"Zwischenzeitlich vernichtet"
Die Hamburger Innen- und Justizbehörden verschwendeten angeblich zwei Hundertschaften Polizei und sieben Jahre Prozessaufwand bis zum Bundesverfassungsgericht, um ein paar ungenehmigt mitgeschnittene Sätze eines Polizeipressesprechers zu ahnden. Darüber, was das den Steuerzahler gekostet hat, schweigt sich das Bundesland eisern aus.
Wer sich gegen ungerechtfertigte staatliche Eingriffe wehren will, braucht meist nicht nur Geld, sondern auch einen langen Atem: Den hatte ein als Verein betriebener Radiosender in Hamburg, der sich am 25. November 2003 nach einem Bericht über unangemessene Polizeigewalt auf einer Demonstration unerwartet mit einer Hausdurchsuchung konfrontiert sah. Als Grund für die Link auf http://www.heise.de/tp/blogs/6/149041 gaben die Sicherheitsbehörden an, dass eine telefonisch abgegebene Stellungnahme eines Polizeisprechers ohne dessen Einverständnis mitgeschnitten und gesendet worden sei, weshalb ein Verstoß gegen den § 201 StGB vorliege.
Obwohl Hamburg nicht unbedingt eine Stadt ist, in der sich Polizisten aus lauter Mangel an Gewaltverbrechen langweilen, schickte man zu dieser Hausdurchsuchung nach Angaben von FSK zwei Hundertschaften Polizisten, die das im Schanzenviertel gelegene Gebäude, in dem der Sender seine Redaktionsräume hatte, weiträumig abriegelten. Und trotz der Tatsache, dass sich der Mitarbeiter, der den Mitschnitt angefertigt hatte und sich keiner Schuld bewusst war, bereits zu Anfang der Durchsuchung zu erkennen gab, ließen sich die Beamten nicht von ihrem Vorhaben abbringen und durchsuchten drei Stunden lang die Redaktionsräume. Dabei nahmen nicht nur Akten mit, sondern fotografierten auch Zimmer und fertigten Lagepläne.
Hamburger Polizeipräsident war damals der von Ronald Schill ernannte Udo Nagel, der später als Tatort-Internet-Moderator ein ungewöhnliches Rechtsstaatsverständnis erkennen ließ und 2008 bis 2010 die Firma Prevent AG mit leitete, gegen die US-Behörden ermitteln, weil sie den Eindruck gewannen, dass der "Sicherheitsdienstleister" einem unliebsam gewordenen Mitarbeiter der HSH-Nordbank Kinderpornografie-Zugangsdaten untergeschoben haben könnte, um ihn loszuwerden. Viele Mitarbeiter, die Nagel als Polizeipräsident und später als Innensenator förderte, befinden sich heute immer noch auf wichtigen Posten.
Sieben Jahre nach der Razzia bei FSK befand das Bundesverfassungsgericht, dass die Maßnahme eindeutig über die vom Grundgesetz gesetzten Grenzen rechtstaatlicher Eingriffe hinausging: Hinsichtlich der Prüfung dieser Frage durch die eigentlich dafür vorgesehenen Instanzen kamen die Karlsruher Richter zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass die Begründung des Hamburger Amtsgerichts "eine Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung nicht erkennen" ließ. Das Strafverfahren gegen den Radiomitarbeiter, der dem Irrtum erlegen war, dass ein Pressesprecher, der dem Hörfunk etwas sagt, davon ausgehen muss, dass dies als O-Ton verwendet wird, musste ebenfalls durch mehrere Instanzen gehen, bevor es schließlich unter Strafvorbehalt eingestellt wurde.
Optimale Ressourcenallokation?
Angesichts solcher Ergebnisse stellt sich natürlich die Frage, wie viel Geld der Steuerzahler in den Großeinsatz und die sieben Jahre lang dauernden Verfahren stecken musste - und ob es angemessen war, diese Mittel in ein Verfahren zu stecken, dessen Ergebnis man mit einer einfachen telefonischen Belehrung des Radiomitarbeiters für wenige Cent hätte erzielen können.
