Verbotene Sowjet-Symbole am 8. Mai: Geschichtsrevisionisten am Ziel ihrer Träume

Das Deckengewölbe des sowjetischen Ehrenmals in Berlin-Treptow. Foto: Georg Slickers / CC-BY-SA-3.0-migrated

Der Ukraine-Krieg als Chance für Deutsche, den Ballast des Naziregimes zu entsorgen: Putins Antikommunismus spielt hierbei keine Rolle

"Es gibt genug an der russischen Politik zu kritisieren. Wer das aber ausgerechnet zum Jahrestag des Beginns des deutschen Vernichtungskriegs tut, beteiligt sich an Geschichtsrelativierung", dieser Kommentar zum 80. Jahrestag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion ist elf Monate später noch aktueller. Damals konnte man sich nicht vorstellen, dass in diesem Jahr ausgerechnet bei den Gedenkveranstaltungen zum Ende des Naziregimes die Fahne der Sowjetunion verboten wird. Doch unter anderem genau das steht in der Allgemeinverfügung der Berliner Polizei

I. In der Zeit vom 8. Mai 2022, 06:00 Uhr bis zum 9. Mai 2022, 22:00 Uhr wird in dem unter II. bezeichneten Bereichen der Gemeingebrauch öffentlicher Flächen und die Versammlungsfreiheit dahingehend beschränkt, dass

1. das Tragen von militärischen Uniformen und Teile von Uniformen,

2. das Tragen von militärischen Abzeichen,

3. das einzelne oder hervorgehobene Zeigen der Buchstaben "V" oder "Z",

4. das Zeigen von St.-Georgs-Bändern,

5. das Zeigen von Fahnen und Flaggen mit russischem oder ukrainischem Bezug, (...)

f. das Zeigen von Symbolik und Kennzeichen, die geeignet sind, den Russland-Ukraine-Krieg zu verherrlichen, z.B. das Zeigen der Flagge der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR), das Verwenden von russischen und sowjetischen Militärflaggen, das Zeigen von Darstellungen des ukrainischen Staatsgebietes ohne den Donbass (Oblaste Luhansk und Donezk) sowie Flaggen der Separatistengebiete Luhansk und Donezk,

g. das Abspielen und Singen russischer/ukrainischer Marsch- bzw. Militärlieder,

h. das Billigen des derzeit von Russland gegen die Ukraine geführten Angriffskrieges sowie Verhaltensweisen, die dazu bestimmt und geeignet sind, Gewaltbereitschaft zu vermitteln, untersagt wird.


Aus der Allgemeinverfügung der Berliner Polizei

Sie gilt für sämtliche Gedenkorte für den sowjetischen Sieg über den deutschen Faschismus im Raum Berlin. Ausdrücklich sind davon auch Personen betroffen, die nicht zu den Gedenkveranstaltungen gehören, sich aber vom 8. Mai 6 Uhr bis 9. Mai 22 Uhr an den genannten Orten aufhalten. Wenn diese Verfügung, gegen die Rechtsmittel eingelegt werden können, juristisch bestätigt wird, würde sich in diesem Jahr ein Traum der Konservativen und Deutschnationalen aller Couleur erfüllen.

Mit der Sowjetfahne wäre ausgerechnet das Emblem verboten, das zum Symbol der Niederlage des Faschismus und der deutschen "Volksgemeinschaft" 1945 steht. Offiziell begründet wird das Verbot mit dem russischen Krieg in der Ukraine, was aber historisch absurd ist.

Denn das aktuelle russische Regime steht in der Tradition des großrussischen Nationalismus, gegen den die Sowjetunion in ihren Anfangsjahren gekämpft hat. Das hat Russlands Präsident Wladimir Putin in seiner Rede vor dem Einmarsch in die Ukraine nun wirklich überdeutlich gemacht. Dort hat er den Bolschewiki und speziell Lenin vorgeworfen, sie hätten mit ihrer Missachtung des russischen Nationalismus erst die Ukraine geschaffen.

Putin bezeichnete seinen Einsatz in der Ukraine auch als Kampf gegen den Kommunismus. Wenn auch manche Nationalkommunisten mit Sowjetfahnen den Einmarsch Russlands begrüßen, ist dafür nicht die Politik der Sowjetunion, sondern der russische Nationalismus und Chauvinismus verantwortlich. Das jetzt in Berlin trotzdem Sowjetfahnen am 8. und 9. Mai verboten werden, hat Gründe, die in Deutschland liegen.

