Von Afghanistan bis zur Ukraine: Wie die westliche Geostrategie gescheitert ist

Seite 2: 3. Kriegsverbrechen

Dort, wo finanzielle und militärische Anreize nicht weiterhalfen, setzten die Invasoren massivste Gewalt ein. Kriegsverbrechen waren ein zentraler Bestandteil der Militärstrategie (Feroz 2021).

Die begangenen Verbrechen reichen von illegalen Exekutionen, Entführungen und Folter bis hin zur gezielten Zerbombung ziviler Strukturen, Stichwort: Drohnen-Krieg. Einen bedeutenden Anteil übernahmen dabei ausländische Söldner, Milizen der Warlords wie die von Dostum (Salimi-Asl 2021) sowie westliche Geheimkommandos (Fähnders 2020). (Was wissen wir eigentlich wirklich über die Einsätze des deutschen Kommandos Spezialkräfte, KSK, in Afghanistan?)

Hunger als Waffe

Eine klare Handlungsmaxime des Westens war es, Hilfslieferungen an politische Gefolgschaft zu koppeln. Gemeinschaften, die nicht kooperierten, erhielten keine lebensnotwendigen Güter wie Treibstoff, Dünger, medizinische Güter oder Nahrungsmittel. Auch die medizinische Versorgung feindlicher Kämpfer wurde unterbunden. Viele westliche NGOs hielten sich an diese Vorgaben.

Direkte Folge war und ist ein umfassender Hunger in Süden des Landes. Dort waren immer mindestens 30 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Insbesondere durch die Versorgung der Städte über die internationalen Märkte verhinderte der Westen eine völlige Eskalation der Hungersnot.

Ein funktionsfähiger Agrarsektor konnte sich jedoch nicht etablieren. Nachdem Afghanistan 2021 fluchtartig aufgegeben wurde, brach die Landwirtschaft endgültig zusammen und ein ganzes Land (ver-)hungert.

Die anhaltende Gewalt als auch die Destabilisierung durch Hunger führten dazu, dass Afghanistan sich nicht entwickeln konnte. Es war vor der Invasion eines der ärmsten Länder der Welt und ist es auch jetzt immer noch (vgl. Tabelle). Alle Nachbarstaaten, selbst die, die keine Aufbauhilfen vom Westen erhielten, entwickelten sich besser. Mit der derzeitigen Hungersnot verschlechtert sich die Situation drastisch.

Die verbrecherische Politik des Aushungerns wird auch nach dem Abzug der Truppen fortgesetzt. Kriegstrommler wie Julian Pahlke (B90/Grüne) werben offen dafür, "ganz grundsätzlich mit den Taliban nicht zu verhandeln. (…) Es darf keine Anerkennung geben. (…) Unter gar keinen Umständen dürfen wir in das politische System der Taliban investieren" (Salimi-Asl 2022).

Diese imperialistische und pseudohumane Haltung bezeichnet der Philosoph Achille Mbembé sehr pointiert als "Necropolitics" (Mbembé und Meintjes 2003). Der Souverän, sprich der Westen, entscheidet, wer Hilfe bekommt und wer verhungert.

Die Unterstützung der USA, die der afghanischen Zentralbank sieben Milliarden US-Dollar raubten, um sie den US-amerikanischen Opfern des 11. September zuzuführen, ist Menschen wie Herrn Pahlke gewiss (Wichmann 2022).

4. Isolation Afghanistans

Der Westen verhinderte aktiv die Integration Afghanistans in regionale Politik- und Wirtschaftsbündnisse. Auf "internationalen" Konferenzen wie dem Petersburger Dialog dominierten die USA und einige europäische Mittelmächte. Staaten aus der Region waren entweder gar nicht geladen oder hatten nur Beobachterstatus.

Eine gemeinsame Strategie mit den afghanischen Nachbarn hat es nie gegeben. Insbesondere die Frontstellungen zu China, Russland und Iran verhinderten jede Kooperation.

Diese Politik führte zu einer wirtschaftlichen Abkopplung von den Weltmärkten. Afghanistan war nicht mehr Teil der Globalisierung. Die Bevölkerung wurde zu Gefangenen eines Landes mit den weltweit schlechtesten Möglichkeiten zur Ein- und Ausreise (vgl. Tabelle, Passport-Index).

Für Afghanistan waren die Auswirkungen ökonomisch katastrophal. Infrastrukturell (preis-)günstige und politisch-administrativ abgesicherte Zugänge zu den Märkten der Nachbarländer sind de facto inexistent. Vornehmlich der Anschluss an die Neue Seidenstraße wurde verhindert.

Infolgedessen verbindet die chinesische Infrastruktur alle innerasiatischen Volkswirtschaften miteinander – außer Afghanistan. Die politische, logistische und wirtschaftliche Isolation ist einer der Hauptgründe für die ausbleibenden (internationalen) Investitionen sowie der ökonomischen Stagnation.

Vollkommen gescheitert ist auch der Versuch einen stabilen bzw. durchsetzungsfähigen Staat zu schaffen – von "politischer Stabilität", "Rechtsherrschaft" und Demokratisierung und ganz zu schweigen. In Bezug auf die "Regierungsarbeit" liegt Afghanistan nach 20 Jahren "Aufbauarbeit" des Westens bestenfalls auf dem Niveau Turkmenistans.