Von Alptraum zu Alptraum

Irak, von innen

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Sein Name war wie eine Formel für eine neue Art der Berichterstattung aus einem Land, das vom Krieg heimgesucht wird: Salam Pax. Dass sich die US-Invasion heute zum dritten Mal jährt (vgl. "Wir befinden uns in einem Chaos"), ist ihm keinen Eintrag wert.

Dass der Irak-Krieg auch über Medien geführt wird (vgl. Intensiv-Bebilderung zwischen Hollywood und Bagdad?), war den meisten schon vor den ersten Shock and Awe-Angriffswellen klar (vgl. Der Tag X), doch hatten wohl nur wenige damit gerechnet, dass mit diesem Krieg eine neue Spezies von Nachrichtenproduzenten und -quellen von der Öffentlichkeit entdeckt werden würde: die Blogs zum Irak-Krieg. Der weltweit berühmteste Irak-Blogger dürfte nach wie vor Salam Pax sein.

Gebloggt hatte Salam Pax schon vor der Invasion, doch weit über Insiderkreise hinaus bekannt, wurde er mit seinen Posts aus Bagdad, als die amerikanischen Angriffe begannen (vgl. Unabhängige Irakberichterstattung online). Die damals so häufig gestellte Frage, ob es ihn überhaupt gibt (vgl. "Ist Salam Pax real, schweigt er oder ist er tot?"), ist von ihm seither mit deutlichen Lebenszeichen beantwortet worden. So verfasste Salam Pax mehrere Mal Blog-Posts als Artikel für den britischen Guardian und veröffentlichte einen internationalen Bestseller: The Bagdad Blog.

Eine kleine Ironie am Rande: In der Woche, in der sich die amerikanische Invasion des Irak zum dritten Mal jährt, tourt Salam Pax durch die USA. In San José wird er diese Woche vor amerikanischem Publikum über seine Bloggeraktivitäten sprechen - und wahrscheinlich auch über seine Lageeinschätzung der chaotischen Verhältnisse in seinem Heimatland 2006. In seinem neuen Blog ist davon nichts zu lesen.

Auch für seinen Freund und ehemaligen Co-Blogger, „Where is Raed? “- Raed Jarrar, ist der heutige Tag keinen Eintrag wert. Raed ist mittlerweile US-Bürger, was dem scharfen Kritiker der amerikanischen Politik im Irak sehr harsche Kommentare seitens seiner neuen Mitbürger einbrachte, die sogar das FBI einschalteten.

Raed Jarrar scheint die Ironie noch weiter zu treiben als sein Freund Salam Pax – er tourt (im Auftrag der UN) durch den „DritteWelt-Teil“ der USA, der nach der Hurrikan-Katastrophe im Sommer letzten Jahres weltöffentlich wurde. Mister Jarrar begutachtet dort die Wiederaufbau-Anstrengungen der Bush-Regierung auf amerikanischen Boden. Die Folgeschäden des Hurrikans Katrina kommentiert der Exiliraker mit den Worten: „I had never seen such a huge disaster in my life.“

Während Raeds Familie in ihrem Blog weiterhin regelmäßig über irakische Verhältnisse „on the ground“ berichtet, führen mittlerweile nicht wenige Links von irakischen Bloggern zu stillgelegten Webseiten; dafür werden im Portal Iraqblogcount immer neue Irak-Blogs gemeldet. Den Berühmtheitsgrad der Pioniere werden sie aber wohl nicht erreichen, zumindest nicht in der größeren Öffentlichkeit.

Zur klassischen Anfangsriege gehört Riverbend. Das Blog der Mittzwanzigerin heißt "Badgad Burning" und wird auch von großen Zeitungen gerne als authentische (und kluge) Stimme aus dem Irak zitiert. Riverbend postet unregelmäßig, ihre Beiträge sind oft in Alltagsgeschichten eingebettet, die sehr eindringlich zeigen, wie die Realität im neuen Irak aussieht; Riverbend ist eine scharfe Kritikerin der amerikanischen Politik im Irak, der Puppenregierungen, die von der Besatzungsmacht eingesetzt wurden und der religiösen Eiferer, der Islamisten, die im Zuge der Besatzung an die Macht kamen. Nach ihrer Auffassung ist drei Jahre nach der „Befreiung des Irak“ alles nur noch schlimmer geworden:

Drei Jahre später und die Alpträume der Bomben und von “Shock and Awe” haben sich zu einer anderen Art Alptraum weiterentwickelt. Der Unterschied zwischen heute und damals besteht darin, dass wir uns vor drei Jahren noch Sorgen um materielle Dinge machten, Besitz, Häuser, Autos, Elektrizität, Wasser, Benzin...Es ist schwierig zu definieren, was uns jetzt am meisten beunruhigt. Selbst die zynischsten Kriegskritiker konnten sich nicht vorstellen, dass das Land drei Jahre nach Kriegsausbruch in einem solch schlechten Zustand sein würde..Möge Allah uns vor dem vierten Jahr beschützen...
Ich glaube nicht, dass irgendjemand sich vor drei Jahren vorstellen konnte, dass die Situation heute so schlecht sein würde. Die letzten Wochen waren voller heftiger Spannungen. Ich hab genug davon, wir haben es alle satt.