8. Mai – Befreiung oder Niederlage?

Die Sowjetfahne an der Reichstagsruine war damals für alle Welt ein Symbol der Freude darüber, dass die besonders mörderische Naziherrschaft zu Ende war. Es waren Ultrarechte um die Wochenzeitung Junge Freiheit, die immer wieder deutlich machten, dass für die Mehrheit der Deutschen Bevölkerung der 8. Mai ein Tag der Niederlage gewesen sei.

Dem stimmten auch deutschlandkritische Linke aus anderen Gründen zu. Sie erinnerten daran, dass es die deutsche "Volksgemeinschaft" war, die dafür gesorgt hatte, dass ganz normale Deutsche noch bis in die letzten Tage des Untergangs Juden und Menschen jagten, die sich einem sinnlosen Krieg verweigerten. Ein Tag der Freude aber war der 8. Mai für die Opfer des Naziregimes in allen von Deutschland besetzten Ländern, in erster Linie für die Juden.

Nur eine zerschlagene Naziherrschaft bedeutete, dass sie überleben. Als die Rote Armee, inklusive des ukrainischen Bataillons, das Vernichtungslager Auschwitz am 27. Januar 1945 erreichte, war der Ruf "die Russen kommen" ein Seufzer der Erleichterung derer, die noch einmal dem Tod aus Deutschland entkommen waren. Ein Tag der Freude war der 8. Mai auch für Antifaschisten in aller Welt, auch aus Deutschland, die unter Einsatz ihres Lebens den Faschismus bekämpft hatten.

Dabei sind auch noch heute viele dieser Männer und Frauen unbekannt. Erinnert sei nur an Paul Schiller und die Kampfgruppe Osthafen, die kürzliche eine Berliner Stadtteilgruppe dem Vergessen entrissen hat.

Wenn Antifaschisten zum 8. Mai die Parole "Wer nicht feiert, hat verloren" ausgaben, lagen sie genau richtig, weil sie eben an diesen Tag die Perspektive der Opfer des Faschismus in aller Welt und nicht die der deutschen "Volksgemeinschaft" und ihrer Verbündeten stärken wollten. Letztere saßen an diesen Tag wie die Junge Freiheit und Co. in der rechten Schmollecke.

Wie über die Ukraine Naziverbündete rehabilitiert werden sollen

Eine Niederlage war der 8. Mai natürlich für diejenigen Deutschen, die das Mantra der "Volksgemeinschaft" verinnerlicht hatten und dem Naziregime bis zum Untergang treu blieben, sowie deren Kollaborateuren in allen von den Nazis besetzten Ländern – darunter auch eine starke Fraktion der ukrainischen Nationalisten, die sich in ihrem Hass auf die Sowjetunion und ihren Antisemitismus von ihren deutschen Bündnispartnern nicht übertreffen ließ. Diese politischen Gruppen wurden nach den Maidan-Umsturz in der Ukraine 2014 rehabilitiert.

Das bedeutet nicht, dass jetzt die Ultrarechten und faschistischen Parteien in der Ukraine besonders stark sind. Sie sind dort teilweise in den Parlamenten schwächer als in anderen europäischen Ländern, worauf die Unterstützer der Ukraine mit Recht hinweisen. Sie vergessen aber, dass die Ehrung von Nazikollaborateuren wie Stepan Bandera heute zum ukrainischen Nationalmythos gehört und eben nicht auf den ultrarechten Rand beschränkt ist.

Das aber macht den ukrainischen Nationalismus so gefährlich. Er macht nicht einmal den kosmetischen Versuch, sich von den NS-Bezügen zu distanzieren. Deshalb ist auch eine Nazi-Kameradschaft wie das Asow-Regiment beim Kampf gegen die russische Armee ein willkommener Bündnispartner.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, steht für diesen ukrainischen Nationalismus, der sich nicht nach rechtsaußen abgrenzen will. Trotzdem soll dieser Botschafter am 8. Mai im Brandenburger Landtag eine Rede halten.

Das ist der größte Erfolg für all die politischen Kräfte, die schon immer über Vergewaltigungen russischer Soldaten und den "alliierten Bombenterror" reden wollten, wenn an deutsche Verbrechen erinnert wurde. In diesem Jahr haben sie Grund zum Jubeln, weil nicht die Perspektive derer im Mittelpunkt steht, für die die sowjetische Fahne am Berliner Reichstag ein Grund zur Freude war – nicht weil diese Menschen für das stalinistische Regime in Moskau waren, sondern weil damit deutlich wurde: Hitler und die Nazis haben fertig.

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