Verwandte Freunde

Warum sich genetische Verbindungen nicht nur unter Verwandten, sondern auch unter Freunden finden

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Aus evolutionärer Sicht ist Freundschaft ein seltsames Phänomen: Eine stabile Verbindung zwischen zwei Subjekte, die nicht der Reproduktion dient. Der Mensch ist eine der wenigen Arten unserer Fauna, bei denen fast jedes Individuum eine solche Freundschaft pflegt. Dabei überrascht zunächst, dass auch die genetische Ausstattung eine gewisse Rolle bei der Bildung von Freundschaften spielt - die Gene beeinflussen nachgewiesenermaßen die Entstehung, die Eigenschaften und die Netzwerkstruktur freundschaftlicher Beziehungen. Eine Frage ist bisher allerdings nicht geklärt: Ist es die Variation unserer Genen, die uns zu ganz bestimmten Menschen hinführt - oder ist es vielmehr eine Folge der Auswahl unserer Freunde, dass es zur Korrelation bestimmter Genotypen kommt?

Die Frage ist aus drei Gründen nicht leicht zu beantworten. Zum einen ist es ein ganz natürlicher Prozess, dass sich das Basis-Set an Genen in der Bevölkerung lokal immer weiter angleicht. Nimmt man an, dass sich Freunde vor allem auf lokaler Ebene finden, dann muss das auch zur genotypischen Ähnlichkeit unter diesen Freundschaftsbeziehungen führen. Zum zweiten wird die Wahl der Freunde auch durch die Präferenzen bestimmt, die Menschen für ihre eigene Umwelt entwickelt haben. Wer sich vorzugsweise an bestimmten Orten aufhält, wird dort nur andere Individuen mit ähnlichen Vorlieben treffen - das würde zwangsläufig eine höhere genetische Ähnlichkeit zur Folge haben.

Das betrifft aber nicht nur Vorlieben, sondern auch Fähigkeiten - wer an einer Universität arbeitet, hat im Mittel mit Menschen mit einem höheren IQ zu tun als anderswo. Und schließlich könnten Menschen auch aktiv nach anderen mit einem bestimmten Genotyp suchen - da sie diesen nicht direkt beobachten können, wählen sie eben den Umweg des Phänotyps. Normalgewichtige etwa sind vielleicht lieber mit ebenfalls Normalgewichtigen zusammen - denen für Übergewicht verantwortliche Gene eher fehlen. Das bezeichnet man als Homophilie - im Gegensatz zur ebenfalls als Selektionsmechanismus bekannten Heterophilie, die sich etwa darin äußert, dass schüchterne Menschen vielleicht extrovertierte Freunde bevorzugen.

Welche dieser Mechanismen tatsächlich greifen, beschreiben jetzt Forscher in den Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS). Dazu haben die Wissenschaftler zwei große Datensammlungen untersucht, die sowohl über Freundesnetzwerke als auch über genetische Beziehungen Auskunft geben: die National Longitudinal Study of Adolescent Health und die Framingham Heart Study. Beide Studien enthalten Daten zu einigen genetischen Markern.

Die statistische Analyse ergab, dass aus dem Datenpool 1 signifikante Anzeichen für Homophilie für den Marker DRD2 zu finden sind, während sich für CYP246 eine deutliche Heterophilie ergibt. DRD2 ist zum Beispiel mit Alkoholismus verbunden, und es ist leicht vorstellbar, dass sich hier Menschen mit ähnlicher Ausstattung eher befreunden als mit verschiedener.

Für CYP246 ist die Diskussion komplizierter - bisher gibt es erst eine Studie, die besagt, dass sich CYP246 mit dem charakterlichen Merkmal der Offenheit in Beziehung bringen lässt. Womöglich liegt hier also das klassische Beispiel vor, bei dem sich verschlossene Menschen von offenen angezogen fühlen (und umgekehrt).

Ob dem wirklich so ist, wissen die Forscher nicht zu sagen - sie halten aber die Tatsache, dass sowohl Homophilie als auch Heterophilie nachweisbar sind, für weit wichtiger. Diese Prozesse beeinflussen schließlich die evolutionäre Entwicklung, sorgen sie doch dafür, dass für die Selektion auf Gruppenebene auch andere Faktoren als nur die Verwandtschaft in Betracht zu ziehen sind. Freundschaft hat das Bild des modernen Menschen offenbar zumindest mit geprägt.