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Idealvorstellungen, die die Wirtschaft in Umlauf bringt, stehen in der langen Tradition von Utopien - und sollten entsprechend analysiert werden
Das ideale Leben ist heute Chefsache der Wirtschaft. Sie fabriziert Bilder, die uns vorführen, was erstrebenswert ist: Das ideale Aussehen, das ideale Eigenheim, der ideale Urlaub, der ideale Partner, etc. Die Wirtschaft ist damit zum primären Lieferanten von Utopien avanciert. Doch wie funktionieren die korporativen im Vergleich zu den herkömmlichen Utopien?
"Wir trainieren Sie!" lautet ein Slogan von Nova Porta, der den Betrachter animieren und rekrutieren soll. Zum Mitmachen. Zum Eintauchen. Zum Aussteigen. "Nova Porta" öffnet Türen in eine andere Welt. Wer mitmacht, so stellen die Texte der fiktiven Firma in Aussicht, kann seine bürgerliche Identität abstreifen. Kann sich fallen lassen. Wird befreit von seinen Aufgaben und Sorgen. Kann teilnehmen an einem Experiment, bei dem er selbst Versuchsgegenstand ist und unter täglicher Beobachtung steht. Nichts tun im Paradies - die Forscher der Wirtschaftsavantgarde verlangen es von allen Teilnehmern.
S/W-Bilder zeigen "Nova Porta"-Settings, "Nova Porta"-Versuchssituationen, "Nova Porta"-Filialen. Futuristische Baukörper. Archaische Gewaltszenen im Freien. Unterirdische Verließe und Schächte. Maskierte Jugendliche im tropischen Regenwald. Die Stimmung der Images ist kaum auf einen Nenner zu bringen. Mal geheimnisvoll. Mal nihilistisch. Fast immer ein bisschen düster. Die Welt von "Nova Porta" ist voller Schatten und unbekannter Faktoren. Unwägbarkeiten gehören zum Image des Dienstleisters. Wer sich angesprochen fühlt, nimmt das bewusst in Kauf. Unbekannte Variablen steigern den Reiz des Angebots. Wie lange werde ich im dunklen Paradies ausgesetzt? Wie verändert sich durch den Aufenthalt meine Persönlichkeit?
Die korporative Fiktion stellt Abenteuer in Aussicht - die Vorraussetzung ist, man verzichtet auf materielle Rundumbetreuung und begibt sich ins Ungewisse. Das Projekt trifft mit seinen Prämissen einen Nerv unserer Zeit. Vergleichbares spielt sich im Reality-Fernsehen ab. "MTV - The Trip" zum Beispiel schickt Menschen in eine Truman Show des Reisens ohne finanziellen Rückhalt. Wer Europa am schnellsten ohne einen Pfennig in der Tasche durchquert, hat gewonnen. Andere Formate verpflanzen Menschen in den Regenwald. Setzen ihn der Wildnis aus - und seiner selbst. Die Zahl der Menschenexperimente im Fernsehen, die von Science Fiction Filmen wie "Running Man" in den 1980er Jahren vorgeträumt worden ist, hat in letzter Zeit deutlich zugenommen. Robinson Crusoe ist im virtuellen Kamin zum Modellfall für Millionen geworden. Der berühmteste Aussteiger der Welt ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts als Zlatko wiedergeboren worden.
Traum von der anderen Welt
Wie auch die massenmedialen Erzählungen, war Daniel Defoes "Robinson Crusoe" als Aussteiger-Roman nie wörtlich gemeint. Die Figur, die Defoe zu Beginn des 18. Jahrhunderts entworfen hat, ist schließlich kein Zivilisationsflüchtling. Sondern ein Held seiner Zeit, der unterschiedliche Entwicklungsstufen hin zum Idol der bürgerlichen Gesellschaft durchläuft. Als Parabel lieferte der Roman Werkzeuge zur Wirklichkeitsoptimierung. Mit den Reality-TV-Formaten verhält es sich nicht anders. Das Überlebenstraining im Ausnahmezustand dient als Spiegel eigener Verhältnisse: Nicht wenigen dürfte in Zeiten von Harz IV das Existenzminimum als Überlebensgrundlage ein Begriff sein. Noch deutlicher zeigt sich in der Wirtschaft, dass das viel beschworene Aussteigen parabolisch gelesen werden muss.
In den Produktwerbungen der Konzerne nimmt ein ums andere Mal der Traum der anderen Welt Gestalt an. "Barcardi" und "Timberland" machen allerdings nur explizit, was andere Marken, die die imaginäre Bühne im unmittelbaren Einzugsbereich des Adressaten ansiedeln, implizit verinnerlicht haben. Die tropischen und wilden Settings haben nur oberflächlich betrachtet den Exotik-Bonus. Aussteiger-Prothesen sind auch die utopischen Fantasieblasen der anderen. Auch dort existieren Menschen so sorglos wie im Schlaraffenland, sehen richtig gut aus, haben das richtige an, etc. Die Bilder funktionieren wie Filter und Blickvorrichtungen. Stellen somit weniger die Möglichkeit einer anderen Welt in Aussicht, sondern haben - im Sinne einer visuellen Anleitung - Qualitäten, die den Betrachter, wenn nicht erziehen, so doch zumindest beeinflussen und steuern.
Dass die Wirtschaft zum primären Lieferanten von Utopien avanciert ist, mag auf den ersten Blick überraschen. Stimmt sicherlich misstrauisch. Desillusioniert. Intellektuelle stellen dieser Vereinnahmung Alternativen entgegen. Klaus Theweleit etwa erklärt das System Fußball zur neuen Projektionsfläche für Utopien. Dort würden seit 1989 "Reste des politischen Denkens überwintern; um gegebenenfalls auf anderen Feldern wieder Pässe zu schlagen." Auch Künstler melden sich zu Wort. Schreiben utopische Projekte fort. Reaktivieren Traditionen mit entsprechendem Potential. Im Sommer findet mit "Wunschwelten" beispielsweise eine große Überblicksschau in der Schirn Kunsthalle Frankfurt statt, die dem utopischen Potential der Romantik nachspürt. Auch der neuste Shootingstar der Berliner Kunstszene Timm Eitel erblickt dort neue Möglichkeiten. Nachdem in den 1990ern das Ende der Utopien verkündet worden ist, verdichten sich die Anzeichen einer Renaissance. Im Suhrkamp Verlag ist letztes Jahr bezeichnenderweise ein Sammelband mit dem Titel "Renaissance der Utopien" erschienen.
Auch das "Nova Porta"-Projekt lässt sich in diesem Zusammenhang verorten. Als eine Analyse, die untersucht, welches Utopie-Repertoire die Werbung im kollektiven Gedächtnis abruft. So erschallt in der corporate identity von "Nova Porta" das Echo von "James Bond", von Zeltlagern der Jugendzeit und von Comics wie "Die blauen Panther". Wenn dieses pop- und jugendkulturelle Vokabular mit der Sprache der Wirtschaft verschränkt wird, findet allerdings auch eine Synthese statt: "Nova Porta" verhält sich zu den "Meistererzählungen" der Massenkultur wie eine "Gegensimulation" (Der Derian), die uns in Ungewissheit stranden lässt. Ein durchaus instruktives Erlebnis.