Vom Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus

Verwundert wird nun vom Bundesinnenminister Friedrich eingeräumt, dass der Rechtsterrorismus, für den es vor kurzem noch keine Hinweise gegeben haben soll, existiert

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Als Breivik in Norwegen auf seine Killertour ging und Dutzende von Jugendlichen exekutierte, war man sich weitgehend einig, dass es ein Einzeltäter ist, auch wenn sein Manifest Zeugnis von vielfältigen Nähen ablegte. Schön war die Begründung, warum die rechten islam- und ausländerfeindlichen Netzwerke nicht von den Verfassungsschutz beobachtet werden, der nun in den Fall der rechtsterroristischen Zelle verwickelt zu sein scheint.

Die Bundesregierung erklärte im September auf eine Kleine Anfrage, es gebe zwar eine "Reihe von deutschsprachigen Internet-Präsenzen mit islamkritischen, bisweilen auch islamfeindlichen Beiträgen", die aber "in ihrer Gesamtbetrachtung nicht die Schwelle einer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebung erreichen". Daher würden sie auch nicht systematisch vom Verfassungsschutz beobachtet. Erklärt werden islamkritische und -feindliche Äußerungen als "Ausdruck von Ängsten vor Überfremdung". Zu Politically Incorrect heißt es entsprechend, es sei bekannt, dass dort "Beiträge mit antiislamischen, teils auch rassistischen Inhalten eingestellt" würden, das geschehe aber nur in den Kommentaren und sei auch dort "die Ausnahme". PI bediene sich keiner "klassischen rechtsextremistischen Argumentationsmuster", rechtsextremistische Bestrebungen seien zumindest noch nicht festzustellen (Bundesregierung hat nach dem Massaker in Norwegen keine Probleme mit islamfeindlichen Gruppierungen).

Hans-Peter Friedrich. Bild: Henning Schacht. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Klassisch rechtsextremistisch war auch ein im Umfeld von PI und auf deren Website veröffentlichter und weiterhin nicht gelöschter Aufruf zum Widerstand, dessen Autor sich auch hinter Breiviks Terror als Fanal eines erwarteten oder erwünschten Bürgerkriegs stellte (Bundesregierung: "Tat und Täter weisen keine Bezüge nach Deutschland auf"). Ende Juli sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums noch: "Tat und Täter weisen nach derzeitigem Kenntnisstand keine Bezüge nach Deutschland auf." Man beobachte die rechte Szene intensiv, es gebe aber "keine Hinweise auf rechtsterroristische Aktivitäten". Daher war also keine Aufregung angesagt, lieber machte man dann ein Aussteigerprogramm für Linksextremisten (Neues Leben unter dieser Nummer) und beschwört weiterhin die Gefahr durch den islamistischen Terror.

Bei PI fühlt man sich zu Recht nun auch mit im Visier und versucht gleich einmal abzuwehren, dass die mörderischen Aktionen nur "wirrer Ausländerhaß oder Türkenhaß" seien, den man allerdings auch nicht zu selten selbst pflegt, aber kein Terror, vor allem kein Terror der Rechten. Als Grund wird genannt: "Es fehlen Bekennerschreiben, es fehlt die Propaganda, die per Definition zum Begriff 'Terror' gehört."

Dumm nur, dass die Gruppe offenbar daran dachte, sich mit ihren Taten zu brüsten und schon einmal eine DVD - ein "Märtyrervideo"? - produziert hatte, auf der sie, verniedlicht in einem Comic, als "Nationalsozialistischer Untergrund" auftritt und von einem "Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte" spricht. Geplant war offenbar auch eine weitere Anschlagsserie.

