Vom Knast direkt ins Leichenhaus

In amerikanischen Gefängnissen kann eine Erkrankung der Todesstrafe gleichkommen.

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1976 hat der Oberste Gerichtshof der USA den Bundesstaaten auferlegt, dass sie für eine angemessene medizinische Versorgung ihrer Häftlinge sorgen müssen. Als Folge haben viele Haftanstalten die Gesundheitsversorgung an Privatunternehmen abgetreten – seither häufen sich die Skandale.

Die New York Times hat den Aufstieg des größten amerikanischen Gesundheitsunternehmens Prison Health Services über Jahre verfolgt. Die Ergebnisse sind ein Beispiel dafür, dass Privatisierung Dinge nicht unbedingt billiger macht, dafür aber ein enormes Risikopotenzial freisetzt.

Des einen Last ist des anderen Marktlücke

Was macht ein Staat, wenn ihm eine seiner Aufgaben zu sehr zur Last fällt? Er denkt ans Privatisieren. Denn private Firmen machen angeblich immer alles besser, sie sind flexibler und innovativer als schwerfällige Beamtenapparate – doch ist das tatsächlich so? Die New York Times hat die Entwicklung des größten amerikanischen Gesundheitsversorgers für Gefängnisse Prison Health Services (PHS) intensiv verfolgt. Seit über zehn Jahren zieht das Unternehmen kontinuierlich lukrative Aufträge an Land. Doch für erkrankte Häftlinge bedeutet das einen Service, der tödlich enden kann.

Der Öffentlichkeit bleibt das nicht vorenthalten: Richter, Angehörige sowie die staatliche Strafvollzugskommission (The State Commission of Correction) üben seit Jahren Kritik daran, wie PHS seine Aufgaben erfüllt. Das Unternehmen hat bereits Millionen an Geldstrafen bezahlt, trotzdem brummt das Geschäft. Immer noch ist PHS der größte private Gesundheitsversorger für US-Gefängnisse. Laut NYT hat sich das Unternehmen 86 Verträge in 28 Bundesstaaten an Land gezogen und kümmert sich derzeit um zirka 237.000 Insassen, das ist jeder 10. US-Häftling.

Sparen, sparen, sparen

Die Vorwürfe, die gegen PSH vorgebracht werden, lauten immer gleich: die Personalausstattung ist gering, die Beschäftigten sind schlecht qualifiziert, wichtige Medikamente werden nicht verschrieben, Ärzte ignorieren Krankenakten, Fehlverhalten bleibt unbestraft.

Die NYT weiß von Ärzten, die ihren Dienst per Telefon versehen, von Gefängnisapotheken, die so schlecht ausgestattet sind, dass selbst Standardmedikamente fehlen und von Krankenstationen, auf denen sogar Seife knapp ist. Und da gibt es den Ausspruch einer Krankenschwestern, die meint:

Wir sparen Geld, weil wir den Krankenwagen auslassen und die Leute direkt ins Leichenhaus schaffen.

Verdreifachung der Kosten

Natürlich haben die US-Behörden gute Gründe, sich der medizinischen Versorgung der Inhaftierten zu entledigen: Häftlinge sind in der Regel kranker und abhängiger von Alkohol und Drogen als der Rest der Bevölkerung. Vor allem Aids und Hepatitis haben sich in den vergangenen Jahren rapide in US-Zellenblocks ausgebreitet. Auch psychische Erkrankungen haben enorm zugenommen. In den vergangenen 10 Jahren haben sich die gesamten Ausgaben in den USA auf 5 Milliarden Dollar verdreifacht, 2 Milliarden davon entfallen auf die Behandlung von Aids und psychischen Krankheiten.

Wäre das nicht Anlass genug, die Haftbedingungen unter die Lupe zu nehmen? Nein. Offenbar verschwendet auch niemand einen Gedanken darauf, dass die meisten Gefangenen irgendwann das Gefängnis verlassen – zusammen mit allen Krankheiten, die unbehandelt blieben.

