Verlust der Langfristigkeit in der Industrie
Um zu einer nachhaltigen und fairen Wirtschaftsweise zu kommen, braucht es einen strengen Ordnungsrahmen und ein partizipatives Markt- und Demokratiemodell, fordert der Ex-Spitzenmanager Peter H. Grassmann
Vor einigen Jahrzehnten war es noch üblich, in großen Konzernen auch Grundlagenforschung zu betreiben, also Themen zu verfolgen, die noch weit von Geschäften und Umsätzen entfernt sind. Heute haben die Konzerne langfristiges Denken verlernt, mit enormen Konsequenzen für den Umgang mit zukünftigen Technologien.
Heute wird zugekauft. Forschungsaufwendungen drücken den Profit von Konzernen. Sie gelten als Kosten, teils zudem ohne sicheren zukünftigen Ertrag, und werden deshalb von den Finanzanalysten nicht gewürdigt. Bei Konzernen steht die Analyse der Bilanz und des Kapitalflusses aus den Umsatzprognosen der aktuellen Geschäfte im Vordergrund. Langfristige Innovation hat da keinen Platz, auch weil die meist betriebswirtschaftliche Ausbildung der Analysten dazu kein Know-how, keine Visionsfähigkeit hat.
Dem Börsenkurs helfen deshalb langfristige Innovationsprogramme nicht, und der konservativen Klientel der Versicherungen und der großen Vermögensanleger ist es recht so: Sie wollen Kontinuität des Geschäfts, wollen, dass Marktstellungen verteidigt werden, und sie wollen keine Risiken durch neue, womöglich hoch kompetitive, Geschäftsfelder. So bleibt der Börsenkurs stabil, vielleicht leicht steigend. Und nach dem Börsenkurs richtet sich meist auch der Bonus des Vorstands.
Also haben die meisten Konzerne die Forschungsarbeiten eingestellt. Innovation überlässt man einem völlig anderen Sektor, den Start-ups, die Analysten mit anderen, zum Thema passenden Ausbildungen haben. Dort finanzieren risikofreudige Privatinvestoren, Hedgefonds und manchmal Familienholdings. Sie machen damit manchmal phänomenale Gewinne und noch öfter spektakuläre Verluste. Die Konzerne kaufen erst dann zu, wenn ein Start-up erfolgreich ist und erste Gewinne macht. Das verschlechtert nicht die Zahlen des Konzerns und reduziert für den Vorstand das Risiko eines Fehlschlags.
Dieser Verlust der Langfristigkeit hat gravierende Folgen. Das zeigen die heutigen Probleme der Energiekonzerne sowie der Automobilindustrie. Als es um die Energiewende ging, warteten sie ab und verteidigten Bestehendes, auch wenn es umweltschädlich war.
Die Energiewende fiel in eine für eine Basistransformation ungünstige Periode der deutschen Industrie, denn sie hatte andere Prioritäten. Denn nach den Wirtschaftswunderjahren und dem starken Exportboom Deutschlands wurde den Konzernen klar, dass man nicht nur ein Exportunternehmen sein konnte mit Fabriken in Deutschland und Handelsvertretungen in der Welt. Neue Geschäfte sollten deshalb vor allem im Ausland erworben werden - sie sollten für globale Gleichgewichte sorgen. Das sicherte die Unternehmen gegen Währungsschwankungen ab, gegen protektionistischen Produktionsdruck - wie wir ihn gerade durch Donald Trump erleben - und verankerte die deutschen Unternehmen stabiler in den ausländischen Märkten.
Es ist eine traurige Tatsache, dass die deutschen Forscher nach wie vor sehr erfindungsreich sind, diese Erfindungen aber zum größten Teil aus den genannten Gründen im Ausland verwertet werden. Auch haben die hiesigen Gewerkschaften, unsere Arbeitsgesetze und überhaupt unsere Bürokratien nicht gerade dazu geführt, Unternehmer für Investitionen in Deutschland zu begeistern. Startkapital nach Deutschland zu lotsen ist derzeit eine "Uphill-Battle", wie man ein mühsames Agieren gegen den allgemeinen Trend nennt.
Ein Auszug aus dem Buch "Zähmt die Wirtschaft!" von Peter H. Grassmann. Der ehemalige Spitzenmanager sieht die heutige repräsentative Demokratie als zu schwach, um die Gefahren, die unserer Gesellschaft durch Klimawandel und Raubbau drohen, zu besiegen. Er entwirft ein neues Modell einer ökosozial verantwortlichen Marktwirtschaft und plädiert für eine Beteiligungsdemokratie, die uns Bürgern mehr Mitsprache bietet.
In dieser Situation haben es erneuerbare Energien schwer. Neue Technologien müssen entwickelt und das gesamte System umgestellt werden von großen Kraftwerken auf regional zersplitterte und zudem nicht sehr effiziente Energieerzeugungsanlagen. Die Politiker wollen es zwar, aber was hat das Unternehmen davon? Es wird alles nur komplizierter, mühsamer. Der Umstieg von der Pferdekutsche auf das Auto hatte Rückenwind durch Schnelligkeit und Bequemlichkeit, der Umstieg von Kohle auf Öl ebenso, aber der Umstieg von Öl auf Solarenergie ist ein mühsamer, aus unternehmerischer Sicht nicht allzu vielversprechender Weg.