Doch solche Fragen mochte man Telepolis weder bei der Hamburger Innenbehörde noch bei der Polizei direkt beantworten. Auch ein Verweis auf § 4 des örtlichen Pressegesetzes half hier nicht weiter. Selbst wenn sie sich klar im Unrecht befinden, gibt es im Normalfall keine wirksamen Sanktionsmöglichkeiten gegen solch ein Verhalten von Behörden, die sich darauf verlassen können, dass ein Presseorgan die logistischen und finanziellen Ressourcen eines Einklagens solcher Informationen mit hoher Wahrscheinlichkeit scheut, wenn eine Nachricht dann, wenn ein Ergebnis schließlich vorliegt, nur mehr begrenzten Aktualitätswert hat.
Doch in Hamburg ist gerade Wahlkampf, und so fragten wir die Oppositionsparteien, ob sie denn mehr über den Umfang und die Kosten des Einsatzes und der Verfahren wissen. Und ob sie der Auffassung sind, dass das Hamburger Innenministerium Auskünfte dazu zurecht verweigert. SPD und FDP wollten sich dazu nicht äußern. Für die bis vor Kurzem in einer Koalition mit der CDU mitregierende Grün-Alternative Liste (GAL) antwortete die innenpolitische Sprecherin und Vize-Vorsitzende Antje Möller, dass sie keine solchen Informationen hätte, aber grundsätzlich kein Auskunftsverweigerungsrecht der Innenbehörde sehe.
Auch die Hamburger Linkspartei sieht solch ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht gegeben, weil die Fragen offensichtlich nicht die Polizeitaktik betreffen. "Gerade", so deren innen- und rechtspolitische Sprecherin Christiane Schneider, "weil die Polizeiaktion 2003 die Rundfunkfreiheit verletzt hat, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, müsste die Innenbehörde heute um so mehr interessiert sein, die Rundfunk- bzw. Pressefreiheit penibel zu achten". Durch ihr Schweigen schützt die Behörde Schneider zufolge "nicht ein überwiegendes öffentliches Interesse, sondern sich selbst beziehungsweise einen früheren CDU-Innensenator, der das verfassungswidrige Handeln zu verantworten hat".
Über die Kosten des Einsatzes und der Verfahren weiß man bei der Linkspartei bisher ebenso wenig wie über eventuelle personelle Konsequenzen für die Verantwortlichen. Eine parlamentarischer Anfrage ergab am Freitag lediglich, dass sich die Landesregierung "hiermit nicht befasst" hat.
Auch die Piratenpartei hat keine Kenntnis über die Kosten, die dem Steuerzahler durch die FSK-Durchsuchung und Beschlagnahme von Material, sowie durch die nachfolgenden Ereignisse entstanden. Genau an solchen Fällen, so Piraten-Pressesprecher Alexander Stielau, könne man aber sehen, dass Demokratie Transparenz benötigt. Bei einem Einzug ins Parlament wolle die Piraten deshalb "jedwede Möglichkeit nutzen, die Offenlegung sämtlicher Informationen zu bewirken". Unter anderem strebt man dafür eine deutliche Ausweitung der Auskunftsansprüche nach dem Hamburger Informationsfreiheitsgesetzes an. Stielau bezeichnete es zudem als "nicht nachvollziehbar, warum diese eindeutig rechtswidrige Handlung nicht schon vor Hamburger Gerichten als 'erheblicher Eingriff in die Rundfunkfreiheit' bewertet wurde".
Nachdem wir bei den politischen Parteien angefragt hatten, meldete sich plötzlich auch die Hamburger Polizei. Zu einer für Beamte ungewöhnlichen Arbeitszeit, die nahelegt, dass hier möglicherweise jemand Überstunden aufgebrummt bekam. Nun war plötzlich nicht mehr die Rede davon, dass man schlicht und einfach keine Auskünfte gebe. Stattdessen meinte man jetzt, dass die Unterlagen "zwischenzeitlich vernichtet" wurden, weshalb man Fragen dazu nicht mehr beantworten könne.
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