"Verstaatlichung ist nie ein Selbstzweck"
Interview mit Sahra Wagenknecht über die schwelende Weltwirtschaftskrise
Als Exotikgast in Fernsehtalkshows forderte Sahra Wagenknecht mehr als ein Jahrzehnt lang das, was diesen Herbst scheinbar Mode unter Politikern jeder Couleur geworden ist: Die Verstaatlichung großer Banken. Telepolis fragte die Europaabgeordnete, inwieweit sie nun tatsächlich mit Gordon Brown und George W. Bush auf einer Linie liegt.
Frau Wagenknecht, in ihrem soeben erschienen Buch zum gegenwärtigen Finanzmarktdebakel schildern Sie, wie es über kurz oder lang durch die Verbriefung von Krediten zu einer ernsthaften Krise kommen musste. Können Sie den Kern ihrer Überlegungen für unsere Leser kurz darstellen?
Sahra Wagenknecht: Das Grundproblem ist, dass wir in den letzten Jahren eine gigantische Ausweitung des Kreditvolumens erlebt haben und die wäre ohne diese Link auf http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29006/1.html nicht möglich gewesen. Banken können im Normalfall nur in einem bestimmten Verhältnis zu ihrem Eigenkapital Kredite vergeben. Durch die Verbriefung wurde ihnen aber die Möglichkeit gegeben, die Kredite, die sie vergeben, weiter zu verkaufen und damit ein schier unendliches Volumen an Krediten immer wieder neu zu generieren.
Falsche Ratings der Agenturen
Dass sie diese Kredite so gut weiterverkaufen konnten, hat auch damit zu tun, dass es gefeierte Finanzinnovationen gab, die im Grunde darauf hinausliefen, besonders unübersichtliche und kompliziert strukturierte Verbriefungsprodukte, die sogenannten Collateralised Debt Obligations zu schaffen, bei denen wirklich keiner mehr durchschaut, welche Art von Krediten drin stecken und wie hoch das Risiko ist. Diese wurden dann von den Rating-Agenturen als mehr oder weniger sicher eingestuft und konnten weltweit von Pensionsfonds, Zentralbanken und anderen aufgekauft werden, was den Banken riesige Profite gebracht hat.
Die Geldelite entwickelte also das Verbriefungssystem und die Politik machte dieses einem Kettenbriefspiel nicht unähnliche Finanzierungsmodell juristisch möglich. Die Banken haben dann dieses System bis zu seinem Zusammenbruch ausgenutzt – und können dies auch dank staatlicher Garantien nun weiter tun. Ist der Kapitalismus in solch einer Krise, dass er sich so ein Verhalten leisten muss oder ist er inzwischen so allmächtig, dass er sich so etwas leisten kann?
Sahra Wagenknecht: “Müssen“ tut er garantiert nicht. Solange nicht genügend Widerstand existiert und die Kräfteverhältnisse sind, wie sie eben zur Zeit sind, kann er sich so etwas tatsächlich noch leisten. Es läuft jetzt alles darauf hinaus, dass im Grunde der Steuerzahler einen erheblichen Teil der Verluste, die in der Finanzkrise produziert wurden übernimmt, damit am Ende das Entwicklungsmodell, das in diese Krise erst hineingeführt hat, fortgeführt werden kann. Das ist das Absurde der politischen Reaktionen.
Voraussicht der Banker nach dem Platzen der New-Economy-Blase
Es geht bisher überhaupt nicht ernsthaft darum, alternative Entwicklungswege zu eröffnen, sondern nur darum, das Desaster im Griff zu halten um die nächste Finanzblase möglich zu machen. Das ist natürlich der völlig falsche Weg, aber um neue Wege zu eröffnen ist es Voraussetzung, dass sich mehr Menschen gegen diese Entwicklung wehren.
Wie man einem Bericht des Handelsblattes aus dem Jahre 2003 entnehmen kann, setzten sich am 24. Februar 2003 Gerhard Schröder, Hans Eichel und Wolfgang Clement mit hochrangigen Vertretern des Bankengewerbes (u.a. mit Josef Ackermann zusammen), um über Bailout-Konzepte nachzudenken. Dort wurde über die Gründung von Auffanggesellschaften nachgedacht, welche faule Kredite von in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Banken bündeln, in Wertpapiere packen und zum Verkauf feilbieten sollten. Für die Risiken dieser Papiere sollte wiederum der Staat einstehen. Spätestens seit dem Jahr 2003 waren also die Risiken dieses Bankgeschäfts bekannt, dennoch hat Bundesfinanzminister Peer Steinbrück lange Zeit negative Folgen der Finanzkrise in den USA auf die deutsche Wirtschaft einfach abgestritten, bis er innerhalb kürzester Zeit Rettungsschirme für deutsche Banken bis zu einer halben Billion Euro aufspannte...
