Vom Betrüger zum Wohltäter

Eine einzige Mutation sorgt bei Bakterien für die Wandlung von Saulus in Paulus

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Die im Boden lebenden Myxobakterien verhalten sich kooperativ und sichern dadurch ihr Überleben. Eine Art von ihnen kennt aber auch Schmarotzer, manche Stämme nutzen die anderen nur aus, sie profitieren vom Sozialverhalten, tragen aber nichts zur Gemeinschaft bei. Aber auch diese Betrüger können resozialisiert werden - und dafür genügt eine einzige Mutation, wie Forscher jetzt nachgewiesen haben.

Myxobakterien zeichnen sich besonders durch ihr hoch entwickeltes Sozialverhalten aus. Sie kooperieren bei der Jagd auf Beute und schwärmen gruppengesteuert (vgl. Evolution von Kooperation in einer Petri-Schale).

Am besten erforscht ist die Art Myxococcus xanthus, ein in den oberen Schichten des Erdbodens lebendes und räuberisches Bakterium, das sich von einer großen Bandbreite anderer Mikroorganismen, darunter Bakterien, Hefen und Pilze, ernährt. Und sie schließen sich in einer Anzahl von Hunderttausend Individuen durch das Aussenden von biochemischen Signalen (vgl. Kommunizieren Bakterien auch über die Luft?) in Zeiten der Not zu einem Fruchtkörper zusammen und bilden Zellen aus runden, stress-resistente Sporen. So können sie Hungerzeiten überdauern und sichern gemeinsam das Überleben ihrer Art.

Fruchtkörper von Myxococcus xanthus. Bild: Jürgen Berger und Supriya Kadam/Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie

Die Art überlebt, den Individuen kostet dieses Verfahren aber das Leben. Und nicht jeder kann sich dabei fortpflanzen, für einige stellt es rein altruistischen Selbstmord dar. In den letzten Jahren konnten Wissenschaftler beobachten, dass einige Stämme sich der Zusammenarbeit entziehen, denn es gelingt nicht allen, Botenstoffe auszuschütten, aber durch die Hilfe der anderen können sie dennoch höchst effektiv Sporen bilden. Diese Egoisten nutzen die anderen aus und sind auf deren Kosten umso erfolgreicher.

Die Folge: Wenn eine Population aus kooperierenden und derartig betrügerischen Bakterien mehrmals hintereinander Mangelzeiten durchlebt, gewinnen die Betrüger zunehmend die Oberhand – bis immer weniger selbstlos agierende Bakterien übrig sind, die das Signal zur Formung eines Fruchtkörper aussenden. In vielen Fällen stirbt die Population dann während der nächsten Hungerperiode aus. Biologen bezeichnen diesen Prozess als evolutionären Selbstmord (vgl.Von den Ursprüngen der Kooperation und des Betrugs).

Resozialisierung

Im Wissenschaftsmagazin Nature stellen jetzt Francesca Fiegna und Kollegen vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen einen betrügerischer Stamm von Myxococcus xanthus vor, der durch eine Mutation wieder soziales Verhalten entwickelte, ehe er seine Gesellschaft zugrunde gerichtet hatte (Evolution of an obligate social cheater to a superior cooperator). Sie benannten den Bakterienstamm nach dem legendären, sich im Feuer erneuernden Vogel Phönix.

Die Forscher entdeckten, dass ein betrügerischer Stamm im Labor über mehrere Zyklen von Nahrungsknappheit und -überfluss rasch die Oberhand über die kooperierenden Bakterien gewann und das Aussterben kurz bevor stand. Aber plötzlich erschienen wieder Sporen – der Phönix-Stamm hatte seine Fähigkeit zur Kooperation wieder entdeckt.

Evolution sozialen Schwärmens bei Bakterien. Wildtypen des Bodenbakteriums Myxococcus xanthus (oben, Mitte) schwärmen gemeinsam auf weichem Nährboden, während ihre nicht-sozialen Mutanten (in 5 Uhr- und 10 Uhr-Position), diese Fähigkeit verloren haben. Zwei Stämme haben die Fähigkeit zum sozialen Schwärmen wieder neu evolviert (in 3 Uhr- und 8 Uhr-Position), allerdings mit anderen Mechanismen und Mustern als der Wildtyp. Bild: Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie

Das Team um Francesca Fiegna suchte nach der Ursache dieser Resozialisierung und fand eine einzige Mutation, die ausgereicht hatte, um den Bakterien das Überleben zu sichern. Der neue Stamm Phönix produziert größere Mengen des Enzyms Acetyltransferase als seine Vorfahren. Das Enzym aktiviert oder deaktiviert vermutlich bestimmte Gene. Was genau geschieht, ist noch unklar, aber die sprunghafte Veränderung des Erbguts führt in jedem Fall dazu, dass die Phönix-Myxobakterien wieder zusammenarbeiten und dabei mehr Sporen bilden als ihre durchgehend kooperierenden Vettern.

Nicht nur das: Phönix hat bei seinem Aufstieg aus der Asche auch gelernt, sich vor der Unterwanderung durch betrügerische Verwandte zu schützen. Und durch seine effektive Überlegenheit dominierte der neue Stamm bald die gesamte Population von Myxococcus xanthus in der Petri-Schale. Das soziale System hat also letztendlich vom Kontakt mit den Betrügern profitiert und gelernt, sich zu verbessern – zumindest in der experimentellen Evolution im Labor.