Viren im Computerspeicher? Viren als Computerspeicher!

Kombination des Tabakmosaikvirus mit Platin-Nanopartikeln speichert nichtflüchtig Daten

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Ein Virus ist so ziemlich das letzte, was man in einem Computerspeicher haben möchte – ein Computervirus, versteht sich, der Daten zerstört. Nun haben Forscher jedoch auf einem "echten", einem biologischen Virus, einen Datenspeicher installiert, der mit Nanotechnik eines Tages die heutigen Flash-Speicher in der speicherbaren Datendichte erheblich überrunden könnte.

Im Bestreben, Biochips zu entwickeln, werden Viren gerne als Substrat verwendet, weil sie bereits eine feste Nanostruktur vorgeben. Der Tabakmosaikvirus erfreut sich dabei in der Forschung ähnlicher Beliebtheit wie die Fruchtfliege Drosophila, er ist ein typisches Standardobjekt von Untersuchungen, obwohl er nicht ungefährlich ist und Tabakpflanzen befallen und vernichten kann, was unermessliche Folgen für die Volksgesundheit hätte.

Mit im Mittel 10 nm großen Platin-Nanopartikeln versetzter Tabakmosaikvirus unter dem Transmissionselektronenmikroskop (TEM) (Bild: Yang Yang)

Bislang wurden jedoch nur wenige Bioelektronikchips entwickelt, da der eher geringe Stromfluss durch die biologischen Strukturen den Ansprüchen von elektronischen Schaltungen bisher nicht entspricht: es fehlt eine metallische Leiterstruktur, wie sie heutigen Halbleiterchips aufgedampft ist. Um dieses Problem zu lösen, haben die Forscher Ricky J. Tseng, Chunglin Tsai, Liping Ma, Jiangyong Ouyang, Cengiz S. Ozkan und Yang Yang an der University of California in Los Angeles Nanopartikel aus Platin in den Tabakmosaikvirus eingeschleust. Dabei entdeckten sie einen ungewöhnlichen bistabilen Speichereffekt: zwischen dem Ein- und dem Aus-Zustand der Struktur herrscht ein Unterschied in der Leitfähigkeit von drei Größenordnungen, also bereits sehr deutlich, und der Zustand bleibt auch ohne Stromversorgung erhalten, also wie bei Flash-Speichern, nicht so flüchtig wie bei RAM. Dies haben sie in dem Beitrag Digital memory device based on tobacco mosaic virus conjugated with nanoparticles in Nature Nanotechnology veröffentlicht.

Auch wenn die Schaltgeschwindigkeit zur Zeit noch etwas zu wünschen übrig lässt und keinesfalls mit heutigen Halbleiterspeichern mithalten kann, verspricht die neue Technik bislang unbekannte Speicherdichten. So richtig verstanden haben die Wissenschaftler das neu entdeckte Phänomen noch nicht, doch es scheint sich um eine Kombination aus Ladungsfallen in den Nanopartikeln und einem Tunnelvorgang im hochohmigen Zustand zu handeln.

Derartige Hybridchips aus biologischen und metallischen oder halbleitenden Komponenten werden gegenwärtig bereits verwendet, um als Sensoren für bestimmte chemische oder biologische Elemente oder Gefahrenstoffe zu dienen. Und natürlich wurde auch bereits versucht, elektronische Schaltungen auf biologischer Basis zu konstruieren – durchaus auch mit dem Hintergedanken, dass diese dann anschließend auch auf biologischem Weg vermehrt werden können, wenn auch mit der Gefahr, dass diese automatische Reproduktion außer Kontrolle geraten könnte. Gerade in der Nanotechnik ist ja der Alptraum der Nanomaschinen, die sich ungehemmt vermehren und die ganze Erde schließlich in einen Klumpen von "grey goo" verwandeln, durchaus bekannt.

Im vorliegenden Fall hat jedoch die Kombination aus Virus für die Grundstruktur und Platin zur Erhöhung der Leitfähigkeit zu einem unerwarteten Effekt geführt: das System zeigt eine elektrische Bistabilität wie ein in Halbleitertechnik aufgebautes Flipflop: oberhalb eines gewissen Schwellwertes der angelegten Spannung wird das Bauelement leitfähig und unterhalb einer bestimmten negativen Spannung schaltet es wieder auf den isolierenden Zustand retour. Dabei ist das Ein-Aus-Verhältnis bereits hervorragend und die notwendige Betriebsspannung gering, was einen ebenso geringen Energieverbrauch zur Folge hat.

Anordnung des Schaltelements aus Virus mit Platin-Nanopartikeln zwischen den gekreuzten Aluminiumelektroden (Bild: Yang Yang)

Die Wissenschaftler hatten dieses Prinzip zuvor bereits mit metallischen Nanopartikeln auf einem leitfähigen Kunststoff als Substrat getestet; der Tabakmosaikvirus als Substrat erlaubt nun eine weitere Verkleinerung auf Nanomaßstäbe. Im Experimentalaufbau wurde das Element aus Virus und Platin zwischen zwei sich gitterförmig kreuzende Streifen von Aluminiumelektroden montiert. Bei einer Spannung von 3,1 Volt schaltet der Chip ein und bei einer Spannung von -2,4 Volt schaltet er wieder aus. Werden dagegen nur Viren oder nur Nanopartikel aus Platin zwischen die Elektroden gelegt, ergibt sich keinerlei Schaltfunktion.

Die Platinpartikel sind im Größenbereich von 6 bis 18 nm, der ganze Virus ist momentan ungefähr 300 nm lang, 32 nm breit und 8 nm hoch. Gegenwärtig schafft der Biochip nur einige 100 Schaltvorgänge: nach etwa 400 Schaltzyklen ist er verbraucht, er lässt sich dann nicht mehr in den Aus-Zustand versetzen, was auf Erhitzungseffekte beim Schalten zurückgeführt wird. Hier wäre bei einer Weiterentwicklung natürlich eine Verbesserung anzustreben. Auch geht bei hohen Temperaturen von 380 K (100°C) die Ladung, also die Information, deutlich schneller verloren, als bei Raumtemperatur.

Typischer Spannungs-Stromverlauf bei Raumtemperatur: Im ersten Durchlauf (die gefüllten Punkte) sieht man, wie das Element bei 3,1 V in den leitenden Zustand umschaltet (Strom springt von 10-8 auf 10-5 A). Beim Anlegen einer negativen Spannung (Quadrate im linken Teil des Diagramms) springt die Leitfähigkeit bei -2,4 V wieder um fast drei Größenordnungen zurück. Die anderen Kurven zeigen reine viren- oder platinhaltigen Materialien ohne Schalteffekte. (Bild: Yang Yang/Nature)

Wenn diese Technik einmal kommerziell verwertbare Speicherbausteine ergibt, könnte der Speicherchip in der Digitalkamera nicht nur die Bilder eines Urlaubs, sondern die des gesamten Lebenszyklus der Kamera aufnehmen, womit auch die Begrenzung des Löschung und Überspielens der Fotos keine Rolle mehr spielen würde. Der Chip müsste dann auch gar nicht mehr aus der Kamera ausgebaut werden, was vermutlich auch besser so ist, denn wenn ein solcher Chip beim Fotografieren eines Tabakfelds in diesem verloren geht, wären die anschließenden Auswirkungen nicht mehr nanotechnisch, sondern schon mit dem bloßen Auge erkennbar.