Von dubiosen Geschäften mit Islamisten und der Rolle Erdoğans und Putins

Erdogans Präsidentenpalast. Bild: Ex13/CC BY-SA-4.0

Mordkommission Istanbul: Eine nachgeholte Rezension

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"Vorsicht!", drohte Recep Tayyip Erdoğan französischen Journalisten auf der Pressekonferenz anlässlich seines Staatsbesuchs in Paris. Ein Reporter des Senders France 2 hatte es gewagt, den türkischen Präsidenten nach Waffenlieferungen seines Geheimdienstes an Dschihadisten in Syrien zu fragen. "Was für Waffen, wovon redest du?", antwortete Erdoğan. "Du redest wie ein Anhänger der Gülen-Bewegung, die das alles inszeniert hat, du solltest solche Fragen nicht stellen, die Leute sitzen deshalb in Haft." Die Drohung mit einer Inhaftierung entspricht der aktuellen Behördenpraxis in der Türkei: Solche Fragen werden als Beihilfe zum Terrorismus eingestuft.

In aller Vorsicht sei also darauf hingewiesen, dass der Kollege von France 2 nach jenem Sachverhalt fragen wollte, den die Zeitung Cumhuriyet am 29.5.2015 aufgedeckt hat. Unter der Schlagzeile "Hier sind die Waffen, die Erdoğan leugnet" veröffentlichte das Blatt Fotos, Videos und Zeugenaussagen über einen Vorfall, der sich am 19.1.2014 im Südosten der Türkei ereignet hatte.

An jenem Tag stoppte die örtliche Polizei auf Anordnung des Staatsanwalts von Adana, Aziz Takçı, drei Trucks, die von einer weißen Audi-Limousine begleitet wurden. Gegen den erbitterten Widerstand der Audi-Insassen, die sich als Mitarbeiter des Geheimdienstes MIT ausgaben, öffneten die Polizisten die Container und fanden darin einige Kartons mit Medikamenten - darunter jedoch Kisten mit Gewehrmunition und Geschützgranaten.

Auf Intervention des Gouverneurs von Adana, der mit einer Spezialeinheit anrückte, musste die Durchsuchung beendet werden. Die auch schriftlich vorgelegte Begründung lautete, dass es sich um einen Transport des MIT handelte, den der damalige Premierminister Erdoğan persönlich angeordnet habe; die Staatsanwaltschaft sei zu einem Eingreifen nicht befugt.

Damit liegt es auf dem Tisch: Türkische Waffenlieferungen an syrische Rebellengruppen wurden nicht nur mit Wissen, sondern auf Geheiß Erdoğans durchgeführt. Nach den Aussagen des in die USA geflüchteten ehemaligen Polizeichefs von Şanlıurfa, Ahmet Sait Yayla, soll es sich ab 2012 um hunderte Transporte gehandelt haben, über die der militärische Nachschub für die Islamisten organisiert wurde.

Offiziell wurden sie als Lieferungen der türkischen IHH, Internationale Humanitäre Hilfsorganisation, deklariert, derselben Organisation, die die Gaza-Flottille im Jahr 2010 aufstellte und den gewaltsamen Zwischenfall mit israelischen Soldaten provozierte. Yayla bezeugt darüber hinaus, dass sich IS-Kämpfer im türkisch-syrischen Grenzgebiet frei bewegen konnten, dass sie in Krankenhäusern von Şanlıurfa medizinisch versorgt wurden, Absprachen mit der lokalen Verwaltung trafen und den Schutz des MIT genossen. Die benachbarte Stadt Gaziantep sei geradezu eine Hochburg von IS- und Al-Nusra-Leuten.

Erdoğan ließ alle bestrafen, die an der Aufdeckung des Skandals von Adana beteiligt waren.

Staatsanwalt Takçı wurde unverzüglich versetzt, dann suspendiert, dann wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (Gülen) angeklagt. Ihn erwartet eine lange Gefängnisstrafe. Gleiches gilt für die Einsatzleiter, die ihm zur Verfügung standen, und sogar für einfache Polizisten, die an der Durchsuchung beteiligt waren.

Can Dündar, Chefredakteur von Cumhuriyet, und sein Kollege Erdem Gül, Koautor der Berichterstattung über den Transport, wurden wegen Spionage, Verrats von Staatsgeheimnissen und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (natürlich Gülen) zu sechs Jahren verurteilt. Dündar konnte sich nach Europa absetzen, wo er mittlerweile deutlich zur Verbesserung der Türkei-Berichterstattung beiträgt.1 Ende 2016 wurden zahlreiche weitere Mitarbeiter von Cumhuriyet festgenommen, weil sie die kurdische PKK oder, wieder einmal, die Gülen-Bewegung unterstützt hätten. Seit dem 24.7.2017 wird ihnen der Prozess gemacht.

