Von einer "niemals verhandelbaren Staatsräson"
Seite 2: Die "Bild" kämpft
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Die Bild-Zeitung" agiert hier unterschieden anders und nach dem Essential ihres Gründers, "das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel zu unterstützen" (Axel Springer). Was der 1967 formulierte, rennt heute einerseits offene Türen ein. Weder wankt die offizielle Solidaritätsbekundung mit dem "Volk" und dem Staat der Juden, noch steht die israelische Machtentfaltung auch nur entfernt infrage.
Andererseits gibt es das erwähnte erwachsen gewordene Staatsbürgerbewusstsein. Dessen Ressentiments meint Bild beackern und belehren zu müssen, damit die philosemitische Staatsdoktrin und das damit verbundene nationale Selbstbild keinen Schaden nehmen. Gaza empfiehlt sich dafür als Anlass.
Also soll der deutsche Leser die Sirenen in Tel Aviv heulen hören und die Leute vom Strand in die Bunker flüchten sehen, damit er die Perfidie der Hamas unreflektiert fühlen kann. Auch wird dafür gesorgt, dass die "Klima-Ikone Greta Thunberg (18)", die das Blatt und viele seiner Leser ohnehin nicht leiden können, "mit antisemitischen Behauptungen für massive Empörung sorgt", weil sie einen Tweet "der kanadischen Israel-Boykotteurin Naomi Klein (51)" teilt.
Um die Volkserziehung zu komplettieren, liefert "Bild" noch fertige Antworten zur Frage: "Wie erkläre ich meinem Kind, dass Greta falsch liegt?" (11.5.21), "Merkels Flüchtlingspolitik" bekommt nachträglich einen Tritt ab, weil sie "zehn- oder hunderttausendfach eine Ideologie importiert (hat), in deren Mittelpunkt der Jude als ewiges Feindbild steht." (18.5.) Folge: "Während die Raketen auf Israel fliegen, explodiert auf Deutschlands Straßen offener Judenhass!" (16.5.), was die "Tagesschau beschönigt" (17.5.), weil sie die Gefahr durch hunderttausend Hasser nicht ernst nehmen will. Usw., tagelang, mehrseitig.
Auch nach der Waffenruhe entgeht "Bild" keine "Entgleisung: Beim Parteitag der Grünen verglich eine Gast-Rednerin die Kritik an Klimaforschern mit der Verfolgung von Juden" (12.6.), weil die "Publizistin Carolin Emcke (53, u.a. SZ)" es wagte, eine historische Reihe von Demagogie gegen Juden und Kosmopoliten, Feministinnen und Virologinnen hin zu Klimaforscherinnen zu konstatieren bzw. zu befürchten. Wegen eines analogen Vergleichs musste der Antisemitismusbeauftragte, wie gesehen, bereits einem afrikanischen Philosophen auf die Finger klopfen.
So ungefähr wacht auch Bild, einen Ex-BND-Chef zitierend, über "die DNA des deutschen Staatsverständnisses" und dessen pro-semitisches Alleinstellungsmerkmal.
P.S. zum "importierten Antisemitismus"
Es ist eine Sache, den Rassismus zu kritisieren, in den Palästina-Anhänger dann verfallen, wenn sie jüdische Individuen in Deutschland für Militäraktionen des Staates Israel zuständig machen und angreifen. Eine andere Sache ist dies: "Ehrlich machen heißt zugeben: Wir haben Antisemitismus importiert. Mit der faktischen Zuwanderung aus islamischen Ländern wurden auch die kulturellen Prägungen aus diesen Ländern importiert. Wie wir während des aktuellen Nahost-Konfliktes sehen, haben wir in Deutschland zu wenig getan, um den radikalen Islam und mitgebrachten Antisemitismus zu bekämpfen. (…).
Deutschland muss alles dafür tun, dass jüdisches Leben in Deutschland sicher ist. Zugewanderte, die das nicht akzeptieren wollen, haben hier keinen Platz und müssen wieder gehen." (DIE LINKE. Osnabrück-Land, Facebook 17.5.21) Warum fällt solchen Linken, wenn sie einen ‚Hintergrund‘ für brennende Davidsterne auf deutschen Plätzen suchen, an erster Stelle gleich der "mitgebrachte Antisemitismus" ein?
Zählen Gegner des Zionismus denn nur als kollektives Sicherheitsrisiko aus "kultureller Prägung", das "wir" blauäugig ins Land gelassen haben? Fragen, die man Leuten stellen sollte, wenn sie ihrerseits den offiziellen Pro-Semitismus benutzen, um einen Stich im parteiinternen Streit um das rechte Maß an "Zugewanderten" zu machen.
Anstelle einer Kritik ist aber auch die Gegenseite irgendwie darum bemüht, deutsche Werte ins Feld zu führen: "Der Landesverband DIE LINKE. Niedersachsen distanziert sich in aller Form von diesem Beitrag. In einem Land, von dem der Holocaust ausging, den Antisemitismus als Importware darzustellen, ist geschichtsvergessen, eine Verharmlosung des Hasses gegen Juden sowie ein schwerer Angriff auf Menschen muslimischen Glaubens." (ebd.)
Beide Seiten, so die "taz", "berufen sich dabei auf die gleiche Instanz, nämlich Gregor Gysi. Der außenpolitische Sprecher der Fraktion hatte im Bundestag eingeräumt, es gebe auch ein Problem mit islamischem Antisemitismus in Deutschland. (…) Gysi nannte aber auch den Nahost-Konflikt als Treiber, bezeichnete die aktuellen Zwangsräumungen palästinensischer Familien als Provokation Netanjahus und forderte Deutschland auf, eine Vermittlungsrolle zu übernehmen."
Dieser alternative Ruf nach dem "ehrlichen Makler" (s.o.) spricht dem jüdischen Staat eine dezidierte Mitschuld zu. Das ist zwar etwas anderes, als dessen politische Zwecke zu ermitteln und zu kritisieren, taugt aber möglicherweise zur salomonischen Streitschlichtung. Wenn nicht, muss am Ende vielleicht ein deutsches Gericht entscheiden, welche Verstöße gegen welche Grundsätze der Linken einen Parteiausschluss rechtfertigen.