Dazu kommt das Problem der völlig anderen Netze und Verteilungssysteme, eine letztlich öffentliche Aufgabe, die eigentlich Vorlauf braucht, aber mit der beim Staat leider üblichen Trägheit nicht geschafft wurde. Der Umstieg ist zwar eine Umstellung auf eine andere Basistechnologie, aber im Grunde sollen Energieformen ersetzt werden, die wirtschaftlich viel vorteilhafter sind - es sei denn, die Luftverschmutzung wird mit erheblichen Steuern belastet. Nur Kaufanreize zu setzen, genügt für die Umsteuerung nicht. Ohne CO2-Steuer wird der Klimawandel nie in den Griff zu kriegen sein. Luftverschmutzung muss kosten.
Als vor einigen Jahrzehnten der politische Druck begann, in erneuerbare Energien zu investieren, war deshalb die Begeisterung der großen Konzerne, dazu neue Geschäftsfelder aufzubauen, sehr gering, insbesondere in Deutschland. Eher schon war das Ausland interessant für Erwerbungen vielversprechender Unternehmen. Siemens erwarb beispielsweise - übrigens schon in den neunziger Jahren - eine Firma in Kalifornien, um Solarzellen als Dachziegel herzustellen. Wirtschaftlich war das ein Flop, und so wurde dieser Versuch bald eingestellt.
Nach ersten solchen Experimenten erlahmte das Interesse der Konzerne an den erneuerbaren Energien weitestgehend, sowohl bei den Versorgern wie auch bei der Automobilindustrie. Man überließ das Feld branchenfremden und finanzschwachen Start-ups, mit dem bekannten tragischen Ende der Versuche deutscher Solarmodulproduktion. Auch die Windkraft wurde damals Start-ups überlassen, bis sie sich bewährt und ihre Wirtschaftlichkeit erreicht hatte.
Vor einigen Jahren erst kaufte Siemens den spanischen Hersteller Gamesa - aber auf den Aufbau im eigenen Hause hatte man verzichtet. Und RWE kaufte die Schweinfurter Firma Belectric, den erfolgreichsten deutschen Projektierer von Solarparks. Der war im Laufe von fünfzehn Jahren auf viertausend Mitarbeiter gewachsen, war exportstark und hoch profitabel. Diese und viele andere für Solar und Wind neu gegründete Firmen hatten bewiesen, dass diese Energieformen wirtschaftlich konkurrenzfähig werden können. Und jetzt ist die Zeit für die großen Konzerne, zuzukaufen.
Verhindern, Bremsen, Innovationsschwäche - eine optimale Sicherung der Zukunft ist das natürlich nicht. Gerade die Automobilindustrie erlebt derzeit, wie der vor zehn Jahren mit dem Vorsatz, den Verbrennungsmotor auszurotten, angetretene Elon Musk unbelastet von all den alten Produktionsstrukturen mit schnittigen Batterieautos von Erfolg zu Erfolg eilt. Schon ein Blick auf den Antriebsstrang seiner Teslas zeigt, dass der Antrieb durch einen Elektromotor wesentlich einfacher ist und die Nutzung der heutigen Computertechnologie zu einem neuen geschlossenen Ganzen führt.
Die Aktienmärkte haben dies honoriert, denn die Tesla-Aktien sind heute bereits so wertvoll wie die von Daimler oder General Motors, bei nur einem Zehntel des Umsatzes. Aber die Aktionäre sehen natürlich die enormen Lasten, welche die nun veralteten Produktionsanlagen für Verbrennungsmotoren und die enormen Mitarbeiterzahlen, die mit dieser Technologie verbunden sind, bedeuten.
Abschreibung, Verschrottung und Mitarbeiterabbau kosten ein enormes Geld. Da hat es der visionäre Newcomer leichter, so wie auch ein Steve Jobs, der die alte Telefonie auslöschte und Siemens und andere in die Knie zwang, oder wie ein Bill Gates, der mit Microsoft gegen IBM erfolgreich war. Am Schluss sind es die mutigen Visionäre, die vor allem in den USA immer wieder die Möglichkeit erhalten, alte Industrien zurückzudrängen und mit neuen Technologien sehr erfolgreiche Unternehmen zu schaffen.
Allerdings, für die notwendige Energiewende sind solche "Disruptionen" zu langsam. Sie braucht für raschen Erfolg auch die Kooperation mit den etablierten Branchen.
Dr. Peter H. Grassmann studierte Physik in München, promovierte dort bei Werner Heisenberg und ging ans MIT. Bei Siemens baute er die heute milliardenschwere Sparte der Bildgebenden Systeme auf. Als Vorsitzender von Carl Zeiss (bis 2001) sanierte er das Stiftungsunternehmen in Jena zusammen mit Lothar Späth. Er ist Kritiker einer radikalen Marktwirtschaft und fordert mehr Fairness und Nachhaltigkeit. Grassmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen und engagiert sich bei der Münchner Umwelt-Akademie, bei "Mehr Demokartie e.V.", der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gesellschaft und dem Senat der Wirtschaft.
Von Peter Grassmann ist gerade im Westend Verlag das Buch erschienen: "Zähmt die Wirtschaft! Ohne bürgerliche Einmischung werden wir die Gier nicht stoppen". Siehe auch den Artikel von Grassmann auf Telepolis: Die Schulstreiks für Klimaschutz sind bürgerlicher Ungehorsam.
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