Vom Plattenspieler zum Plattenspüler

Der Kult um die schwarzen PVC-Scheiben mit Loch in der Mitte hält an

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Eigentlich sind Langspielplatten recht umständlich zu handhaben. Doch nach all dem Ärger um den CD-Kopierschutz trauen die Musikliebhaber den neuen Formaten SACD und DVD-Audio nicht so recht über den Weg. Mancher mag auch einfach die Handhabung der alten mechanischen und analogen Technik.

Vor einigen Jahrzehnten teilten sich die Musikfans noch in Plattenhörer und Radiohörer. Der eine saß mit einem Stapel Singles vor dem Plattenspieler und legte alle drei Minuten eine neue Scheibe nach. Der andere kümmerte sich lieber um seine Freundin und ließ die musikalische Untermalung durch regelmäßiges Plattenauflegen den AFN erledigen. Einziger Nachteil: Die zur vollen Stunde gesendeten Nachrichten ließen an erotischer Ausstrahlung mitunter zu wünschen übrig.

Scheiben, alte Scheiben und wirklich alte Scheiben…(Bild: W.D. Roth)

Zur Abhilfe erfand die Musikbranche die Langspielplatte, die es immerhin auf 20 bis 25 Minuten Musikbegleitung brachte, bevor sie umgedreht werden musste. Damit konnte nun auch Ravels "Bolero" zum Einsatz kommen – die anschwellende Lautstärke verdeckt mögliche nicht von der Platte kommenden Nebengeräusche dezent – vorausgesetzt, die Platte bleibt nicht hängen. In diesem Fall wird die Dame den Herrn nämlich unbarmherzig aus dem Bett und zum versagenden Plattenspieler scheuchen, was die "Traumfrau" des gleichnamigen Films schnell zur Alptraumfrau mutieren ließ.

Plattenspieler "Audiomega Romance" – schaut aber nicht sehr romantisch aus…(Bild: W.D. Roth)

Erst die Einführung von Tonband und Kassetten entspannte die Lage: Nun konnte man sowohl Platten als auch Radio bändigen und sich seine Wunschmusik für alle Gelegenheiten zusammenstellen, die dann 45 Minuten am Stück spielte.

Heute im Zeitalter von CD und MP3 klingen diese Probleme geradezu prähistorisch: Schon der billigste CD-Spieler kennt "Autorepeat" und auch noch "Shuffle", damit es nicht gar so auffällt, wenn nach drei Stunden immer noch dieselbe CD läuft. Eine MP3-CD-ROM läuft sogar je nach Komprimierungsgrad acht bis 12 Stunden – das ist auch für Tantra mehr als genug.

Soviel kosteten die Platten nicht mal, als sie neu waren…(Bild: W.D. Roth)

Geht es um den reinen Musikgenuss, ist die alte Vinylscheibe – ein vornehmerer Ausdruck für die PVC-Platte – dagegen immer noch gefragt: Zwar ist ihre Bedienung deutlich unkomfortabler als der einer CD, sie leidet unter häufigem Abspielen oder einem Ausrutscher mit dem Tonarm, dessen Nadel zudem beim Abspielen ebenfalls altert, doch immerhin wird sie durch die reine Lagerung nicht schlechter, während Tonbänder und Kassetten nach 20 Jahren an Höhen verlieren, im Gerät quietschen, Bandsalat produzieren und fast unspielbar werden können.

Selten geblieben: Plattenspieler mit Tangential-Tonarm (Bild: W.D. Roth)

Tatsächlich hat eine selten gespielte Schallplatte auf einer Top-Anlage sogar einen der CD überlegenen Klang. In der täglichen Praxis, wenn die Scheibe wirklich gerne gehört wird, lässt sich dieser Vorsprung allerdings nicht halten: Es knackst und knistert. Dass gerade die edelsten Plattenspieler ohne Abdeckhaube auskommen müssen und so auch noch Staub in den Rillen landet und von der Abtastnadel beim nächsten Abspielen dort so festgetreten wird, dass selbst Karbonfiberbürsten ihn nicht mehr herausbekommen, ist dem Klang ebenfalls nicht zuträglich. Das gewöhnliche Staubtuch ist bei der Schallplatte sowieso fehl am Platz: Es befördert den Staub noch in die Rille, statt ihn daraus zu entfernen.

Auch eine Möglichkeit: Mitlaufende Plattenbürste bei T + A-Plattenspieler (Bild: W.D. Roth)

Eine Möglichkeit, das Problem zu lösen, war das Nassabspielen von Platten: "Lencoclean", prinzipiell Wasser mit etwas Alkohol und Spülmittel, wurde in die Rille gegeben. Damit löste sich der Staub und die Platte knisterte weniger. Doch mit dem Trocknen der Flüssigkeit setzte sich der Staub noch fester in die Rille und die Platte wurde von der Spezialflüssigkeit abhängig: Einmal nass abgespielt, immer nass abzuspielen. Gut für Lencoclean, schlecht fürs Portemonnaie.

Schick in Gold und Glas von Transrotor (Bild: W.D. Roth)

Heute gibt es Lencoclean längst nicht mehr und wer aus Nostalgie – oder auch, weil halt viele alte Aufnahmen nur auf Platte vorliegen – sich von den schwarzen Tonträgern nicht trennen will, muss nun mit dem Knistern vergangener Lencoclean-Alkoholexzesse leben. Auch die von Rauchern oder gar Partys auf den Platten hinterlassene Patina verschlechtert den Klang.

Hat der billige Partyplattenspieler die Rillen ausgefräst, so lässt sich natürlich nichts mehr retten. Auch Mittel wie "Discofilm" – ein mit Alkohol versetzter Kleister, den man auf der schwarzen Scheibe verteilte, trocknen ließ und dann mit Tesafilm wieder abzog, wobei er den Dreck aus den Rillen mit entfernte – sind kaum mehr im Handel und erzeugen auch neue Probleme, wenn der Film sich nicht vollständig von der Platte ablösen lässt.

Plattenwaschmaschine von Loricraft Audio, gesehen beim offline geklagten Rolf Kelch (Bild: W.D. Roth)

Großtechnische Lösungen wie ein Plattenstaubsauger sollten das Problem lösen, doch die Lärmentwicklung beleidigte die Ohren der highfidelen Kundschaft. Stattdessen gibt es inzwischen einige Plattenkehr- und -waschmaschinen. Für den Preis einer HiFi-Anlage können sie die alten Scheiben säubern. Für den, der sein halbes Wohnzimmer mit einst wohltönendem, doch nun verstaubtem PVC voll gestellt hat wie in John Cusacks Film "High Fidelity", der sich mit seinen schwarzen Scheiben übrigens auch wieder ein Frauenproblem einhandelte, kann sich die Investition jedoch lohnen.

Plattenvollwaschautomat "Flüsterbär" von Blue Danube – der naheliegendere Name "Saubär" war dem Hersteller dann doch zu gewagt… (Bild: W.D. Roth)