Von Boko Haram in die Fänge der Mafia
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Nigerianische Frauen werden als Prostituierte nach Europa verschoben. Das Land destabilisiert sich von der Weltöffentlichkeit weitestgehend unbeachtet immer mehr
Seit Ende der 1990er Jahre ist bekannt, dass afrikanische - vorwiegend nigerianische - Frauen in Europa als Prostituierte arbeiten. Die Nigerianerin Joana Adesuwa Reiterer kam einem Händlerring auf die Schliche, und machte ihre schockierende Entdeckung vor etwa 10 Jahren öffentlich: Die betroffenen Frauen sind größtenteils Opfer brutalen Menschenhandels.
Seitdem hat sich das Land von der Weltöffentlichkeit weitestgehend unbeachtet mehr und mehr destabilisiert. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Sie werden in Camps für sogenannte Internally Displaced People (IDP) aufgefangen. Viele Frauen machen schon dort die Erfahrung, dass die immer zu knappen Hilfsgüter nicht einfach den Möglichkeiten entsprechend verteilt, sondern dass ihnen sexuelle Leistungen dafür abverlangt werden.
Die Schlepper, Männer wie Frauen, denen viele auf den Leim gehen, und die ihnen ein Leben wahlweise als Supermodel oder Putzfrau in Europa versprechen, gehören kriminellen Banden an, die sie in Europa, vor allem in Italien, aber zunehmend auch in Deutschland, zur Prostitution zwingen.
Der nigerianisch-italienische Frauenhandel
Laut der italienischen Organisation Progetto Integrazione Accoglienza Migranti (PIAM), die von einer Betroffenen, Princess Inyang Okokon, gegründet wurde und sich um die Frauen kümmert, gibt es den nigerianisch-italienischen Frauenhandel seit den 1980er Jahren. Damals seien Menschen aus Nigeria als Saisonarbeiter auf den Obst- und Gemüseplantagen angeworben worden. Die nigerianischen Männer hätten indes schnell begriffen, dass das Geschäft mit den Frauen leichter - und auch einträglicher - sei, als Tomaten zu pflücken. Laut PIAM sind seitdem etwa 30.000 nigerianische Frauen in Italien zur Prostitution gezwungen worden.
Im ersten Halbjahr 2016 kamen knapp 4.000 nigerianische Frauen mit den Flüchtlingstrecks nach Italien. Die International Organisation for Migration (IOM) der UN geht davon aus, dass etwa 80% von ihnen in Italien zur Prostitution gezwungen werden und dass dies entweder schon in Nigeria so geplant worden sei oder die Frauenhändler in den Flüchtlingslagern problemlos Opfer finden. Die IOM fordert daher, die nigerianischen Frauen von vorneherein als Menschenhandelsopfer zu behandeln und in speziellen Unterkünften einzuquartieren.
Manchen der betroffenen Frauen wurden schon als Mädchen sexualiserte Gewalt angetan, weil sie in die Fänge der islamischen Terrorgruppe Boko Haram geraten sind. Mit einem "Juju Schwur", Joana Adesuwa Reiterer übersetzt es mit "Voodoo", wird den Frauen die Angst vor den Menschenhändlern tief in die Seele gebrannt. Das hält sie von Beratungsstellen, wie z.B. die von Reiterer aufgebaute Exit, die Opfer von Frauenhandel berät, ab und bewahrt ihre Peiniger davor, dass die Mädchen gegen sie aussagen.
Die Ware Mensch
Laut Definition der Vereinten Nationen im Zusatzprotokoll zur Palermo-Konvention vom 15. November 2000 bedeutet Menschenhandel die Ausbeutung einer Person gegen ihren Willen durch eine andere Person mit Hilfe verschiedener Mittel, wie z. B. Androhung von Gewalt, Täuschung, Betrug oder Missbrauch etc. Das gilt für Menschen, die unter diesen Bedingungen außer Landes gebracht werden, aber auch für jene, die in ihrem Heimatland gewaltsam in Abhängigkeit gebracht werden, um deren Arbeitskraft oder ihre Körper auszubeuten.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem oben beschriebenen Menschenhandel und dem Menschenschmuggel. Letzterem geht es ausschließlich darum, Menschen illegal über Grenzen zu bringen. Doch wie Reiterer aufgedeckt hat, sind die Übergänge fließend.
