Vom Narrativ-Kampf in Nahost zum Terror in Deutschland

Archivbild (Anti-Israel-Protest, Washington, 2017): Ted Eytan / CC BY-SA 2.0 Deed

Roger Waters zufolge beherrscht Israel den Info-Krieg in den USA. Ein US-Kriegsreporter behauptet das Gegenteil. Für Netanjahu droht Europa ein neuer Kampf gegen den Terror.

Sie sind als Nächstes dran, verstehen Sie das. Deutschland, Europa. Die Hamas ist Teil der Terrorachse des Iran, der Hisbollah, der Houthis und anderer. Und ihr Ziel ist es, zuerst den Nahen Osten und dann die Welt in ein Zeitalter der Barbarei zu führen, das dunkle Zeitalter des Mittelalters. (…)

Wenn der Nahe Osten fallen würde, wäre Europa als Nächstes dran, Sie wären als Nächstes dran. Wir stehen gerade an der Front unseres gemeinsamen Zivilisationskrieges gegen die Barbaren.

Benjamin Netanjahu, Bild-Zeitung, 29. 11. 2023

Antisemitismus-Diskussion überschattet eine zentrale Frage

Roger Waters hat in den vergangenen Jahren wohl mehr Schlagzeilen als Liedzeilen gemacht. Das Leben des Pink-Floyd-Mitgründers scheint sich zunehmend von der musikalischen auf die politische Bühne zu verlagern.

Dafür ist der 80-Jährige mehrfach massiv in die Kritik geraten. Zuletzt im November, als er in einem Gespräch mit Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald die Hintergründe des sogenannten Al-Aqsa-Sturms der Hamas auf Israel vom 7. Oktober in Zweifel zog.

Das Argument des erklärten Friedensaktivisten: Es fehle an vertrauenswürdigen Informationen.

Die von israelischer Seite vorgebrachten Beweise für ein Massaker an 1.400 Zivilisten zählte er nicht dazu. Kein Zweifel besteht für Waters anderseits daran, dass sich von Israel derzeit ein "Genozid" ausgeht.

Wie unter anderem das ZDF dokumentierte, befeuerte Waters damit erneut die Antisemitismus-Vorwürfe, die sich seit geraumer Zeit gegen den Musiker richten.

Erst vor Kurzem machte Waters wieder als mutmaßlicher Antisemit von sich reden, als sich der Unterstützer der anti-israelischen Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) empörte, bei seinen Konzerten in Chile selbst von der "Israel-Lobby" boykottiert zu werden.

Die Diskussion darüber, ob Waters Antisemit ist oder nicht, überschattet aber eine wichtige Frage, die sich im Nahost-Konflikt und in jedem anderen Krieg stellen muss.

Wer beherrscht das Narrativ?

Waters selbst hat 2016 in der Dokumentation The Occupation of The American Mind zusammen mit einschlägig bekannten Israel-Kritikern aus journalistischen und universitären Kreisen versucht, darauf eine Antwort zu geben.

Darin behaupten unter anderen der Linguist und Publizist Noam Chomsky oder Haaretz-Journalistin Amira Hass, dass die westlichen Medien – insbesondere aber die der USA – unter dem Einfluss israelischer Propaganda stünden.

Aber hat dieser Vorwurf – falls er das jemals hatte – heute noch Substanz? Denn die strategische Kommunikation spielt sich mehr denn je auf den sogenannten Sozialen Medien ab. Und dort hat die Hamas die Oberhand, heißt es von scheinbar berufener Seite.

Die USA – mächtig und leicht manipulierbar?

Es ist dieses eine Zitat des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu, das in "The Occupation of The American Mind", besagter Doku von 2016, besonders nachhallt:

Ich weiß, was Amerika ist. Amerika ist eine Sache, die man sehr leicht bewegen kann, in die richtige Richtung bewegen. Sie werden sich nicht in den Weg stellen.

