Von Afghanistan bis zur Ukraine: Wie die westliche Geostrategie gescheitert ist

Seite 3: Die Rolle von Eliten und NGOs

Die Fehlentwicklungen in Afghanistan konnten sich so lange erhalten, weil viele Akteure vom ewigen Krieg profitierten. An dieser Stelle seien zwei Wichtige zu nennen, die meist nicht betrachtet werden.

Einerseits waren die geförderten afghanischen Eliten Teil der afghanischen Drogen- und Kriegswirtschaft. Ihr Wohlstand, ihre Bildung, ihre gesellschaftliche Stellung und damit auch ihr Einfluss bauten auf struktureller Gewalt und Korruption auf. Sie akzeptierten die Verbrechen an ihrem Volk nicht nur – sie profitierten sogar davon.

Zur Anpassung gehörte natürlich auch, öffentlich Korruption zu brandmarken, und sich medial für die Menschen- und besonders die Frauenrechte einzusetzen. Selbstverständlich schwingt bei ihnen immer die Forderung nach neuen Kriegseinsätzen mit.

Diese "Mittelschichten" waren Kriegspartei. Alle Verbrechen und Deformationen sind auch ihre Schuld. Was sie natürlich vehement abstreiten. Ein prägnantes Beispiel sind die vom Spiegel veröffentlichten "Kabul Diary's" von Sima Samar.

Laut biografischer Angaben ist sie seit 2002 von Karzai berufene Leiterin der Afghanischen Menschenrechtskommission. Der Kommission steht sie laut Spiegel bis heute vor. Die Taliban lösten die Kommission nach der Machtübernahme auf. Finanziert vom Westen und ohne staatliche Legitimation macht diese weiter. Hauptbotschaft: Die Taliban müssen weg.

Andererseits blieben auch die westlichen Hilfsorganisationen nicht unschuldig. Wer Geld und Schutz der Nato-Staaten sowie wichtiger afghanischer Akteure wollte, kooperierte. Nur wenige blieben unabhängig oder gingen weg aus Afghanistan. Bis heute sind die meisten Hilfsorganisationen nicht Willens, ihren Beitrag zu 20 Jahren Krieg kritisch zu untersuchen (Schultz 2016).

Ein wichtiger Grund, warum es in der deutschen Zivilgesellschaft keine lautstarke Opposition zum Krieg gab. Man teilte die Ziele und letztlich auch die Wahl der Mittel. Wenn aber die Geopolitik die zivile Konfliktregulierung konterkariert, verkommen die NGOs zur Kriegspartei (Kurtenbach 2003).

Konsequenterweise fragen viele Friedens- und Konfliktforscher nicht, wie der Krieg zu verhindern gewesen wäre, sondern wie man ihn besser führen könnte. Die Aufarbeitung soll nicht der Abschaffung des Instruments dienen, sondern seiner Verbesserung.

Schlussfolgerungen für die Ukraine-Politik

In der Ukraine wiederholen sich wesentliche Elemente der afghanischen Tragödie: Aufrüstung eines Armenhauses (Kleinwächter 2022b), Geostrategie gegen die meisten der Nachbarstaaten, Überschwemmung des Landes mit Waffen, (militärische) Unterstützung substaatlicher Gewaltakteure, Einsatz von Kriegsverbrechen als Machtinstrument, Duldung massivster Kriminalität, politische und wirtschaftliche Isolation der Volkswirtschaft, Verhinderung regionaler Sicherheitsstrukturen …

Man muss dem ukrainischen Volk wünschen, dass es nicht Jahre oder Jahrzehnte dauert, bis diese Politik scheitert. Die Forderungen der Friedensbewegung nach Waffenstillstand und Neutralität der Ukraine, eingebettet in eine neue europäische Sicherheitsarchitektur, sind vernünftig (Kleinwächter 2022a).

Aber die derzeitigen Aussichten sind problematisch. Wie in Afghanistan betreiben Hardliner eine Ideologisierung des Konfliktes, stilisieren ihn hoch zum Systemkampf "Gut gegen Böse". Rationale Argumente oder gar friedliche Kooperation sollen keinen Platz haben.

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei stellte zum Afghanistan-Einsatz resigniert fest:

Auf der politisch-strategischen Ebene erlebte ich in Berlin und anderen Hauptstädten von Kabul bis Washington eine notorische Neigung zu Schönrednerei und Realitätsflucht sowie einen Mangel an ehrlicher Wirkungsorientierung. Das zeigte sich in einer durchgängigen Abwehrhaltung gegenüber Warnungen von Afghanistankundigen. Forderungen nach selbstkritischer Bilanzierung und Evaluierung des Einsatzes verpufften seit 2006. Im "Nebel des Einsatzes" fanden wohl Lernprozesse auf der taktischen und operativen Ebene statt. Auf der politisch-strategischen Ebene sind mir solche jedoch nicht begegnet.

Nachtwei, 2021

Kai Kleinwächter arbeitet als selbstständiger Dozent (Themen: Volkswirtschaftslehre, Marketing, Unternehmensführung). Derzeit studiert er Politikwissenschaft / Geografie auf Lehramt an der Universität Potsdam. Er ist Mitarbeiter der Redaktion von WeltTrends – Das außenpolitische Journal. Ebenfalls bloggt der Autor auf seiner Homepage zeitgedanken.blog. ORCID-Number: 0000-0002-3927-6245.