Venezuela wird noch roter

Sozialisten setzen sich bei Regionalwahl in 20 von 23 Staaten durch. Doch die Erkrankung von Präsident Chávez wirft Fragen auf

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Hugo Chávez ist in Caracas allgegenwärtig. Tausendfach begegnet man seinem Konterfei in der Hauptstadt: mit Sprühschablonen auf den Mauern, auf Wahlplakaten oder überdimensionalen Transparenten. So stand Chávez auch bei den Regionalwahlen am Sonntag im Fokus -- obwohl er nicht kandidierte und sich noch nicht einmal im Land befindet. Der 58-Jährige hält sich nach einer schweren Krebs-Operation in Kuba auf, seine gesundheitliche und politische Perspektive ist unsicher.

Bild: H. Neuber

Dennoch hat der Chávez-Bonus gewirkt: Die regierende Vereinte Sozialistische Partei (PSUV) hat sich in 20 der 23 Bundesstaaten durchgesetzt. Der Chavismus geht damit deutlich gestärkt aus den zweiten landesweiten Wahlen in Venezuela binnen weniger Wochen hervor. Alle Vorhersagen eines raschen Zusammenbruchs haben sich nicht bewahrheitet.

Für Aufsehen sorgte am Wahlabend vor allem der Sieg der PSUV-Kandidaten in den Bundesstaaten Táchira und Zulia, wo bisher die Opposition regierte. Auch Carabobo und Nueva Esparta fielen an die PSUV, während sich der oppositionelle Gouverneur des besonders umkämpften Staates Miranda, Henrique Capriles Radonski, entgegen zahlreicher Prognosen gegen den ehemaligen Vizepräsidenten Elías Jaua durchsetzte. Dessen Niederlage ist ein schwerer Verlust für die sozialistische Partei, die mit dem Slogan "Miranda zurückerobern" angetreten war und sich bis zuletzt sehr siegessicher gezeigt hatte.

Die Abwahl des 40-jährigen Capriles wäre zudem ein strategischer Sieg für die Regierungspartei gewesen, weil die Opposition so in neue Führungskämpfe verstrickt worden wäre. Nun hat Capriles seinen Führungsanspruch bekräftigen können. Doch die Chancen für die Chávez-Gegner stehen dennoch nicht gut. Die Opposition hält nur noch drei Staaten und bei der Wahl der Regionalabgeordneten konnte sich die PSUV sogar in 22 Bundesstaaten durchsetzen.

Wie krank ist Chávez?

Aber auch für die Regierung gibt es keinen Grund, sich zurückzulehnen. Solange Chávez sein Amt nicht antritt, drohen Neuwahlen mit unsicherem Ausgang. Nach seinem Sieg über Capriles bei den Präsidentschaftswahlen am 7. Oktober musste sich der Sozialist der inzwischen vierten Krebs-Operation unterziehen. Seit über einer Woche befindet sich Chávez nun in der kubanischen Hauptstadt Havanna und die Nachrichten über seinen Gesundheitszustand sind äußerst spärlich.

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Derzeit wird in Venezuela diskutiert, ob die für den 10. Januar geplante Vereidigung des 58-jährigen auch in Kuba durchgeführt werden kann. An der grundlegenden Frage aber ändert auch das nichts: Sollte Chávez nicht zurückkehren oder zur weiteren Amtsausübung nicht fähig sein, würde wohl der bisherige Vizepräsident und ehemalige Außenminister Nicolás Maduro gegen den gerade bestätigten Capriles antreten müssen. Das Szenario wäre für die Opposition günstig, zumal auch an der chavistischen Basis Kritik an Maduro laut wird.

Zu den Skeptikern gehört etwa Jesús Blanco, ein Basisaktivist und Mitbegründer des Bürgerfernsehens TV Caricuao in Caracas. Maduro habe wegen seiner früheren Tätigkeit als Außenminister weniger Kenntnisse von der Realität im Lande. Die für den Chavismus wichtigen Basisbewegungen würden dann nicht mehr hinreichend wahrgenommen werden, befürchtet Blanco, der im Fall des Abtritts von Chávez ein Bündnis mit einem Teil der Opposition prognostiziert. Dies würde den politischen und sozialen Transformationsprozess in jedem Fall schwächen.

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"Die Nachricht von der neuerlichen Operation hat in Venezuelas Basisbewegungen viele Debatten ausgelöst", fügt der Journalist an. Vor allem sei deutlich geworden, dass Nachwuchskräfte ausgebildet werden müssen, die in Zukunft Führungsposten übernehmen können. Andere Anhänger der Regierung sind noch pessimistischer. Bislang sei nur Chávez im Stande gewesen, den Basisorganisationen in den Barrios, den Armenvierteln, Gehör zu verschaffen. Gegen andere Mitglieder der Regierung, darunter viele Militärs, herrscht gemeinhin Misstrauen.

Beide Lager stellen sich neu auf

Ob Chávez sein Amt antritt der nicht: In Venezuela ist in den vergangenen Wochen trotz eines starken Personenkults die Frage der mittel- und langfristigen Perspektive des politischen Prozesses aufgeworfen worden. Ein in allen Strömungen akzeptierter Nachfolger ist bislang nicht in Sicht, auch wenn Chávez vor der Abreise nach Kuba seinen Vize Maduro benannt hat.

Für die chavistischen Regionalregierungen wird es nach dem Sieg bei den Regionalwahlen darauf ankommen, die Bündnisse mit sozialen Kräften auf regionaler und kommunaler Ebene zu stärken. Der Auf- und Ausbau der Kommunalen Räte -- eine Form neuer Regierungsstrukturen von unten -- verläuft bislang schleppend. Doch diese Basisstrukturen werden für die Stabilität des laufenden Prozesses an Bedeutung gewinnen. Zumal im kommenden April die Bürgermeister der 335 Verwaltungsbezirke gewählt werden.

Bild: H. Neuber

Oppositionsführer Capriles kann sich nach seinem Sieg im Bundesstaat Miranda indes als Anführer einer zerstrittenen Opposition bestätigt sehen. In einer kämpferischen Rede rief er die Chávez-Gegner noch am Wahlabend zu mehr Einheit auf und griff die Regierungskräfte scharf an. Er werde weiter an einer Allianz gegen die Regierung arbeiten, "um den Ressourcen- und Amtsmissbrauch zu beenden", sagte Capriles, der seinen politischen Gegenspielern "Einschüchterung" vorwarf.

Die aggressive Rede galt aber nicht nur den Regierungskräften, sondern auch den traditionellen Parteien der Opposition. Die christlich-soziale COPEI und die sozialdemokratische AD hatten den Jungpolitiker und seine erst vor wenigen Jahren gegründete rechtspopulistische Partei Primero Justicia nie anerkannt. Und solange die Kluft zwischen den regierungskritischen Kräften nicht geschlossen wird, muss sich die sozialistische Regierung wohl keine ernsthaften Sorgen machen.