Sahra Wagenknecht: Nach dem Platzen der New-Economy-Blase hatten wir schon einmal eine relativ komplizierte Situation. Damals war bereits die Rede davon, dass die Banken erhebliche finanzielle Probleme bekommen, es gab einen wirtschaftlichen Abschwung, der sich aber nicht auf dem Niveau von heute befand und so zeugt es schon von Voraussicht, dass man bereits zu dieser Zeit auf Initiative der Deutschen Bank über solche Konzepte nachgedacht hat.
„Hoffentlich in Rente, bis das Kartenhaus zusammenbricht“
Man kann natürlich nicht behaupten, dass die Politik von den Problemen nichts mitbekommen hat und nicht selbst einen Anteil daran hat. Z.B. war es ausdrücklich Teil des jüngsten Koalitionsvertrages, die Verbriefungspraxis zu fördern. Private Equity Gesellschaften, die an der Schuldenblase einen großen Anteil haben, wurden steuerlich besonders begünstigt. Man hat auch die Zweckgesellschaften der Banken, bei denen letztendlich ein Teil der Verbriefungen gelandet ist, gewähren lassen. Man hat nicht darauf gedrungen, dass diese mit Eigenkapital unterlegt werden müssen. D.h. die Politik hat dies alles sehenden Auges geschehen lassen und genauso auch die Banken.
Es gibt eine interessante Untersuchung in den USA über die Rating-Agenturen, in der die internen Mails hochrangiger Mitarbeiter veröffentlicht wurden. Aus diesen geht hervor, dass sie genau wussten, dass ihre Ratings falsch sind. Es wurden wider besseren Wissens Schrottpapiere mit erstklassigen Bewertungen ausgestattet. In einer Mail schreibt ein Mitarbeiter etwas leger: „Hoffentlich sind wir bereits in Rente, bis dieses Kartenhaus zusammenbricht.“ Aber so lange hat es dann doch nicht mehr gedauert.
Also ist der Gesinnungswechsel von Herrn Steinbrück nicht besonders glaubhaft?
Sahra Wagenknecht: Es ist ja in Wirklichkeit kein Gesinnungswechsel. Es tun zwar jetzt alle so, als hätten sie schon immer eine Regulierung der Finanzmärkte gewollt, das ist aber vollkommener Nonsens, denn sie haben sie dereguliert und auch was sie jetzt an Vorschlägen zur Regulierung bringen, ist vollkommen unzureichend. Wenn z.B. die Europäische Kommission jetzt debattiert, dass in Zukunft bei Verbriefungen fünf Prozent Risiko bei den Banken bleiben soll, dann ist das lächerlich wenig.
Rolle und Risiko der Pensionsfonds in der Krise
Damit wird sich an dem Spiel überhaupt nichts ändern. Über ein Verbot z.B. bestimmter Derivate, die in den letzten Jahren explosionsartig angewachsen sind, wird nicht einmal nachgedacht.
Können Sie uns etwas über die Rolle der so heftig propagierten Pensionsfonds in der Krise berichten?
Sahra Wagenknecht: Die Pensionsfonds und überhaupt die Privatisierung der Altervorsorge hat wesentlich zu dieser Finanzblase beigetragen, weil sie immer mehr liquide Mittel auf die Finanzmärkte schleusen. Bei einer Umlagerente passiert so etwas nicht. Da erhalten die Rentner genau das Geld, was die Beitragszahler einzahlen, während die kapitalgedeckte Rente immer mehr Geld in das Kartenhaus spült und damit auch die Spekulationsmasse erhöht. In den USA und Großbritannien gibt es nun die dramatische Situation, dass diese Pensionsfonds völlig untergedeckt sind.
„Verstaatlichungsmaßnahmen sind Kapitalspritzen für private Banken“
Das hat einmal mit den Aktienmärkten zu tun, denn wenn die Kurse herunter gehen, bekommt man erhebliche Probleme, zum anderen damit, dass diese Fonds auch in Schrottpapiere investiert haben, also in diese hypothekenbesicherten Wertpapiere, die in ihrer Substanz höchst fragwürdig sind und wo sich nicht absehen lässt, ob daraus überhaupt noch Geld herauszuholen ist.
Ist diese Entwicklung auch für Leute relevant, die eine Riester-Rente abgeschlossen haben?
