Virulenz des neuen Grippevirus hat Potenzial zu einer Pandemie

Nach einer vorläufigen Analyse ist der A(H1N1)-Virus nicht so gefährlich wie der Erreger der Spanischen Grippe (1918), aber er könnte dem der Asiatischen Grippe (1957) gleichkommen

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Britische und mexikanische Wissenschaftler haben eine erste Analyse des neuen Grippevirus A(H1N1) auf der Grundlage der verfügbaren Daten aus Mexiko, der weltweiten Verbreitung und der genetischen Informationen vorgelegt. Um wirklich beurteilen zu können, welches Pandemiepotenzial der Virus hat, sei aber die Datenmenge noch zu gering. Trotzdem gehen die Wissenschaftler davon aus, wie sie in dem von Science vorveröffentlichten Artikel "Pandemic Potential of a Novel Strain of Influenza A (H1N1): Early Findings" schreiben, dass der Erreger war weniger gefährlich zu sein scheint als der Virus, der die Spanische Grippe 1918 verursacht hat, aber mit dem der Asiatischen Grippe von 1957/1858 vergleichbar zu sein, der zwischen einer und vier Millionen Menschen zu Opfer fielen.

Die Wissenschaftler unterstützen die Entscheidung der WHO, die Warnstufe 5 ausgerufen zu haben. Neil Ferguson vom Imperial College London, der Leitautor der Studie, erklärte, die Daten würden nahelegen, dass die Ausbreitung der Grippe den Pandemien des 20. Jahrhunderts gleich kommen könne, "aber zu diesem Zeitpunkt ist die Quantifizierung der Folgen für den Menschen noch sehr schwierig". Die Vorlage der ersten Bewertung sei jedoch wichtig, um politische Entscheidungen in einzelnen Ländern begründen zu können.

Bis Ende April wurden nach den Schätzungen der Wissenschaftler zwischen 6000 und 32000 Menschen infiziert. Zwischen 0,3 und 1,5 Prozent der Infizierten seien daran gestorben. Geht man nur von den Todesfällen aus, bei denen die Infektion mit dem A(H1N1)-Virus bestätigt wurde, sinkt die Letalität auf nur 0.03-0,05 Prozent. Ausgegangen sei die Grippe vermutlich von dem Dorf La Gloria in Veracruz, wo zwischen Mitte Februar und Mitte April die Hälfte der Bewohner (61 Prozent der unter 15-Jährigen, 29 Prozent der Älteren) an akuten Atemwegsinfektionen erkrankt waren. Gestorben ist an dieser Infektion in dem Dorf aber niemand.

Die Virulenz des neuen Erregers, also die Zahl der Menschen, die ein Infizierter ansteckt, schätzen die Wissenschaftler auf 1,4-1,6, wenn man von dem Ursprung Mitte Februar ausgeht, nach der genetischen Analyse liege sie bei 1,2. Das stimme mit den 14-73 Generationen der Mensch-zu.Mensch-Übertragungen auf, die sich in Mexiko bis Ende April ereignet haben. Damit wäre die Ansteckungsgefahr höher als bei der jährlichen Grippe. In La Gloria lag das Ansteckungsrisiko allerdings bei 2,13, so dass es hier mit dem früherer Pandemien vergleichbar oder sogar höher wäre. Die Pandemien von 1918, 1957 und 1968 hatten eine Virulenz zwischen 1,4 und 2.

Die Wissenschaftler weisen auf die zahlreichen Ungenauigkeiten hin, die eine wirkliche Beurteilung derzeit noch schwierig machen. So ist weder die Inkubationszeit noch die Länge der Infektion bekannt. Unsicherheit herrscht auch darüber, wie schwer die Infektion ist und welche regionalen Unterschiede es gibt. Man könnte die weitere Verbreitung der Grippe nur sehr schwer vorhersagen, möglicherweise habe die Jahreszeit in Europa und Nordamerika die Verbreitung eingeschränkt.