Von dubiosen Geschäften mit Islamisten und der Rolle Erdoğans und Putins

Seite 2: Russische Ermittlungen: "Lastwagenkolonnen bis zum Horizont"

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Die allgemein geteilte These lautet, dass dem Islamischen Staat (IS) durch die jahrlange Besetzung syrischer und irakischer Ölfelder beachtliche Ressourcen zur Verfügung standen. Doch es gibt auch ein konkretes Szenario, wie sie das geplünderte Öl auf den Markt bringen konnten. Der Großabnehmer sei die türkische Firma Powertrans gewesen, die es als kurdisches Öl weiter vertrieb und dafür eine Sondergenehmigung der türkischen Regierung besaß. An Powertrans war die Calık Holding beteiligt, deren Geschäftsführer Berat Albayrak, ein Schwiegersohn Erdoğans, im November 2015 als Energieminister in die Regierung rückte.

Dieses Szenario geht auf russische Enthüllungen zurück. Vor zwei Jahren veröffentlichte das russische Verteidigungsministerium Satellitenfotos von LKW-Kolonnen, die die syrisch-türkische Grenze unbehelligt überquerten. Moskau behauptete, es handelte sich um Tankwagen, die vom IS gestohlenes Öl transportierten. Putin soll solche Fotos auf dem G20-Gipfel in Antalya (15.-16.11.2015) herumgereicht haben. Sie hätten "Lastwagenkolonnen bis zum Horizont" gezeigt.

In der Folge zerstörten sowohl russische als auch US-Luftstreitkräfte gezielt Tankwagen auf den Territorien des IS. Umgekehrt schoss die türkische Armee einen russischen Kampfjet nahe der syrischen Grenze ab. Russland reagierte besonnen auf den Zwischenfall, brachte nun aber das Gerücht in Umlauf, sein Flugzeug sei nicht wegen einer vermeintlichen Grenzverletzung abgeschossen worden, sondern weil die Unterbrechung der Öltransporte die Geschäfte der Familie Erdoğan beeinträchtigt habe. Es sei nämlich der Sohn Bilal, der als Eigner einer Reederei in seiner BMZ Group das IS-Öl für Abnehmer in aller Welt verschiffe.

Etwas in der Art war schon im Dezember 2013 im Gespräch gewesen. Damals warf die Istanbuler Staatsanwaltschaft Kaufleuten und Politikern vor, illegale Geschäfte mit dem Iran durch hohe Bestechungssummen arrangiert zu haben. Am 17.12.2013 fand eine Razzia statt, bei der 14 prominente Personen verhaftet wurden, darunter die Söhne dreier Minister aus Erdoğans Kabinett (Iranische Sanktionsgeschäfte. Die politische Szene der Türkei befand sich in heller Aufruhr. Erdoğan, damals noch Ministerpräsident, griff in jeder freien Minute zum Handy, um sich über den neuesten Stand informieren zu lassen oder Befehle zu erteilen.

Fünf solcher Telefongespräche wurden angeblich mitgeschnitten und fanden ihren Weg ins Netz. Demnach hätte Erdoğan seinen Sohn Bilal am Tag der Razzia dringend angewiesen, in den Wohnungen der Familie gebunkertes Bargeld zu entsorgen. Der Ministerpräsident bezeichnete den Clip als Fälschung und das Vorgehen der Justiz als (ersten) Putschversuch der Gülen-Bewegung. Die Festgenommenen kamen bald wieder frei, ihre Plätze in den Haftanstalten tauschten sie mit den Beamten, die gegen sie ermittelt hatten.

Wenn der Clip eine Fälschung ist, müssen seine Verfasser wahre Meister ihres Fachs gewesen sein. Das heißt, sie sind dem Original sehr nahe gekommen. Doch es gibt darin eine unklare Andeutung des Vaters, die nicht einmal vom Sohn verstanden wird. Bei seinem dritten Anruf erkundigt sich die Vaterstimme nach dem Stand der Dinge: "Hast du meine Anweisungen durchgeführt?" Anschließend fragt er, ob auch seine Tochter Sümeyye die ihr zugewiesenen Aufgaben erledigt habe. Die Antwort des Sohns befriedigt den Vater nicht: "Hat sie beide Seiten erledigt?" Sohn: "Wie bitte?" Der Vater insistiert: "Beide Seiten?" Die Sohnstimme fragt, was mit "beide Seiten" gemeint sei. Der Vater will sich nicht genauer äußern: "Egal, ist okay."

Um was mag es den angeblichen Gülen-Fälschern dabei gegangen sein? Um Provisionen aus dem Irangeschäft (eine Seite) und um Einnahmen aus dem Verkauf von IS-Öl (die andere Seite)? Wenn das so gemeint gewesen sein sollte, dann stellt sich allerdings die Frage, wie die Clip-Produzenten Kenntnis von Informationen haben konnten, die die Russen erst zwei Jahre später in Umlauf brachten. Wer kann dieses Rätsel knacken? Und erklären, warum Putin wie ein Anhänger der Gülen-Bewegung agierte und nicht wie ein Präsident der Russischen Föderation? Kommissar Özakin natürlich.