Verfilmtes Hasch-Mich-Spiel

Aus einer kleinen Sommernovelle wurde der deutsche Befindlichkeits-Film "Gripsholm"

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Tucholsky war ja selber schuld. Mit "Schloss Gripsholm" hat er eine fiktive Geschichte geschrieben, die stark an seinem eigenen Leben und Lebensstil angelehnt war. Sowas führt zu Spekulationen und im drastischsten Falle kann die kleine Sommernovelle verknüpft werden mit weiteren Gedankenspielchen bezüglich des Schriftstellers Biographie. Der Film "Gripsholm" von Xavier Koller ist die dichterische, gar nicht historisch untermauerte Erweiterung des Romans und somit ein weiterer Schritt zur Vilsmayerisierung des deutschen Filmes.

Roman wie Film haben eine Reise, sowie eine nicht weiter ernst gemeinte, aber sehr vergnügliche Liebesaffäre zum Inhalt, die geprägt ist vom flapsigen Umgangston: " Sag, dass du mich liebst!", "Du weißt doch, ich kann nicht lügen." Erhebliche Unterbrechungen erfährt der Pärchen-Urlaub einerseits durch einen flotten Dreier mit einer vorbeischneienden Freundin und andrerseits durch die Errettung eines kleinen Mädchens aus einem schauerlichen Ferienlagers in der Nachbarschaft. Während "Schloss Gripsholm" im Jahre '29 spielt und die drohende Zukunft noch ausklammert (oder gar nicht ahnt), ist "Gripsholm" 1932 angesiedelt und bringt Tucholskys Haltung zu Deutschland ins Spiel. Regisseur und Co-Autor Koller haut da sauber auf die Pauke, schwelgt im angeblich so mondänen Berlin der Zwanziger ("der verrücktesten Stadt der Welt") und wartet sogleich mit einem anschaulichen Schock auf: Ein jüdisches Bettelmädchen wird aus einem Tanzlokal geworfen. Einmal mehr hält der Nazi-Terror als Knalleffekt her. Doch die anschließende Schweden-Reise des Pärchens Kurt und Lydia orientiert sich nah an Tucholsky, fast will Leichtigkeit aufkommen, auch wenn "Gripshom" manchmal wie ein verfilmtes Hasch-Mich-Spiel aussieht. Da wird ausgiebig gerudert. Und ins Wasser geschubst. Und Fische gefangen. Und Champagner getrunken. Aber Ulrich Noethen gibt glaubwürdig, den warmherzigen Sarkasten und Heike Makatsch macht sich sehr gut als "Gib mal 'n Kuss auf"-Lydia. So gut, dass man ihr wünscht, dass sie all die schönen Klamotten mit nach Hause nehmen durfte.

Das Ärgerliche nimmt aber bald überhand. Koller hat nicht darauf verzichten wollen, die vierschrötigen Stilmittel seines tumben Kollegen Joseph Vilsmayer ("Marlene", "Stalingrad", "Comedian Harmonists") zu kopieren. Sobald der Dialog nicht von Tucholsky stammt, sackt "Gripsholm" ins Hohle ab ("Da sehen die Braunen rot."). Verheerend ist vor allem die Dreingabe von Kurts altem Kumpel Karlchen, der mit den Nazi sympathisiert und vom Film-Tucholsky nur matte Widerworte erfährt. Falscher als mit dem langweiligen, offensichtlich talentfreien Marcus Thomas konnte man die Rolle übrigens nicht besetzen. Die Befreiung des drangsalierten Mädchens schließlich geriet Koller nicht nur spannungsarm, sondern ziemlich tölpelhaft. Wie das Schreiben und Besetzen ist Action wohl nicht seine Stärke. Da helfen auch die sehr zahlreichen Anspielungen auf die im späteren Deutschland sehr notwendigen Fluchten nicht weiter. Die Inszenierung reitet so lange auf dieser Minimalidee herum, bis man auch die Kulleraugen von Frau Makatsch nicht mehr sehen kann. Und wieder und wieder läßt Koller den Film-Tucholsky recht zerrissen wirken und von seiner Liebe zum Vaterland faseln. In diesen Momenten ist "Gripsholm" ein Befindlichkeits-Film für jene Deutschen, die beim Thema Nazizeit oder Skinhead-Morde nur Angst um den Wert ihres Wirtschaftsstandorts haben. Xavier Koller klopft den Seinen auf die Schulter und sagt "Seht her es gibt sie, die guten Deutschen" und mißbraucht dazu ausgerechnet jenen Tucholsky, der ihm für diesen Film sicherlich was husten würde.