"Verrückte Forderungsliste" für einen "Staatsstreich"

Auch Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman geht hart mit dem deutschen Europa ins Gericht und macht "pure Rache" aus

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Nun befindet sich die Syriza-Regierung tief im Sumpf und man darf gespannt sein, wie sich Premierminister Alexis Tsipras daraus wieder herauswinden will. Bekannt ist, dass es nun eine "einstimmige Einigung" gab, für die Tsipras offensichtlich noch mehr Frösche schlucken musste als vor dem Referendum vor einer Woche. Dazu gehört, dass nun die "drei Institutionen", die nicht mehr Troika genannt werden dürfen, wieder Griechenland überwachen und mehr Durchgriffsmöglichkeiten erhalten als unter den Vorgängerregierungen.

Dafür hat Griechenland aber keinen Schuldenschnitt herausgehandelt, mit dem Tsipras wuchern könnte. Es soll offenbar nur irgendeine Umschuldung geben, wie sie der Internationale Währungsfonds (IWF) gefordert. Und nicht mal das ist gesichert, denn es soll nur "untersucht werden, ob die Fristen zur Rückzahlung gestreckt werden", schreibt Peter Spiegel von der Financial Times und verlinkt auf den Text der Vereinbarung. Also werden die Schulden nur weiter erhöht, denn es sollen weitere 82 bis 86 Milliarden Euro fließen, wie Bundeskanzlerin Merkel nun mitgeteilt hat (Eurogruppe einigt sich mit Griechenland).

Sie werden damit noch untragbarer und man tut (wieder einmal) durch eine zeitliche Streckung für eine Weile so, als wären sie tragbar. Sie werden, wie im Fall Irland, Portugal, Italien oder Spanien, dann schnell tödlich, wenn es dem Troika-Mitglied Europäische Zentralbank (EZB) auch mit einer Tsunami-Geldschwemme nicht mehr gelingt, die Zinsen niedrig zu halten, oder wenn sie diese aus anderen Gründen erhöhen muss. Man sollte der Propaganda über "erfolgreiche Rettungen" nicht auf den Leim gehen. Diese Länder, Irland weist sogar eine höhere Gesamtverschuldung als Griechenland auf, hängen vor allem an der Nadel der EZB.

Wir haben also ein Ergebnis, das auf der bisherigen Linie liegt, die der IWF-Chefökonom gerade rückwirkend analysiert hat, allerdings mit einer politisch dramatischen Zuspitzung. Erneut werden vor allem Gläubiger bedient, wie es bisher der Fall war und der IWF gerade zugegeben hat. Also werden nicht nur die Schulden weiter deutlich steigen, sondern auch die Zinsen, die bezahlt werden müssen. Sie wachsen im Fall einer zeitlichen Streckung über die Zinseszinsformel auch weiter. Und in Zeiten von geringer Inflation oder Deflationstendenzen werden die Schulden nicht einmal darüber geringer.

Die Zwickmühle, in der Tsipras und Syriza stecken, versucht er offenbar nun rhetorisch zu übertünchen. "Ich weiß, dass einige der Maßnahmen schwierig sind", erklärte Tsipras nach dem Abkommen. Er stellt richtig fest, dass das Land darüber im Euro gehalten wird, doch man muss doch sehr an der Aussage zweifeln, dass das Abkommen "uns Möglichkeiten für Wachstum bietet". Er behauptet, man habe das Beste erreicht, was möglich gewesen sei, und "einen gerechten Kampf geführt". Nun stehe man vor "schweren Entscheidungen", aber er habe erreicht, dass die Schulden umstrukturiert und die Banken mit Kapital versorgt würden. Tsipras fügte an, er habe in den Verhandlungen hart gekämpft und werde nun im Inland ebenso hart kämpfen, damit die Gipfelbeschlüsse umgesetzt würden.

Er wird sehr hart kämpfen müssen, denn wie allseits festgestellt wurde, hätte er ein "besseres" Ergebnis vermutlich letzte Woche vor dem Referendum haben können. Vom geforderten Schuldenschnitt ist keine Rede, zudem werden Steuern, sogar die Mehrwertsteuer, erhöht, womit die einfachen Leute wieder besonders hart getroffen werden, und die Renten gesenkt… Und dazu kommt, dass Griechenland faktisch zu einem Protektorat wird (Protektorat oder Rauswurf?). Das hatten sogar Grüne kritisiert, denen angesichts der Forderungsliste von Finanzminister Schäuble langsam unheimlich wird, weshalb sie sie durchgestochen haben und deren Übersetzung auf Telepolis vorliegt.

"Die Griechen haben es nicht verbockt"

Interessant ist, wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman die Lage einschätzt. Der Experte weicht jedenfalls deutlich von der Einschätzung ab, die Jean-Claude Junker als "Kompromiss" bezeichnet, bei dem es "weder Gewinner noch Verlierer" geben soll. Dass Griechenland für das demokratische Aufbegehren per Referendum bestraft werden würde, deutete er zwischen den Zeilen auch an. Er habe schon davor gesagt, dass die Lage danach schwieriger sein werde: "Es hat sich herausgestellt, dass dies wahr ist."