Zudem sind Angriffe oder Anschläge auf Ausländer, nicht auf irgendwelche Führungsfiguren, das Kennzeichen des rechten Terrors oder der rechten Mordbanden, die immerhin seit 1990 schon mehr als 130 Ausländer getötet haben, was die Bundesregierung jedoch nicht wahrhaben will. Auch der Anschlag auf dem Oktoberfest entsprach lange vor dem islamistischen Terrorismus diesem Stil, und wieder würde man auch heute gerne alles Einzeltätern oder einer isolierten Gruppe zuschreiben. Die "Kameradschaft Jena", der die Gruppe in den 1990er Jahren angehörte, pflegte den Hass auf die Linken, die Ausländer und den Multikulturalimus, was auch auch Breivik und die PI, die Freiheit sowie die ihr verwandten Gruppen und Parteien auszeichnet. Sie haben sich von einigen Bestandteilen der gestrigen Rechten entfernt, tragen aber die aggressive Ideologie weiter.

Dass nun just eine rechtsextremistische Terrorgruppe, die 1998 untergetaucht war, nachdem ihr Waffenarsenal aufgeflogen war, 13 Jahre lang ungestört Banküberfälle, Anschläge (Nagelbombe in Klein-Istanbul) und Morde am helllichten Tag vorwiegend gegen Türken ausüben und in Deutschland leben konnte, womöglich mit Ausweisen vom Verfassungsschutz ausgestattet und in Kontakt mit Spitzeln des Verfassungsschutzes stehend, wird nun auch vom Bundesinnenminister Friedrich (CSU) davon gesprochen, dass es sehr wohl einen "rechtsextremistischen Terror" in Deutschland gibt, den er noch vor kurzem leugnete. Man gibt sich bestürzt, natürlich war alles unvorstellbar und ist jetzt eine neue Dimension, was besonders bei jener Partei zu denken gibt, sich die Parole gegeben hat, dass es rechts von ihr keine andere Partei geben darf - und wenn, dann müsste sie, wie der bayerische Innenminister Hermann wieder betonte, verboten werden. Dass es dabei auch um die Nähe von Teilen des Verfassungsschutzes und der Polizei zu Rechtsextremen geht, will man lieber nicht thematisieren.

Bundeskanzlerin Merkel übte sich in Rhetorik und seltsamer Zurücknahme: "Wir müssen vermuten, dass es sich um Rechtsextremismus in schlimmster Form handelt. Und es ist beschämend, dass so etwas in unserem Land passiert." Es ist nicht nur zu vermuten, es handelt sich um Rechtsextremismus und beschämend ist eher, dass die Bundeskanzlerin nicht eingesteht, den Rechtsextremismus zu wenig beachtet zu haben. Immerhin erklärte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier, man müsse nun wie bei der RAF dafür sorgen, "dass nicht nur die Täter dingfest gemacht werden, sondern auch die Unterstützer- und Sympathisantenszene ins Visier der Ermittlungsbehörden kommt". Aber er machte eine Erklärung, die auch die bislang trotz der vielen Opfer gepflegte Verharmlosung offenbart: "Wir haben es hier mit einer Art von rechtsextremistischem Terrorismus zu tun, den wir bis vor wenigen Tagen noch nicht für möglich gehalten hätten."

Man darf gespannt sein, wie die Ermittlungen verlaufen werden, ob die Gruppe, zu der offensichtlich zumindest ein weiterer Mann aus Hannover gehörte, wirklich isoliert und nicht doch in ein Netzwerke eingebettet war, und aus welchen Gründen sie 13 Jahre lang unbehelligt von Polizei und Verfassungsschutz untertauchen, sich finanzieren und ihren Aktivitäten nachgehen konnten. Dass sich Beate Z. der Polizei stellte und nicht wieder untertauchte könnte sich ihrer Außenseiterrolle verdanken, aber auch dem Umstand, dass sie darauf hofft, aus ihren Kenntnissen Gewinn schlagen zu können, was Beziehungen zum Verfassungsschutz und zur Polizei betrifft.

Mysteriös bleibt, warum und wie die beiden Männer im Wohnwagen sich selbst getötet haben. Angeblich soll es einen Plan gegeben haben, sich selbst zu töten, wenn sie gefasst würden. Warum aber dann die Komplizin Beate Z. Spuren durch eine Explosion der gemeinsamen Wohnung vernichten sollte, bleibt schleierhaft.