und Arbeitslosigkeit. (...) Noch vor wenigen Jahren wären Demonstrationen undenkbar gewesen, doch die Frustration in Usbekistan wuchs immer mehr. Immer häufiger kam es zu kleinen Demonstrationen und Protestkundgebungen.
Aus dem AP-Bericht von Bagila Bukharbayeva aus Andischan
In ihrem Bericht wirft die AP-Korrespondentin den Regierungskräften auch bei der derzeitigen Eskalation ein Verschulden vor. Erst nach dem Angriff der Soldaten auf die Demonstranten hätten diese sich in einem Gebäude der Regionalverwaltung verschanzt, schreibt sie. Die Regierung hatte diese Besetzung als Begründung für ein weiteres militärisches Vorgehen genannt. In Anbetracht dieser Situation entschließen sich immer mehr Menschen zur Flucht. Rund 4.000 Usbeken sollen an der Grenze zu Kirgisien um die Einreise in das Nachbarland gebeten haben. Die Lage bleibt gespannt.
Internationale Zurückhaltung
Im Ausland wurde die politische Zuspitzung in Usbekistan eher zurückhaltend aufgenommen. Am weitesten noch ging die EU-Kommission mit ihrem Urteil, die Regierung in Taschkent trage eine Mitschuld an der Eskalation. Die aktuelle Krise, so hieß es in Brüssel sei ein "Ergebnis des mangelnden Respekts vor Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit". Die US-Regierung zeigte sich der Form halber "besorgt" - vor allem, weil bei dem Sturm auf das Gefängnis am Freitag auch mutmaßliche Mitglieder der "Islamistischen Bewegung Usbekistans" freigekommen sein sollen. Moskau indes befürwortete die harte Haltung Taschkents:
Die russische Seite unterstützt in diesen schweren Minuten die Führung des befreundeten Usbekistans.
Aus einer Erklärung der russischen Regierung
Die tendenzielle Zurückhaltung zum brutalen Vorgehen der usbekischen Regierung, die nach wie vor bis zu 7.000 politische Gefangene festhält, hat eine einfache Erklärung. Europa, Russland und die USA unterhalten eine eigene militärische Präsenz in den strategisch günstig gelegenen Staat. Auch die Bundeswehr nutzt einen Flughafen in Usbekistan und hat dort Soldaten stationiert, um die Truppen in Afghanistan zu versorgen. Und offenbar will es sich niemand mit dem Gastgeber verderben.