Venezuela vor dem Kollaps?

Seite 3: Alle Kassen sind leer und die Inflation galoppiert

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Die Daten zeigen sehr deutlich das Versagen einer Regierung dabei, die Basis der Wirtschaft zu verbreitern. Und in Caracas herrscht wohl immer noch das Prinzip Hoffnung. Man betet, dass die Ölpreise wieder steigen. Das wird auch passieren, doch das kann angesichts der derzeitigen Lage einer Weltkonjunktur dauern und längst nicht genug sein, um das Defizit auszugleichen. Die Konjunktur schwächelt weltweit und einige Experten machen sogar schon einen Rezessionskurs aus.

Deshalb ist die Lage Venezuelas derzeit dramatisch. Vielleicht ist sie so aussichtslos, dass sich die Regierung deshalb weiter an absurde Verschwörungstheorien klammert, anstatt ihr Versagen einzuräumen. Denn sogar eine schnelle Ausweitung der Ölproduktion, wenn sie machbar wäre, würde im derzeitigen weltwirtschaftlichen Umfeld nur die Überproduktion steigern und damit noch stärker auf den Preis drücken. Schon für eine Steigerung der Produktion müsste zudem viel Geld in die Hand genommen werden. Für das Umkrempeln der Wirtschaft noch mehr. Doch woher nehmen wenn nicht stehlen? Die Staatsverschuldung ist aber sogar schon in den fetten Jahren bis 2014 gestiegen. Und die schwierige Lage hat dazu geführt, dass die Renditen für 10-jährige Staatsanleihen des Landes auf deutlich über 20% krass gestiegen sind, womit auch die Kosten für den Schuldendienst explodieren. Dafür machen die Einbußen aus dem Erdölgeschäft schon mehr als 30% der jährlichen Wirtschaftsleistung aus.

Mehr als 30% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sind auch die Einnahmen von Saudi-Arabien eingebrochen, dessen Defizit deshalb 2015 auf gut 20 Prozent explodiert ist (Ölpreis purzelt mit beendeten Iran-Sanktionen). Doch die Einbußen sowie der Anteil am Gesamtexport liegen dort sogar noch unter den Werten Venezuelas. Stärkere Einbrüche der Einnahmen aus dem Ölgeschäft verzeichnen nur Angola, Kuwait und Irak. Womit klar ist, dass es weitere Kandidaten gibt, die starke Probleme haben oder bekommen. Das hat die Neue Zürcher Zeitung in einem Artikel über den "Fluch einer nicht diversifizierten Wirtschaft" gerade herausgestellt.

Venezuela ist sicher ein Sonderfall, da zudem alle Kassen leer sind und die Inflation galoppiert. Auch nach offiziellen Zahlen soll sie 2015 schon 140% betragen haben und nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) könnte sie sogar auf 720% steigen. Erstaunlich ist, dass der IWF nicht von einem baldigen Kollaps der Wirtschaft des Landes ausgeht. Der Leiter der Abteilung für die westliche Hemisphäre meint zwar, dass die Wirtschaft des Landes am "Implodieren" sei, doch erstaunlicherweise wiegelt Alejandro Werner ab. Er spricht sogar davon, es wäre nicht sonderlich schlimm, falls das Land die Schuldenrückzahlungen einstelle. Denn Caracas habe "den klaren Willen" zum Schuldendienst gezeigt.

Man kann derlei Äußerungen nur im Rahmen der politischen Veränderungen im Land sehen, da der IWF der aufstrebenden Rechten keine Stöcke in die Räder werfen will, die natürlich an die Macht strebt. Es ist eine Sonderbehandlung, die man schon aus der Ukraine kennt, wo der IWF auch immer wieder Extrawürste brät. Anders als der IWF gehen aber andere Experten sehr wohl davon aus, dass es bald zum "vollständigen wirtschaftlichen Kollaps" in Venezuela kommt, wie die Washington Post schreibt. Die Frage für die Zeitung ist nur, ob zuerst die Wirtschaft oder zuerst die Regierung kollabiert. "The only question now is whether Venezuela's government or economy will completely collapse first." Das Land würde dreistellige Ölpreise benötigen, um wieder aus den roten Zahlen herauszukommen. Das Gelddrucken der letzten Jahre habe für die hohe Inflation und für eine massive Entwertung der Währung um 93% in den letzten beiden Jahren geführt. Gemeint ist damit natürlich der Schwarzmarktwert der Währung, da sich die Regierung weigere, den Tatsachen ins Auge zu blicken.

Nicht nur diese Zeitung meint, dass sich die Lage weiter verschlechtern wird. So sagt etwa auch Russ Dallen von der auf Lateinamerika spezialisierten Investmentbank Latinvest, dass die Frage nur noch ist, wann der Kollaps kommt: "It is a question of when, not if." Er meint, dass nur ein stark steigender Ölpreis die Lage verbessern könnte. Sonst würde nur noch eine Rettung durch die Freunde in "China, Russland oder Iran" möglich sein. Und die haben alle entweder gleiche Probleme mit dem Ölpreis oder kämpfen wie China mit einer massiven Konjunkturflaute zu kämpfen. Der Anteil des Öls an den Gesamtexporten ist auch in Russland und Iran mit 50 bis 60% hoch.

Die Lage ist in Venezuela auch deshalb besonders schlecht, weil auch Devisenreserven inzwischen fast aufgebraucht sind, die zu gut 95% aus dem Ölgeschäft kommen. Das ist ein riesiger Unterschied zum Beispiel zu Saudi-Arabien. Dessen Abhängigkeit vom Ölpreis ist geringer und es soll noch Devisenreserven in Höhe von etwa 700 Milliarden Dollar haben, weshalb das Land - anders als Venezuela und andere Ölländer - noch einige Jahre puffern kann.