Verprügelt und anschließend wegen Widerstands angezeigt
Ein Fall in Bayern veranschaulicht, weshalb die Polizeiarbeit mehr Kontrolle braucht
Dass sich die Sichtweise der Polizei von derjenigen Partei unterscheidet, die mit der Polizei in Konflikt geraten ist, kommt in Meldungen immer wieder vor. Im größeren Stil kennt man das aus Berichten über andere Länder, wo die Polizeiwillkür als notorisch bezeichnet und als Charakteristikum eines "Demokratiedefizits" geschildert wird. Bayern dürfte trotz einiger monarchischer Anwandlungen, die mit der letzten Wahl beendet wurden, eigentlich nicht zu diesen Ländern gehören.
Doch ein SZ-Bericht liefert Anschauungsmaterial dafür, dass die Kenntlichmachung von Polizisten (siehe Namensschilder für Berliner Polizisten "lebensgefährlich" und die Erlaubnis, Polizeiaktionen künftig in Bild und Ton legal aufzunehmen ("Zwischenzeitlich vernichtet"), wichtige Schritte sind, um demokratische Rechte und den Schutz vor willkürlicher Staatsgewalt sicherzustellen. Die Rechtslage, insbesondere der Widerstandsparagraf, schützt vor allem die Polizei. Mitunter sehr zum Nachteil unbescholtener Bürger, wie dies ein Fall in Rosenheim zeigt.
Ein pikanter Punkt der Ereignisse vom November letzten Jahres, die dazu führten, dass ein Beamter am Arm verletzt wurde und sich vier Zivilpersonen in die Notaufnahme einer Klinik begeben mussten, ist, dass einer der durch die Handgreiflichkeiten Verletzten ein ehemaliger Polizist ist. Das macht es schwieriger, die Gegendarstellung zur offiziellen Stellungnahme der Polizei - wie dies durchaus praktiziert wird - à priori als unglaubwürdig abzutun. Der Aussage eines pensionierten Polizisten gesteht man ein besonderes Maß an Glaubwürdigkeit und Kompetenz zu, wenn es darum geht, Aktionen von Kollegen zu beurteilen.
Aus seiner Sicht wurde der Mann von einem Zivilbeamten plötzlich angesprungen und "in den Schwitzkasten genommen", mit "einer Gewalt, ich hab gemeint, der bricht mir das Genick." Vorangegangen war eine Unterhaltung zweier Zivilpolizisten mit seiner Tochter, die mit Mann und Kind im selben Haus lebt. Die Polizisten wollten den Aufenthaltsort eines Mannes eruieren, der in diesem Haus als wohnhaft gemeldet war und zu einer psychiatrischen Untersuchung vorführgeführt werden sollte. Die Erkundigungen der Zivilpolizisten wurden laut Tochter von einem einschüchternden, "aggressiven" Auftreten, "barschem Ton" und einem Misstrauen gegenüber ihren Aussagen begleitet:
"(...) die sind gleich ganz dicht aufgerückt. Ich hätte nie gedacht, dass die von der Polizei sind, so aggressiv wie die aufgetreten sind." Die beiden hätten sich auch nicht vorgestellt, sondern in barschem Ton immer weitergefragt: Wann der F. ausgezogen sei, und wo er gewohnt habe, "und dann sagte der eine, ich wüsste wohl mehr, als ich zugeben wolle, und das könne schlimm für mich ausgehen, und ich sollte mich ausweisen".
"Schwinger in den Magen"
Die Polizisten selbst hätten ihren Ausweis erst nach mehrmaligem Nachfragen gezeigt. Als sie selbst ihren Ausweis holen wollte, wollte sie nicht, dass die Beamten die Wohnung betreten, weswegen sie Türe schließen wollte. Ein Zivilbeamter hatte allerdings seinen Fuß in die Tür gestellt. Im Hintergrund sah sie offensichtlich zur Verstärkung angeforderte Streifenpolizisten im Gang auftauchen, der Ehemann, der sich bis dato in der Wohnung aufhielt, kommt ebenfalls hinzu. Die angespannte Situation eskaliert, wie dieser der Zeitung gegenüber schildert:
"Ich sage: ,Was ist hier los', und da schreit der eine mich an: ,In welchem Verhältnis steht Ihre Frau zu dem F., dass sie ihn deckt?'" - "Wie kommen Sie auf so was", erwiderte Anton B. (der Ehemann, Einf. d.Red), und forderte den Mann auf, seinen Fuß aus der Tür zu nehmen. "Da packt mich der eine am Hals, und der andere gibt mir einen Schwinger in den Magen."
Als die Ehefrau mit einem Notizblock bewaffnet, die Namen der Polizisten aufschreiben will, bekommt auch sie - nach ihren Aussagen - Schläge ab.
"Da zieht mich der eine Zivilist in den Flur, und dann haben sie mich links und rechts festgehalten. Zu viert standen sie um mich rum, und einer nach dem anderen hat zugeschlagen."
Ähnliches widerfährt auch den Eltern der Frau, dem früheren Polizisten und dessen Frau, die ,angelockt von dem Lärm, zu dem Handgemenge dazu stoßen. Der Mann wird, nachdem er in den Schwitzkasten genommen wurde, (siehe oben) ohnmächtig:
Als er wieder zu sich kommt, ruft er seiner Frau zu: "Hol den Fotoapparat." "Dann", sagt Josef E., "hat der wieder zugedrückt, und ich bin wieder ohnmächtig geworden. Als ich wieder aufgewacht bin, lag ich am Boden, und der Polizist reißt mich am Arm, dass ich vor Schmerzen fast verrückt geworden bin, und dann setzt er mir das Knie auf den Hals, mit voller Wucht. Da hab' ich mit dem Leben abgeschlossen, so weh hat das getan." Josef E. wird gefesselt.
Vier weitere Streifenpolizisten kommen zur Verstärkung, die Situation entschärft sich nicht. Auch die Frau des Hausbesitzers und ehemaligen Polizisten, die Fotos macht, wird angegriffen, der Fotoapparat wird ihr entrissen, sie erhält Schläge im Nierenbereich. Alle vier Familienmitglieder werden in der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses behandelt.
Für die Polizei ist der Sachverhalt eindeutig: "Polizeibeamte wurden bei der Durchführung von Maßnahmen behindert, als sie in einem Mehrfamilienhaus einen Beschluss vollziehen wollten." Dies zitiert die SZ aus der Pressemitteilung des zuständigen Polizeipräsidiums, die den Anfang der körperlichen Tätlichkeiten bei den Zivilisten sieht. Darüberhinaus hat die Staatsanwaltschaft laut Zeitung gegen alle vier Familienmitglieder Anklage "wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erhoben". Gegen die zehn Polizeibeamten wurde das Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt vorläufig eingestellt.