Am 14.2.2017 wurde auch der deutsche-türkische Journalist Deniz Yücel festgenommen; zwei Wochen später verhängte ein Richter Untersuchungshaft wegen "Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung". Erdoğan nannte ihn wahlweise "Vertreter der PKK", "terroristischer Agent" oder einfach "deutscher Agent". Yücel wartet bis heute auf eine Anklageschrift.

Die Ermahnungen des türkischen Präsidenten an die schreibende Zunft, Vorsicht walten zu lassen, sind also nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Doch wie alle Diktatoren muss auch er die Erfahrung machen, dass die Unterdrückung von Nachrichten ein schier aussichtsloses Unterfangen ist. Unglaublich, wo dieser Gülen überall seine Finger drin hat!

"Im Zeichen des Taurus"

Praktisch zeitgleich zu den Cumhuriyet-Enthüllungen drehten die Macher der deutschen TV-Serie "Mordkommission Istanbul" den Zweiteiler "Im Zeichen des Taurus", der allerdings erst im September 2016 gesendet wurde. Von der Rezension wenig beachtet, lohnt es sich trotzdem, die Herausforderungen zu rekapitulieren, denen sich die Kommissare Özakin (Erol Sander) und Tombul (Oscar Ortega Sánchez) in dem Streifen stellen mussten. Zunächst sind sie damit beschäftigt, den mysteriösen Tod eines Bankers aufzuklären, der zuvor erhebliche Geldsummen verschoben hat. Gleichzeitig sollen sie den Geheimdienst dabei unterstützen, drohende Anschläge einer Islamistengruppe zu verhindern.

Bald erkennen sie, dass ihnen Falschinformationen über die Istanbuler Terroristengruppe zugespielt werden. Ziemlich lange brauchen sie allerdings, um herauszufinden, was hinter der ganzen Kulisse von Mord, Anschlägen und Erpressung tatsächlich passiert. Die klandestinen Geldflüsse verweisen auf eine dubiose Import/Export-Firma, mit deren Hilfe Geheimdienstoberst Tarkan (Anatole Taubman) und ein einflussreicher Geschäftsmann Waffen an islamistische Milizen in Syrien verkaufen.

Am Ende jagt der schon ziemlich lädierte Özakin in einem klapprigen PKW, den er von einem Dorfpolizisten konfisziert hat, einem verdächtigen LKW hinterher, den er kurz vor der syrischen Grenze stellen kann. Da ist sie wieder, die Szene von der Aufbringung des Granatentransports, nur dass Tarkan nicht in einem weißen, sondern in einem schwarzen Audi hinterhergefahren ist, um Özakin zum finalen Shootout herauszufordern. Dabei muss sich der Kommissar noch ins Bein schießen lassen, bevor er wieder in sein gepflegtes und vom weiblichen Publikum besonders geschätztes Outfit schlüpfen darf.

Nun erhebt sich die Frage, wie dieser unvorsichtige Beitrag ins erste deutsche Fernsehen gelangen konnte. Drehten sie etwa wie Mitglieder von FETÖ ("Terrororganisation von Fethullah Gülen") und nicht wie Filmemacher? Dann wäre es dem Prediger, der im US-amerikanischen Exil lebt, gelungen, die Krimi-verwöhnten Deutschen mit einem Stoff zu unterhalten, wie ihn das Leben schreibt.

Eine Wiederholung der Ausstrahlung wäre wünschenswert, sogar eine Fortsetzung. Die müsste die Geldströme an die Import/Export-Firma, die im Film Taurus heißt2, und den geheimnisvollen Geschäftsmann im Hintergrund noch genauer unter die Lupe nehmen. Wie bezahlten die Dschihadisten das Kriegsgerät und woher hatten sie das Geld?

Russische Ermittlungen: "Lastwagenkolonnen bis zum Horizont"

Die allgemein geteilte These lautet, dass dem Islamischen Staat (IS) durch die jahrlange Besetzung syrischer und irakischer Ölfelder beachtliche Ressourcen zur Verfügung standen. Doch es gibt auch ein konkretes Szenario, wie sie das geplünderte Öl auf den Markt bringen konnten. Der Großabnehmer sei die türkische Firma Powertrans gewesen, die es als kurdisches Öl weiter vertrieb und dafür eine Sondergenehmigung der türkischen Regierung besaß. An Powertrans war die Calık Holding beteiligt, deren Geschäftsführer Berat Albayrak, ein Schwiegersohn Erdoğans, im November 2015 als Energieminister in die Regierung rückte.

