Vom Weltmarktführer zum Auslaufmodell: Der tiefe Fall der deutschen Autoindustrie
Die deutsche Autoindustrie kämpft ums Überleben. Jahrzehntelang Weltmarktführer, gerät das Erfolgsmodell nun massiv unter Druck. Gelingt der Wandel?
Der Automobilmarkt hat sich in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten grundlegend verändert. Die Produktion hat sich zunehmend nach Asien verlagert, allen voran nach China. Im vergangenen Jahr wurden bereits fast 60 Prozent aller Autos in Asien gebaut und fast 50 Prozent auch dort verkauft, so eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
Deutsches Erfolgsmodell "Globalisierung" gerät unter Druck
Von dieser Entwicklung konnte die deutsche Automobilindustrie – im Gegensatz zu ihren westeuropäischen Wettbewerbern – lange profitieren. Zwischen 2000 und 2017 ist die Fahrzeugproduktion in Deutschland deutlich gewachsen. Der Schlüssel dafür war das besondere Geschäftsmodell der Branche, erklärt IW-Ökonom Thomas Puls. Dieses basierte auf zwei Säulen: der aktiven Globalisierung von Produktion und Absatz sowie der Dominanz im Premiumsegment.
Diese Strategie ermöglichte es, hochpreisige Fahrzeuge in deutschen Werken für den Weltmarkt zu produzieren und zu exportieren. Gut 75 Prozent der 2023 in Deutschland gebauten Autos wurden im Ausland verkauft, davon rund 40 Prozent interkontinental. China hat Deutschland 2018 als wichtigsten Produktionsstandort der deutschen Hersteller abgelöst.
Das erfolgreiche Exportmodell ist ins Wanken geraten, was laut IW-Studie bereits ab 2018 zu deutlichen Produktionsverlusten führte. Die Pkw-Produktion lag 2023 wieder auf dem Niveau von 1985, der Export auf dem von 1998. "Die größte Gefahr stellt dabei nicht der Technologiewandel hin zum elektrifizierten Antriebsstrang dar", betont Studienautor Puls. Schwerer wiege die Bedrohung der beiden Säulen des deutschen Geschäftsmodells.
Neue Herausforderer greifen Premiumsegment an
Nach China war Deutschland 2023 zwar noch der zweitgrößte Produzent von Elektrofahrzeugen, knapp vor den USA. Doch ohne die Fertigung von Elektroautos läge die deutsche Produktion nur auf dem Niveau von 1966. Trotz der im internationalen Vergleich fortgeschrittenen Umstellung dürfe dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Technologiewandel die Tür für neue Herausforderer geöffnet habe, warnt der IW-Ökonom.
Diese beginnen laut Puls, die deutschen Hersteller in ihren Kernmärkten anzugreifen – mit Erfolg. Vor allem in China setzen die neuen Wettbewerber die Platzhirsche mit Elektroautos auch im Premiumsegment unter Druck. "Damit verlieren die deutschen Hersteller derzeit spürbar Absatzvolumina im wichtigsten Absatzmarkt", analysiert der Automobilexperte. Das gehe auch zulasten der Exporte aus Deutschland.
Freier Handel in Gefahr
Hinzu kommt ein Trend zur Deglobalisierung. Protektionistische Maßnahmen gegen den Import von Fahrzeugen haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Nach Daten von Global Trade Alert, auf die sich die Studie stützt, führen die USA und China die Liste der Länder mit den meisten neuen Handelshemmnissen an. Für den exportabhängigen Standort Deutschland sind dies schlechte Nachrichten.
In der Summe bedeuten die globalen Entwicklungen laut IW, dass die Automobilindustrie in Deutschland mittelfristig eher schrumpfen als wachsen wird. "Wie stark die Verluste ausfallen, wird stark daran hängen, ob es gelingt, das erfolgreiche Geschäftsmodell weiterzuführen", konstatiert Puls. Dies erfordere weiterhin hohe Ausgaben der Unternehmen in die Forschung.
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Auch die Politik müsse die Branche unterstützen, etwa durch die Senkung der Energiekosten, den Ausbau der Batteriezellfertigung und der öffentlichen Ladeinfrastruktur für E-Autos sowie die Verteidigung des Freihandels. Es gehe um nicht weniger als die Zukunft einer industriellen Schlüsselbranche in Deutschland, betont der IW-Ökonom.
Verschiebung der Forschungsschwerpunkte
Die Patentdaten belegen demnach, dass die deutschen Hersteller und Zulieferer ihre Forschung bereits konsequent auf Zukunftstechnologien ausgerichtet haben. Der Anteil des elektrifizierten Antriebsstrangs an den internationalen Patentanmeldungen steigt seit Jahren kontinuierlich an.
Mit fast 45 Prozent aller Patentanmeldungen zum Thema Batterie prägt der chinesische Zellhersteller CATL die hiesige Forschungslandschaft. Die deutschen Patente verteilen sich dagegen über den gesamten elektrifizierten Antriebsstrang.
Trotz aller Anstrengungen: Nur mit einem klaren Technologievorsprung gegenüber dem Wettbewerb kann das auf Premiumfahrzeuge ausgerichtete Geschäftsmodell aufrechterhalten werden. Der Verlust dieses Segments würde zu erheblichen Kapazitätsanpassungen in den deutschen Werken führen. Bei den Zulieferern habe dieser Prozess angesichts wegbrechender Stückzahlen bereits begonnen.
Kfz-Branche trägt Industriestandort Deutschland
Die Folgen für den Industriestandort wären enorm. Nach Berechnungen des IW ist die volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie weitaus größer als offiziell ausgewiesen. Ihr Anteil an der Bruttowertschöpfung sei in Wirklichkeit doppelt so hoch wie statistisch erfasst, bei der Beschäftigung sogar noch höher.
"Etwa ab dem Jahr 2000 war die Automobilindustrie der größte Wachstumstreiber im Verarbeitenden Gewerbe", resümiert IW-Ökonom Puls. Während des langen Aufschwungs trug sie zeitweise 34 Prozent zum Wachstum der Industrie bei. 2019 war sie aber auch maßgeblich für die einsetzende Rezession verantwortlich. Ihr Schicksal prägt damit die gesamtwirtschaftliche Entwicklung entscheidend mit.
Eine Trendwende ist vorerst nicht in Sicht. Die Auslastung der Werke lag 2023 im Durchschnitt unter 70 Prozent, in vielen Werken deutlich darunter. Mit dem Ford-Werk in Saarlouis soll zum zweiten Mal seit der Jahrtausendwende ein großes Werk in Deutschland geschlossen werden. Sollte es nicht gelingen, die Absatzmärkte zu sichern, dürften weitere Standorte auf der Kippe stehen.