Vom Schinken zum Volk

Die Fritz-Lang-Retrospektive auf der Berlinale hebt einmal mehr "Metropolis" auf das Podest

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Schon das Monokel brachte ihm Mißtrauen ein. Zudem war er pedantisch bis zur Schmerzgrenze. Fritz Lang hat in Starbiographien oft sein Fett abgekriegt. Doch der österreichische Regisseur trug seinen Ruf als nervtötender Pedant mit Würde. "Der Perfektionist weiß eben, was er will." Über seine Erfindung des Doktor Mabuse sagte er einmal: "Dr.Mabuse ist ein Spieler. Er spielt Karten, er spielt Roulette, er spielt mit Menschen. Er glaubt nicht an tiefe Gefühle." Ähnliches ließ Henry Fonda über seinen zweimaligen Regisseur verlautbaren: "Mit Fritz Lang war jede Zusammenarbeit unmöglich. Er war ein meisterhafter Puppenspieler, aber ohne jedes Gefühl, und er konnte sehr brutal sein." Wie immer seine Regie-Praktiken ausgesehen haben, ganz gefühllos kann er nicht gewesen sein, sonst sähe sein Werk sicher anders aus.

Ein weiteres Klischee hält sich hartnäckig: "Metropolis" sei, heißt es oft, Langs bedeutendster Film. Die Berlinale 2001 gibt Gelegenheit, da einiges zurechtzurücken. Die Fritz-Lang-Retrospektive umfasst die gesamte Karriere des 1976 verstorbenen Wieners, die in der Stummfilmzeit begann und im Jahre 1960 endete. "Metropolis", des jungen Regisseurs Mammut-Werk, war der erste hundertprozentige Science-Fiction-Film, Langs Zukunftsvision von einer abermodernen Stadt. Das Visuelle scheint ihm wichtiger gewesen zu sein, als der Inhalt, denn das Drehbuch überließ er seiner damaligen Frau, der späteren Nazi-Anhängern Thea von Harbour. Es war ein Großprojekt mit 17-monatiger Drehzeit, das die gesamte UFA in die Finanzkrise stürzte, ein Prestige-Werk, das zugleich noch die Welt erklären wollte. Nachträglich bekannte der Regisseur: "Ich hatte damals noch kein so ausgeprägtes politisches Bewußtsein." und "Ich hielt ihn für albern und dümmlich.". Die tumbe Botschaft "Mittler zwischen Hand und Hirn muß das Herz sein" und die dem nazistischen nicht abholden Grundtöne wären Lang später nie untergekommen. Dass der Film heute noch so hoch im Kurs steht, liegt an seinem marktschreierischen, wildgewordenen Expressionismus. Und daran, dass der Rest der Welt die Vergangenheit wohl nicht so gut ausgewertet hat, wie der Regisseur selbst. Lang ist ja nicht Riefenstahl. Bald hatte Lang jedenfalls "diese Schinken satt", und drehte "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", einen unverrückbaren unverwüstliches Wegweiser für das Thrillergenre und zugleich dessen moralische Erhöhung. Es folgten das offen antifaschistische "Testament des Doctor Mabuse" und die erhöhten Schwierigkeiten mit den Nazis.

Nach Langs Flucht in die USA verpasste man ihm dort schon beim ersten Film eine Lehre. Als Lang als Hauptperson für "Fury" einen Anwalt erfunden hatte, machte ihn ein Produzent darauf aufmerksam, dass in Amerika ein Held aus dem Volk zu stammen habe. Der Regisseur mit dem preußischen Gehabe nahm es sich zu Herzen: "Film ist die Kunst des Volkes, für das Volk und aus dem Volk". Mit Bert Brecht schrieb er das Drehbuch zu seinem Anti-Nazi-Film "Hangmen also die", aber auch viele andere seiner amerikanischen Filme ("The Big Heat", "You only live once", "Man Hunt") richteten sich "gegen" etwas - Lynchjustiz, Todesstrafe, Rassismus. Die Qualität litt keineswegs unter Langs Sendungsbewußtsein. Mit großartiger Geste präsentiert die Berlinale nun dieses Jahr eine restaurierte Fassung des fulminanten "Metropolis". Das ist zwar erfreulich. Doch sollte es keine Fußnote, sondern ein Eintrag hinter die vereinigten Ohren von George Lucas, Spielberg, Emmerich und Cameron sein, dass sich Fritz Lang schon kurz nach "Metropolis", wenn schon nicht vom sturen Perfektionismus, so doch vom metropolischen Größenwahn verabschiedet hat.