Dieses Szenario geht auf russische Enthüllungen zurück. Vor zwei Jahren veröffentlichte das russische Verteidigungsministerium Satellitenfotos von LKW-Kolonnen, die die syrisch-türkische Grenze unbehelligt überquerten. Moskau behauptete, es handelte sich um Tankwagen, die vom IS gestohlenes Öl transportierten. Putin soll solche Fotos auf dem G20-Gipfel in Antalya (15.-16.11.2015) herumgereicht haben. Sie hätten "Lastwagenkolonnen bis zum Horizont" gezeigt.

In der Folge zerstörten sowohl russische als auch US-Luftstreitkräfte gezielt Tankwagen auf den Territorien des IS. Umgekehrt schoss die türkische Armee einen russischen Kampfjet nahe der syrischen Grenze ab. Russland reagierte besonnen auf den Zwischenfall, brachte nun aber das Gerücht in Umlauf, sein Flugzeug sei nicht wegen einer vermeintlichen Grenzverletzung abgeschossen worden, sondern weil die Unterbrechung der Öltransporte die Geschäfte der Familie Erdoğan beeinträchtigt habe. Es sei nämlich der Sohn Bilal, der als Eigner einer Reederei in seiner BMZ Group das IS-Öl für Abnehmer in aller Welt verschiffe.

Etwas in der Art war schon im Dezember 2013 im Gespräch gewesen. Damals warf die Istanbuler Staatsanwaltschaft Kaufleuten und Politikern vor, illegale Geschäfte mit dem Iran durch hohe Bestechungssummen arrangiert zu haben. Am 17.12.2013 fand eine Razzia statt, bei der 14 prominente Personen verhaftet wurden, darunter die Söhne dreier Minister aus Erdoğans Kabinett (Iranische Sanktionsgeschäfte. Die politische Szene der Türkei befand sich in heller Aufruhr. Erdoğan, damals noch Ministerpräsident, griff in jeder freien Minute zum Handy, um sich über den neuesten Stand informieren zu lassen oder Befehle zu erteilen.

Fünf solcher Telefongespräche wurden angeblich mitgeschnitten und fanden ihren Weg ins Netz. Demnach hätte Erdoğan seinen Sohn Bilal am Tag der Razzia dringend angewiesen, in den Wohnungen der Familie gebunkertes Bargeld zu entsorgen. Der Ministerpräsident bezeichnete den Clip als Fälschung und das Vorgehen der Justiz als (ersten) Putschversuch der Gülen-Bewegung. Die Festgenommenen kamen bald wieder frei, ihre Plätze in den Haftanstalten tauschten sie mit den Beamten, die gegen sie ermittelt hatten.

Wenn der Clip eine Fälschung ist, müssen seine Verfasser wahre Meister ihres Fachs gewesen sein. Das heißt, sie sind dem Original sehr nahe gekommen. Doch es gibt darin eine unklare Andeutung des Vaters, die nicht einmal vom Sohn verstanden wird. Bei seinem dritten Anruf erkundigt sich die Vaterstimme nach dem Stand der Dinge: "Hast du meine Anweisungen durchgeführt?" Anschließend fragt er, ob auch seine Tochter Sümeyye die ihr zugewiesenen Aufgaben erledigt habe. Die Antwort des Sohns befriedigt den Vater nicht: "Hat sie beide Seiten erledigt?" Sohn: "Wie bitte?" Der Vater insistiert: "Beide Seiten?" Die Sohnstimme fragt, was mit "beide Seiten" gemeint sei. Der Vater will sich nicht genauer äußern: "Egal, ist okay."

Um was mag es den angeblichen Gülen-Fälschern dabei gegangen sein? Um Provisionen aus dem Irangeschäft (eine Seite) und um Einnahmen aus dem Verkauf von IS-Öl (die andere Seite)? Wenn das so gemeint gewesen sein sollte, dann stellt sich allerdings die Frage, wie die Clip-Produzenten Kenntnis von Informationen haben konnten, die die Russen erst zwei Jahre später in Umlauf brachten. Wer kann dieses Rätsel knacken? Und erklären, warum Putin wie ein Anhänger der Gülen-Bewegung agierte und nicht wie ein Präsident der Russischen Föderation? Kommissar Özakin natürlich.