Verdient Angela Merkel einen fairen Prozeß?

Seite 2: Der Film zum Autogipfel

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Überzeugend und in den einzelnen Belegen und Indizien sehr engführend ist "Ökozid" in seiner Analyse der gegenwärtigen (heutigen, im Jahr 2020 stattfindenden) Klimapolitik, die eigentlich das Gegenteil ist: Industriepolitik, die Klimaschäden billigend in Kauf nimmt.

Veiel nennt hierfür belegbare Vorgänge und Akteure aus der Gegenwart: schmutzige Deals der Stuttgarter Firma Fichtner, von Siemens, von Hitachi, der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Klimasündern Bürgschaften gibt, und damit die Umwelt-Politik der eigenen Regierung torpediert. Und Autofirmen wie BMW und Daimler für deren gewinnträchtige Drecksschleudern SUVs Merkels GroKo 2009 der EU eine eigene "Lex SUV" aufgezwungen hat.

Bild: © rbb/zero one film/ Julia Terjung / ARD

Seitdem wird die Berechnung des CO2-Wertes eines Fahrzeugs an das Gewicht des Fahrzeugs gekoppelt. Je schwerer ein Auto ist, um so mehr CO2 darf es ausstoßen. Allein wegen dieser im Film allerdings etwas zu spät platzierten Passagen - und Tukurs Gegenreden - lohnt er sich bereits.

Es ist der Film zum Autogipfel. Denn es wird sehr deutlich gezeigt, wie BMW und Daimler die Vorgaben der Regierung unterlaufen. 2005 brachten sie die ersten SUVs auf den Markt. SUVs brauchen bis zu 50 Prozent mehr Benzin als vergleichbare Kompaktfahrzeuge. Weil sie zu schwer sind, weil ihr Luftwiderstand zu hoch ist, weil die Motorentechnik konventionell ist. Sie sind schon bei ihrer Einführung technisch überholt. Aber seit über 15 Jahren machen sie sich auf den Straßen immer breiter. Plötzlich brauchen alle Familien einen Panzer, um die Kinder zur Schule zu bringen.

Merkel hat bereits 2005 polemisiert gegen eine "Industriepolitik zu Lasten Deutschlands". Dann wurde sie von der Autoindustrie in Stellung gebracht, weil die Gewinnmargen vor allem durch SUVs gebracht werden. BMW und Daimler haben einen SUV Anteil von 50% in ihrer Flotte - die SUVs sind die Cash-Cow, sie sind die Autos mit einer besonders hohen Gewinnmarge.

Bis heute haben Daimler und BMW trotz staatlicher Milliarden-Förderung kein einziges Wasserstoff- oder Elektro-Fahrzeug entwickelt, das marktfähig ist. Was ist mit diesem Geld passiert? 2019 hat Daimler einen SUV entwickelt, der so breit ist, dass er nicht in eine Waschstraße passt. Man hat deswegen eine Hydraulik zum Einknicken der Räder entwickelt. Das ist die Auto-Forschung, in die tatsächlich vom deutschen Staat investiert wird.

Gekauft werden diese SUVs übrigens überwiegend von jüngeren Frauen und Rentnern beider Geschlechter, weil diese sich darin sicherer fühlen.

Die Stärke dieses Films ist diese politische Kritik, die auch persönlich wird, wo es nötig ist, die Namen nennt und keine Angst hat, sich Feinde zu machen. Das ist etwas, von dem nicht nur das deutsche Kino zu lernen hat.

Am Ende staatstragend

Substanz und Polemik halten sich in "Ökozid" die Waage. Wie wichtig ist Pragmatismus in der Politik? Das ist die Kernfrage, und Veiel zeigt durchaus, dass es sehr leicht ist, Idealismus zu verklären und Pragmatismus zu diffamieren.

Indem der Film die Wut und die Aggression, mit der Demokratiefeinde ihre eigene Ohnmacht kanalisieren, aufnimmt, kommt er ihnen scheinbar entgegen. Tatsächlich aber zeigt der Film auch, dass es nicht nur so ist, dass die deutsche Regierung in diesem Sinn lange in den Wald hineingerufen hat, sondern auch umgekehrt: Dass inzwischen die Bürger diese Regierung zu oft auf eine Weise behandeln, die ein bestimmtes Verhalten provoziert.

Selges Richterfigur sagt: "Es ist nicht Aufgabe des Gerichts politische Entscheidungen zu treffen." Muss es auch nicht. Die hat nämlich schon der Film getroffen.

Eine bemerkenswerte Verschiebung nehmen Veiel und seine Co-Autorin Jutta Doberstein in "Ökozid" vor: Das Genre des Gerichts-Dramas ist normalerweise ein Genre, dass Partei gegen die Autoritäten nimmt. Die Ankläger sind hier meist die Bösen oder Unsympathen, die Verteidiger die Guten: Sie retten gegen den Anschein die Rechte des Angeklagten, nicht zuletzt des guten Grundsatzes "Im Zweifel für den Angeklagten". Diese Gewohnheit dreht Veiel um.

Mehr noch: Er lässt die moralisch angeklagte Zeugin Merkel in einem "flammenden" (für Merkel-Verhältnisse) Schlussplädoyer ihre eigene Mitschuld - aber keine Entschuldigung - eingestehen. So zeigt er sich in "Ökozid" als das, was er in manchen seiner anderen Filme auch schon gewesen ist: Als im Grunde staatstragender Regisseur, der gar nicht so kritisch ist, sondern auf mehrheitsfähige Konsense einlenkt, als ein Filmemacher, der am Ende des Tages den Zeitgeist nicht etwa in Frage stellt, sondern bestätigt, zumindest den Zeitgeist der Schwarz-Grün wählenden Wohlstands-Bürger von Berlin-Mitte.

Aber auch diese Frage muss gestellt werden: Wollen wir einen Staat, der den Menschen vorschreibt was sie zu kaufen haben? Wenn wir die Frage beantworten möchten: Wie wollen wir leben? Dann geht es nicht nur um die Frage, ob wir wirklich in einem Land leben wollen, in der die Autoindustrie tatsächlich regiert, nicht die Parteien? Sondern auch, ob wir in einer Welt leben wollen, in der Klimaaktivisten und das des Bionade-Biedermeier regieren?

Hinweise:

"Ökozid" von Andres Veiel lief gestern Abend in der ARD im Rahmen der Themenwoche "#WIE LEBEN - Bleibt alles anders", und wird am kommenden Sonntag, 22.11. um 20:15 Uhr und am kommenden Mittwoch, 25.11. um 13:50 Uhr jeweils auf ARD-ONE wiederholt, und ist außerdem jederzeit in der ARD-Mediathek bis einschließlich 16.Dezember zu sehen, oder auch in einer reinen Hörfassung abrufbar. Sendeinformationen hier:

ARD Mediathek
Das Erste / Sendungen

Im Mai 2021 wird "Ökozid" wird dann auf die Bühne des Stuttgarter Schauspielhaus gebracht. Aktuell arbeitet Andres Veiel gemeinsam mit seiner Co-Autorin Jutta Doberstein an der Theaterfassung.