Dabeisein ist alles

Dass Privatunternehmen ausgerechnet dort einspringen, wo der Staat sich aus Kostengründen zurückzieht, gehört zu den Merkwürdigkeiten von Privatisierungen. Ebenso merkwürdig sind häufig auch die Angebote, die Firmen machen, um sich Aufträge zu sichern: Wie die NYT beobachtete, ist das Gros der Angebote bei Ausschreibungen von Haftanstalten völlig unrealistisch. Die meisten Bewerber machen sich offenbar erst nachdem sie den Vertrag in der Tasche haben, Gedanken darüber, wie sie ihr Geld verdienen. Kommt es später zu Pannen und Skandalen, wechselt man einfach das Unternehmen, was irgendwann damit endet, dass das alte Unternehmen doch wieder unter Vertrag genommen wird.

Von einem Knast zum andern…

Ein Zurück zur medizinischen Versorgung durch den Staat gibt es nicht. Auch wenn private Dienstleister wie PHS eben nur billiger sind, weil sie ihre Aufgaben schlecht erfüllen. Es hat sich eine Art Karusselstruktur etabliert: Firmen die sich einmal in diesem Segment breit gemacht haben, ziehen von Gefängnis zu Gefängnis: Wenn sie an einem Ort einen Vertrag verlieren, bekommen sie woanders einen neuen – zur Not über eine Tochterfirma, die schnell gegründet wird. Prison Health Services hat so alle Skandale überlebt, Klagen werden zügig geregelt, Kündigungen kommt man zuvor. Und natürlich wollen die Haftanstalten sich auch nicht zu laut beschweren. Das könnte schließlich Klagen von Häftlingen oder Angehörigen provozieren.

Außerdem könnte es sein, dass der Dienstleister, von dem man sich gerade getrennt hat, bei der nächsten Ausschreibung der einzige Bewerber ist. Wie die NYT sarkastisch bemerkt ist das eben so, „wenn Amateure mit Profis zu tun haben“. Und die breite Öffentlichkeit? Die medizinische Versorgung von Häftlinge spielt sich hinter verschlossenen Türen ab – geht etwas schief, hält sich der Aufschrei in Grenzen. Wer im Gefängnis sitzt, ist ja schließlich nicht umsonst dort.

Teilprivatisierungen auch in deutschen Haftanstalten

In Deutschland hat man viele Jahre abschätzig auf Amerika und seine privat betriebenen Gefängnisse herabgesehen und die Geschichten von Missbrauch und Korruption goutiert. Doch in Zeiten, in denen die öffentlichen Kassen leer und die Gefängnisse voll sind, verblasst der Schrecken. So wie es aussieht, wird das Jahr 2005 ein entscheidendes Jahr für den deutschen Strafvollzug: In mehreren Ländern stehen zumindest Teilprivatisierungen an. Mecklenburg-Vorpommern erarbeitet im Auftrag der norddeutschen Bundesländer ein Konzept zur Zusammenlegung der Gefängnisverwaltungen. Hessen setzt noch eins drauf und wird im Herbst die erste teilprivatisierte Haftanstalt in Betrieb nehmen. Dann wird der führende britische Gefängnisbetreiber Serco in der Justizvollzugsanstalt Hünfeld 40 Prozent der Aufgaben übernehmen und sich um Haustechnik, Küche, Gefangenentransport und soziale Betreuung kümmern (geplante Einsparung: 55.000 Euro pro Monat). Und in Berlin steht angeblich Vinci Deutschland, die Tochter eines französischen Konzerns, mit einem Konzept für die Teilprivatisierung von Berliner Gefängnissen bereit.

Dennoch: Ein voll privatisiertes Gefängnis wird es in Deutschland so bald nicht geben, das verhindert das Grundgesetz: Demnach gehört der Strafvollzug zu den hoheitlichen Aufgaben des Staates und es gibt Funktionen, die dürfen nur von Beamten erledigt werden.