Sahra Wagenknecht: Im Unterschied zum amerikanischen System sind in Deutschland bei Riester-Renten zumindest die Einzahlungen gesichert. Aber inzwischen haben auch die Lebensversicherer eingeräumt, dass sie höchstens noch eine Verzinsung von 2,5 Prozent garantieren, was weniger ist, als zur Zeit die Inflationsrate. Man muss sich also schon Gedanken machen, ob eine Riester-Rente, selbst wenn man viel eingezahlt hat, eine gesicherte Lebensgrundlage im Alter bieten kann. Dabei ist auch das Problem, dass bei der miserablen Lohnentwicklung die meisten Leute gar nicht so viel einzahlen können um im Alter eine armutsfreie Rente beziehen zu können. D.h. die Privatisierung der Altersvorsorge gehört schleunigst rückgängig gemacht. Wir brauchen wieder eine ordentliche umlagefinanzierter Rente, die den Lebensstandard im Alter sichert.
Frau Wagenknecht, ich nehme an, dass Ihnen das Wort “Verstaatlichung“ nicht unbedingt unangenehm in den Ohren klingt. Was haben Sie also trotzdem an der derzeitigen Verstaatlichungsdebatte auszusetzen?
Sahra Wagenknecht: Verstaatlichung ist nie ein Selbstzweck. Sondern öffentliches Eigentum muss, wenn es sinnvoll sein soll, wirklich dafür eingesetzt werden, andere Prioritäten des Wirtschaftens durchzusetzen. Also, ein Wirtschaften, dass sich tatsächlich am Allgemeinwohl orientiert und nicht an blinden Renditediktaten, das tatsächlich den Beschäftigten Mitbestimmungsrechte gibt usw.. Die Verstaatlichungsmaßnahmen, die zur Zeit vor allem in den USA und Großbritannien laufen, wo durchaus erhebliche Teile des Finanzsystems verstaatlicht wurden, sind im Grunde nur Kapitalspritzen für private Banken, die an ihrem Geschäftsgebaren nichts wesentliches ändern. Auch die Idee von Sarkozy, die erst einmal sympathisch klingt, staatliches Geld in die Schlüsselindustrien zu pumpen, hat überhaupt nicht zum Zweck, die Prioritäten des Wirtschaftens in diesen Schlüsselindustrien zu ändern oder den Beschäftigten dort mehr Möglichkeiten einer Mitentscheidung zu geben, sondern einfach nur, diese Industrien besser mit Kapital auszustatten und ihnen damit Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, die aber den Beschäftigten als Letzten zugute kommen. Ähnlich läuft es auch in der Bundesrepublik: Die öffentlichen Gelder, die hier geflossen sind, dienen überwiegend der Verstaatlichung von Verlusten ohne eine grundsätzliche Umorientierung nach sich zu ziehen.
Wobei voraussichtlich den Banken ein Hintertürchen offen bleibt um sich zum geeigneten Zeitpunkt wieder zu reprivatisieren....
Sahra Wagenknecht: Sowohl in den USA als auch in Großbritannien, wird ganz klar gesagt, dass die Verstaatlichungsmaßnahmen nur kurzfristig sind um die Krise zu überstehen um dann, wenn wieder Gewinne gemachte werden das Ganze wieder privat eingestrichen werden soll. Auch Sarkozys Vorschlag beinhaltet dies.
Anhand einer Inflation wären sowohl der Staat als auch die Banken in der Lage, ihren immensen Schuldenberg ganz nonchalant abzubauen. Ist dies eine realistische Einschätzung?
Sahra Wagenknecht: Es könnte schon sein, dass die USA zumindest so eine Variante einkalkulieren. Die Amerikanische Zentralbank gibt gerade noch einmal 800 Milliarden Dollar in den Markt, um die faulen Papiere zu übernehmen, sie denkt über den direkten Aufkauf von Staatsanleihen nach - das ist im Grunde die moderne Art der Notenpresse. So ist es durchaus möglich, dass die Amerikaner perspektivisch ihre Schulden einfach weg inflationieren, was Ausländer stärker schädigen würde als die eigene Oberschicht. Deswegen könnte man dies auch politisch durchsetzen. Das Problem ist, dass das keineswegs eine Umverteilung von oben nach unten darstellt. Wenn man eine Währung inflationiert, sind eben auch die Kleinsparer betroffen, während die Geldelite vielfach ihr Geld im Ausland oder in Aktien hat. Eine Inflationierung bedeutet nicht von vorn herein eine progressive Vermögensumverteilung.
Morgen in Teil 2 des Interviews geht es im Zusammenhang mit dem Finanzcrash über Auswirkungen für Reiche und Lohnabhängige sowie um Analyse- und Reaktionsmöglichkeiten