Mit der Palermo Konvention wurde erstmals Prävention und Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK) in einem völkerrechtlichen Vertrag global geregelt und Rechtsgrundlagen für internationale Rechtshilfe, Auslieferung und Polizeikooperation geschaffen. Das kann aber nur wirksam werden, wenn es Zeugen gibt, die gegen die Hintermänner aussagen.
Doch genau das ist der springende Punkt: Die Betroffenen werden unter Druck gesetzt oder, wie oben beschrieben, mit Voodoo-Zauber eingeschüchtert, ihnen und ihren Familien in den Herkunftsländern wird gedroht. Dieser Druck, der auch mit roher Gewalt ausgeübt wird, bringt die Betroffenen zum Schweigen. Schwarze Magie ist in Afrika weit verbreitet.
"Zauberkräfte können allen Dingen innewohnen: Affenschädeln und Hühnerkrallen, wie sie auf dem Juju-Markt von Ibadan in Nigeria feilgeboten werden; Bäumen, Tieren und bestimmten Menschen. Sie können dem einzelnen nützen oder schaden", schreibt der Spiegel.
Einige betroffene Frauen schilderten den österreichischen Autorinnen des Buches "Ware Frau", Mary Kreutzer und Corinna Milborn sowie der deutschen Journalistin Inge Bell als Gastautorin, den Kult, dem sie in der nigerianischen Hafenstadt Benin City ausgesetzt wurden, bevor es auf die Reise in ein, wie sie hofften, besseres Leben in Europa ging. In diesen Schilderungen spielen häufig Hühnerkrallen und Tierblut, das auf die Betroffenen gespritzt wird, gepaart mit furchteinflößenden Gesten eine Rolle.
Menschenhandel auch im Baugewerbe, der Gastronomie und der Landwirtschaft
In der Sendung "Flucht in die Sklaverei: Wie die Mafia Migrantinnen in die Prostitution treibt" von Report München vom 16.1.2017 ist ein solches Ritual zu beobachten. Diese Rituale verfehlen ihre Wirkung nicht. Der Fluch holt die Frauen in den harmlosesten Situationen ein, etwa wenn sie sich versehentlich in den Finger schneiden, und erinnert sie an ihr Treue-Gelübde ihren Peinigern gegenüber. Menschenhandel hat viele Gesichter, Prostitution ist eines davon.
Darüber hinaus zählen das Baugewerbe, Fischerei, Gastronomie, Bergbau und Landwirtschaft zu den Branchen, in denen Menschen teilweise regelrecht versklavt werden. Außerdem besteht in wohlsituierten privaten Haushalten ein schier unstillbarer Bedarf nach billigen und willigen Arbeits- und Pflegekräften, die häufig in Kammern oder Kellern gesperrt werden, rund um die Uhr im Einsatz und den Launen ihrer "Herr- bzw. Frauschaft" ausgeliefert sind - und nicht selten auch der Lust des Hausherrn oder der heranwachsenden Söhne. Das gilt auch für die korrupten Eliten in sogenannten unterentwickelten Staaten.
Viele der Betroffenen ertragen ihr Los, weil es für sie die einzige Möglichkeit ist, überhaupt irgendwo und irgendwie Geld zu verdienen, mit dem sie ihre Familien im Herkunftsland unterstützen. Oft wurden ihnen ihre Pässe weggenommen, sie sprechen die Landessprache nicht, und ihnen sagt niemand, an wen sie sich wenden könnten, falls sie doch Hilfe in Anspruch nehmen möchten.
Vielen gilt die Polizei aufgrund der Erfahrungen in ihren Herkunftsländern als nicht besonders vertrauenswürdig. Außerdem erleben sie die Gesellschaft um sie herum, zumindest das, was sie davon mitbekommen, vielfach als feindlich und rassistisch.