Verbrechen der Aggression könnten ab 2018 unter Anklage kommen

Seite 2: Entwarnung für die NATO

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Im Fall Irak seien zwar die meisten Völkerrechtler der Ansicht, dass der Krieg ein Verstoß gegen das Völkerrecht war. "Aber es gibt auch Gegenargumente - also kein Fall fürs Strafrecht", so Kreß. Seine Logik: Wenn einige Experten keinen Völkerrechtsbruch sehen, ist der Bruch zumindest nicht offenkundig. Gegenüber dem Deutschlandfunk bestätigte Kreß, dass die Formulierung "offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen" eingebaut wurde, damit humanitäre Interventionen nicht in Den Haag verhandelt werden:

Und dieses Wort "offenkundig", ein einziges Wort, aber ein Wort, dessen Bedeutung nicht überschätzt werden kann, daran wird es hängen.

Claus Kreß

In der FAZ gab Kreß deswegen Entwarnung für alle westlichen Politiker: "Nach alldem darf es als sehr wahrscheinlich bezeichnet werden, dass der Internationale Strafgerichtshof Staatenlenker, die sich zukünftig in einer extremen Notlage auch ohne UN-Mandat für eine humanitäre Intervention entscheiden sollten, nicht mit einem internationalen Strafverfahren überziehen würde." Kreß plädiert dafür, "ernste völkerrechtliche Streitfragen zum Gewaltverbot, denen leidenschaftlich ausgetragene politische Kontroversen zugrunde liegen", nicht "durch die Hintertür der internationalen Strafgerichtsbarkeit" zu entscheiden.

Als "Schlupfloch" kritisierte das ein anderer Völkerrechtler, der emeritierte Professor Norman Paech, der jahrelang für die Linke im Bundestag saß: "Die sogenannte humanitäre Intervention - Modell Überfall der NATO auf Ex-Jugoslawien im Frühjahr 1999 - ist ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrat schlicht völkerrechtswidrig", schrieb Paech und kommentierte durchaus süffisant: "Keine 'offenkundige Verletzung' ist jedoch die, die rechtlich umstritten ist - und dafür gibt es Professoren." Paech schließt mit einem Gag aus der ZDF-Kabarettsendung "Die Anstalt": "Wir sind in Deutschland, wir kaufen nicht das Gericht, wir kaufen Professoren."

Eingeschränktes Völkerrecht

Es wird also vieles nicht verhandelt werden in Den Haag: Einige Großmächte sind gar nicht Mitglied im Internationalen Strafgerichtshof, können aber im UN-Sicherheitsrat die Strafverfolgung von Aggressoren verhindern. Kriege, die als humanitäre Interventionen deklariert werden, ziehen auch keine Anklage nach sich, da sie offenkundig umstritten sind.

Zunächst mal werden es wohl nur die kleinen Potentaten ohne Schutzmacht sein, die sich vor Gericht verantworten müssen. Dass es überhaupt eine internationale Gerichtsbarkeit dafür gibt, ist immerhin ein kleiner Fortschritt. Allerdings steht der Gerichtshof aus diesem Grund auch wegen Einseitigkeit unter Kritik und haben letztes Jahr Südafrika, Burundi, Gambia und Russland die Unterschrift zurückgezogen (Der Internationale Strafgerichtshof und der Schein der Gerechtigkeit, Der Internationale Strafgerichtshof zerfällt und düpiert die Arroganz des Westens).