Nicht nur beobachtet sie, dass es um die Stromversorgung schlechter denn je bestellt ist, die Sicherheitslage sich von „schlecht“ zu „noch schlechter“ verändert hat, die irakischen Kinder dieses Jahr noch weniger zur Schule gehen - seit einiger Zeit sei der normalen Not und dem normalen Horror im Irak eine neue Dimension hinzugefügt worden:

Die echte Angst betrifft die Mentalität, die viele Leute in letzter Zeit zeigen – der Spalt, der sich seinen Weg ins Innerste, zum Herzen des Landes gebahnt hat und die Bevölkerung aufspaltet. Es ist entmutigend, wenn man mit Bekannten spricht – gebildete, kluge, zivilisierte Leute – und hören muss, dass Sunniten so und so wären und Schiiten so und so...Leute zu beobachten, wie sie ihre Sachen packen und in ein „sunnitisches Wohnviertel“ oder in ein „schiitisches Wohnviertel“ ziehen...
Am meisten macht an der jetzigen Situation angst, dass die Diskriminierung, die sich an Gruppen orientiert, zu allgemein üblich geworden ist.

Für Riverbend, die sich wegen ihrer “Anti-US-Haltung” vom Lager der Befreiungsbefürworter immer wieder harte Kritik - "Baathist-Propaganda" einfing (zeitweise gab es sogar einen amerikanischen Gegenblog), ist der Bürgerkrieg vor allem für die Besatzer günstig:

Das ist sehr bequem fürs sie, glaube ich. Das ist alles ganz gut, wenn Iraker sich gegenseitig entführen und töten – dann nämlich können sie die neutrale, fremde Partei spielen, die versucht, Frieden zu propagieren und für Verständnis zwischen Menschen zu werben, die bis vor der Besatzung sehr friedvoll und verständnisvoll waren.

Kein Wunder also, dass der neue Traum vieler Iraker aus den besseren Schichten (nach dem guten Englisch der Bloggerin zu urteilen, dürfte sie dazu gehören) laut Riverbend jetzt heißt, das Land so bald wie möglich zu verlassen, um einen sicheren Hafen außerhalb zu finden.

Bemerkenswert ist, dass drei Jahre nach dem Beginn des Irakkriegs auch auf irakische Blogger, die den Amerikanern sehr aufgeschlossen gegenüber stehen und die Invasion eindeutig als Befreiung begrüßt und gefeiert haben, kein Verlass als reine „Good-News-Lieferanten“ mehr ist. So blickt auch der Verfasser von "IraqtheModel, die wegen ihrer „Pro-US-Haltung“ vom anderen Lager verdächtig wurden, für die CIA zu arbeiten (vgl. Omar und die Zähne des Präsidenten), in eine düstere irakische Zukunft. Hier ein protokolliertes Gespräch mit seinem Vater, ein Mann, der noch die Monarchie und die erste Republik im Irak erlebt hat und damit „dem Geist seiner Generation, die viele gegenwärtige Politiker stellt, sehr nahe steht und die inneren Konflikte besser verstehen kann“:

Ich: Wie werden wir gut aus dem Schlamassel herauskommen? Dad: Gar nicht.
Ich: Bist du sicher? Warum?
Dad: Menschen finden Lösungen nur, wenn sie es wollen und ich bin davon überzeugt, dass viele der politischen Mitspieler gar keine Lösung wollen.
Ich: Gibt es eine Möglichkeit, dass die Situation noch weiter eskaliert?
Dad: Sehr wahrscheinlich, ja. Wir leben in einem Staat/Zustand („State“), der mehr von Gefühlen geleitet wird als von der Vernunft, das bedeutet, dass es ein zerbrechlicher Staat/Zustand ist und jede emotionale Überreaktion kann das Blatt in die eine oder andere Richtung wenden.
Ich: Welche Herausforderungen können zu einer Verschlechterung führen?
Dad: Eigentlich alles...ein Mord-Anschlag auf einen Führer, eine Fatwa, ein Anschlag auf eine Moschee; wir haben keine Institutionen, welche die Effekte von ernsten emotional motivierten Reaktionen aufheben können..
Ich: Wird es wirklich keinen Raum für Politik geben?
Dad: Von welcher Politik sprichst du? Wir haben es mit tief verwurzelten Glaubenseinstellungen zu tun...Ja, in der Politik ist alles möglich, aber mit der Religion hast du es mit sehr wenigen Möglichkeiten zu tun, aus denen du wählen kannst und unser Volk hat in der Mehrheit für die Religiösen gestimmt.