Benjamin Netanjahu

Die Aussage stammt aus einem Privatvideo von 2001, das 2010 an die Öffentlichkeit gelangt ist und den Premier im Gespräch mit Opfern von Terror-Anschlägen zeigt. Im selben Video erklärt Netanjahu, dass er die Osloer Verträge, die eine Zwei-Staaten-Lösung unter Wahrung der Gebietsgrenzen von 1967 vorsehen, sehr freimütig zu interpretieren gedenkt.

"The Occupation of The American Mind" (im Folgenden "Occupation") zeichnet das Bild eines Israel, dass seine kolonialistischen Ambitionen mit der "Hasbara" (hebr. "Erklärung") verdeckt – einem "David-gegen-Goliath"-Narrativ, das einzelne militärische Aktionen zum einen als Verteidigung gegen unprovozierte Aggressionen sowie den gesamten Konflikt als moralischen Kampf von Gut gegen Böse zu inszenieren versucht. Zivilisiertes Leben gegen Terror.

Hasbara: Geht es um Land oder Terror?

Ohne hier auf die einzelnen Vorwürfe weiter einzugehen, lässt sich festhalten, dass der Film bestrebt ist, das eingangs entworfene Bild einer mächtigen "Israel-Lobby" in den USA zu vervollständigen.

Konsequenterweise kommt darin auch der Politikwissenschaftler Stephen Walt zu Wort, der gemeinsam mit seinem Kollegen John J. Mearsheimer das gleichnamige und umstrittene Buch ("The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy", 2007) verfasst hat – seinerzeit durchaus positiv rezensiert vom ehemaligen CIA-Veteran Michael Scheuer und dem einflussreichen US-Geopolitiker Zbigniew Brzezinski.

Als Anhaltspunkt dafür wird zum einen die (bis heute) enorm asymmetrische Finanzierung politischer Kampagnen durch eine Vielzahl israelischer Interessengruppen angeführt.

Zum anderen aber auch eine außer Konkurrenz stehende Einbeziehung beschlagener PR- und Propaganda-Experten zur Entwicklung der "Hasbara". Neben ihrem maßgeblichen Schöpfer, dem US-Werbemagnaten Carl Spielvogel sowie dessen Berufsgenossen Martin Fenton, zählt dazu vor allem der Landsmann Frank Luntz.

So bekannte Letzterer etwa in dem geleakten "Global Language Dictionary", das 2009 im Auftrag der NGO The Israel Project erstellt wurde und Empfehlungen zur strategischen Außendarstellung Israels aufführte, Folgendes:

Der Kampf dreht sich um Ideologie – nicht um Land; Terror, nicht um Territorium. Daher sollten Sie es vermeiden, Israels religiöse Ansprüche auf Land als Grund anzuführen, warum Israel kein Land aufgeben sollte. Solche Behauptungen lassen Israel für Menschen, die keine religiösen Christen oder Juden sind, nur extremistisch erscheinen.

The Israel Project’s Global Language Dictionary, 2009

Schließlich prangert "Occupation" auch den Antisemitismus-Vorwurf, mit dem sich nicht nur Sprecher Roger Waters, sondern kurioserweise auch die zahlreich zu Wort kommenden Menschen jüdischen Glaubens konfrontiert sehen, als bewusst gewählte Kommunikationsstrategie an.

Die Verächtlichmachung von Kritikern des politischen Israel als Antisemiten oder als von Selbsthass erfüllte Juden sei speziell vom ersten UN-Vertreter Israels, Abba Eban, verfestigt worden. Tatsächlich reicht sie aber zurück auf den Vater des politischen Zionismus, Theodor Herzl.

Haben sich heute jene unmissverständlich pro-palästinensischen und anti-zionistischen Positionen von "Occupation" durchgesetzt? Oder bahnt sich gerade ein anderes Narrativ den Weg an die Öffentlichkeit, das der "Obsession"?