Venezuela hat die Revolution abgewählt - vorerst

Seite 2: Wirtschafts- und Währungskrise - Gründe für den Wahlsieg der Opposition

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Die Gründe für den ersten signifikanten Wahlsieg der Opposition in fast zwei Jahrzehnten in Venezuela liegen ohne jeden Zweifel in der wirtschaftlichen Lage des Landes. Das bedeutet nicht, dass die Chavisten - wie von der Opposition behauptet und wenig sachkundigen Autoren im Ausland verbreitet - die Wirtschaft des "reichen" Erdölstaates zugrunde gerichtet hätten. Die Reichtümer Venezuelas waren vor Beginn der Bolivarischen Revolution einer Oberschicht vorbehalten, die auf Kosten einer wirtschaftlich wie politisch marginalisierten Mehrheit lebte. Der Amtsantritt von Chávez läutete sowohl eine Umverteilung als auch eine Infrastrukturpolitik ein, die erstmals der gesamten Bevölkerung zugutekam.

Das Problem in Venezuela liegt jedoch in einer verfehlten Industriepolitik: Trotz aller Willensbekundungen von Regierungsseite ist es nicht gelungen, eine produzierende Wirtschaft im Land aufzubauen. So konnten die strukturellen Probleme der erdölbasierten Wirtschaft nicht überwunden werden.

Eine staatliche gelenkte und vor allem komplizierte Währungspolitik vergrößerte diese Probleme in den letzten Jahren. Und schließlich sah sich die Regierung Maduro auch einem Wirtschaftskrieg gegenüber, der von einem Teil der oppositionellen Unternehmerschaft über die Verknappung von Waren ausgetragen wurde. Die Folge: Offiziell wird ein US-Dollar in Venezuela derzeit mit 200 Bolívares gehandelt. Auf dem Devisenschwarzmarkt sind 800 Bolívares zu haben.

Aber der Wirtschaftskrieg gegen Venezuelas linke Regierung ist eben nicht das einzige Problem - und das führt auf die politische Ebene. In seiner landesweit übertragenen Ansprache unmittelbar nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse, schon am frühen Montagmorgen, sprach Maduro nur über externe Faktoren. Für Selbstkritik war kein Platz.

Doch genau die wäre schon viel früher nötig gewesen, zumal die chavistische Basis sich der Probleme sehr bewusst ist und sie diskutiert. Anders als die Parteipolitiker aller Seiten: Venezuela ist wahrscheinlich das einzige Land in einer schweren strukturellen Krise, in dem im Wahlkampf niemand über Konzepte zur Lösung der bestehenden Probleme gesprochen hat.

Unscharfer Blick aus dem Ausland

So werden in Venezuela die Karten nun neu gemischt. Ein Ende des sozialistischen Projektes bedeutet das jedoch nicht. Der Chavismus ist nicht nur im bürgerlichen Parlamentarismus verankert, sondern vor allem in den Basisorganisationen der Barrios - und im Militär.

Diese Kräftekorrelation wird von ausländischen Beobachtern kaum erfasst, wie zahlreiche fehlerhafte Medienberichte der letzten Tage gezeigt haben. Auch in der deutschen Presse wurde, weil offenbar kaum jemand an eine Niederlage der Chavisten geglaubt hat, präventiv von Wahlbetrug die Rede. An anderer Stelle hieß es, die Wahlkreise seien neu aufgeteilt worden, um das Regierungslager zu begünstigen. "Von einer unabhängigen Wahlbeobachtung kann man nicht sprechen", merkte der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD an, um in offensichtlicher Unkenntnis der Lage von einem Wahlbetrug zu warnen.

Nichts davon traf zu. Weder hatte sich je ein Wahlbetrug durch das Regierungslager abgezeichnet, noch war die Lage instabil - von Drohungen aus den Reihen der Opposition abgesehen, bei einem ihr nicht genehmen Ergebnis zu Protesten aufzurufen. Tatsächlich blieb die Lage am Wahltag nicht nur ruhig, die Menschen strömten seit dem Morgen massiv in die Wahllokale. Der automatisierte und mehrfach abgesicherte Wahlprozess wurde von der Wahlbehörde ohne Unregelmäßigkeiten organisiert.

Wahlbegleiter des CNE und der Union südamerikanischer Staaten (Unasur) begleiteten den Prozess. Für Ärger sorgte nur der ehemalige bolivianische Präsident Jorge Quiroga, der als Wahlbeobachter auf Einladung des Oppositionsbündnisses im Land war und noch am Wahlabend zum "politischen Wandel" aufrief.

Präsident Maduro erkannte die Ergebnisse jedoch unmittelbar nach Bekanntgaben durch den CNE an und gratulierte der Opposition zum Wahlsieg. Eine solche Reaktion war von den Regierungsgegnern in den vergangenen 17 Jahren nach einer Niederlage nie gekommen.

Wie geht es in Venezuela nun weiter?

Ein Ende des Chavismus hat Venezuela nicht gewählt, aber die Regierung ist angezählt. Das Kabinett von Präsident Maduro muss nun unter schlechteren Bedingungen mehr Aufgaben lösten: Sie muss die Wirtschafts- und Währungskrise in den Griff bekommen, sie muss den Kontakt zu den Basisbewegungen wieder verstärken und sie muss zugleich Kompromisse mit der Oppositionsmehrheit im Parlament finden. Nur wenn alle drei Aufgaben gelingen, kann sie einen Ausweg aus der Sackgasse finden, in der sie seit dem frühen Montagmorgen steckt.

Auf der anderen Seite muss die Opposition jetzt liefern. Das Parteienbündnis MUD hat sich in den vergangenen gut eineinhalb Jahrzehnten maßgeblich durch seine Gegnerschaft zur linken Staatsführung ausgezeichnet. Jetzt muss sie - anders als im Wahlkampf - konkrete Konzepte zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Landes liefern. Bisher ist in dieser Hinsicht auch von ihrer Seite wenig zu erfahren.

Stattdessen hetzte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei "Demokratische Aktion", Henry Ramos Allup, offensichtlich siegestrunken am Wahlabend gegen die Regierung. Bei der Staatsführung handele es sich um eine "Bande von Banditen", die Regierung habe "nie zu etwas getaugt" und "dieser verrückte Chávez hatte einfach nur Geld zum Verprassen", polterte der schlechte Sieger, um zugleich auch noch die Mitarbeiter des Fernsehkanals des Parlaments zu bedrohen. Solche Ausfälle stellten unmittelbar die politische Unreife der Opposition unter Beweis, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Harald Neuber hat in Caracas auf Einladung der Wahlbehörde CNE an der internationalen Wahlbeobachtungsmission teilgenommen.