Krugman spricht in einem neuen Beitrag davon, dass die Bezeichnung "This is a coup", völlig korrekt sei. Er prangert eine "verrückte Forderungsliste" an. Seine Einschätzung ist klar: "Das geht über pure Rache noch hinaus, es ist die völlig Zerstörung der nationalen Souveränität und das Fehlen der Hoffnung auf Besserung." Er meint, dass es wohl ein Angebot war, das Griechenland ablehnen sollte und nennt es "grotesken Verrat an allem, was das europäische Projekt vorgab zu repräsentieren".

Dass er die Fratze des hässlichen Deutschlands hinter den Vorgängen sieht, daraus macht er keinen Hehl. Berlin gehe es um Erniedrigung, nicht einmal die vollständige Kapitulation habe zur Genugtuung ausgereicht. Deutschland wolle nicht nur "einen Regimewechsel", sondern "die totale Demütigung". Warum sein Beitrag den Titel "Killing the European Projekt" trägt, führt er im Text aus. "Das europäische Projekt - ein Projekt, das ich immer gelobt und unterstützt habe - hat gerade einen furchtbaren, vielleicht sogar tödlichen Schlag erhalten. Und was immer man von Syriza oder Griechenland hält - die Griechen haben es nicht verbockt."

Der Wirtschaftsexperte macht auch deutlich, dass der ganze Vorgang mit Ökonomie praktisch nichts mehr zu tun hat. "Lasst uns darüber im Klaren sein: In den vergangenen Wochen haben wir gelernt, dass Mitglied der Eurozone zu sein bedeutet, dass die Gläubiger deine Wirtschaft vernichten können, wenn du aus der Reihe tanzt." Er unterstreicht noch einmal, dass auch die härtesten Sparprogramme ohne den unausweichlichen Schuldenschnitt "eine zum Scheitern verurteilte Politik ist". Dabei sei egal, ob das Land dazu bereit ist, das damit verbundene Leiden zu akzeptieren. Krugman, der wie sein Kollege Stiglitz frühzeitig herausgearbeitet hatte, dass die Programme für Griechenland "verrückt" sind und "katastrophale Folgen" haben würden, dürfte erneut recht behalten.

Krugman geht aber auch richtigerweise mit Tsipras ins Gericht und wirft ihm mangelndes taktisches Geschick vor. Man habe sich frühzeitig darauf festgelegt, dass es einen Grexit nicht geben dürfe und eben deshalb nicht die entsprechenden Vorbereitungen getroffen, um im Fall der Fälle auf eine Parallelwährung zurückgreifen zu können. Damit habe sich die Regierung Tsipras sich selbst in eine Sackgasse begeben. Tsipras sei so "in eine hoffnungslose Verhandlungsposition" gekommen.

Allerdings gibt Krugman die Hoffnung noch nicht darauf, dass sich die Einschätzung über die fehlende Vorbereitung auf eine Parallelwährung noch als Fehleinschätzung herausstellen könnte und doch Vorbereitungen auf einen Grexit getroffen wurden. Denn er sieht, wie viele andere, nur noch in einer Entschuldung und in einer eigenen Währung eine Chance, dass das Land wieder auf die Beine kommt. Der Wirtschaftsprofessor malt nur schreckliche Alternativen für Griechenland und Europa an die Wand. Er hält den Grexit für die bessere Version als den Verbleib im Euro unter der strengen Knute der Deutschen und ihrer Verbündeten.

Er hebt hervor, dass nur Frankreich unter Hollande "ein wenig" und zu spät versucht habe, die Vorstellungen der Deutschen etwas zurückzudrängen (Frankreich: Hader mit "unbeugsamen Deutschen" in der Sache Griechenland), die schon in der Vergangenheit so eklatant versagt hätten. Krugman meint, dass die fehlende Unterstützung von Hollande für Tsipras in der Vergangenheit letztlich zu diesem Ergebnis geführt habe. Er sieht nicht Griechenlands Glaubwürdigkeit erschüttert, sondern fragt sich: "Wer soll danach noch jemals in gute Absichten Deutschlands vertrauen?"

So fragt man sich, wie Tsipras den totalen Kniefall fertig bringt? Denn offenbar akzeptiert die Regierung all das, was sie bisher abgelehnt hat, und muss sogar noch dickere Kröten als vor dem Referendum schlucken. Die Frage ist, ob Tsipras, worauf auch Krugman hofft, eine klare Absicht verfolgt, es sich also um eine Art didaktisches Vorgehen handelt, da die Bevölkerung im Land noch nicht für einen Grexit zu gewinnen ist. Hofft er darauf, dass es im Land zu einem Aufschrei kommt, damit das Parlament im Sinne des Nein beim Referendum dieses Knebel-Abkommen ablehnt?

Denn tatsächlich steht Syriza auch vor dem Problem, dass das klare Oxi beim Referendum gegen diese Austeritätsprogramme von einer großen Mehrheit mit dem Wunsch nach einem Verbleib im Euroraum verbunden war. Im anderen Fall hätten sich Tsipras und die Eurozone nur erneut Zeit erkauft. Es wäre dann nur die Frage, wann wir erneut über Grexit, Schuldenschnitt und ähnliches debattieren. Es bleibt auch die Frage, ob Tsipras und Syriza das politisch überleben können. Schon jetzt wird davon ausgegangen, dass noch in diesem Jahr Neuwahlen anstehen. Dabei ist vermutlich sogar egal, ob es sich um einen klaren Kniefall handelt oder ob die Roadmap durch ein unannehmbares Abkommen tatsächlich nur auf den Rauswurf mit Entschuldung abzielt.